Don Manuel lebte viele Jahre in Deutschland. Nun ist er wieder zurück in seinem Spanien. Bekannt ist er hier als der Dichter und Denker. Wenn er gut gelaunt ist trägt er in aller Öffentlichkeit seine Poesien vor. Ein Philosoph und die tauromaquia, das könnte zusammenpassen. Und in der Tat teilt er die Leidenschaft der afición. Wir sprachen über die ausländischen antitaurinos und da war seine Haltung eindeutig. Die tauromaquia muss man in einer anderen, in einer geistigen Dimension betrachten. "Wenn ausländische Gegner von Stierkämpfen die afición auffordern ihre Leidenschaft mit einer diagnostizierbaren Logik zu rechtfertigen, sei das schon vom Ansatz her zum scheitern verurteilt. Aber sie tun es trotzdem, damit sie dann behaupten können, der afición gehen die Argumente aus."
Professor Rainer Bischof aus Wien sieht es ähnlich: "Die corrida ist ein emotionales Naturereignis, welches nur geistig erfasst werden kann." Hier tritt der Mensch gegen die Natur an. Die Kraft des Stieres, die Hitze der Sonne, Licht und Schatten, die Feuchtigkeit des Regens, die Unberechenbarkeit des Windes und der staubige Sand. Neben diesen natürlichen Gewalten muss sich der matador auch vor dem Publikum behaupten. In den tendidos sitzt ein munterer Querschnitt durch die ganze Gesellschaft. Und sie will es sehen, wozu sie selbst nicht fähig ist. Wo sie nicht den Mut dazu aufbringt. "Ein Mysterienspiel des Todes", so Bischof, "die Darstellung des Todes im Leben." Ein geregeltes Ritual dass der torero nicht brechen darf.
Der spanische Schriftsteller Antonio Gala sagte in einem Interview, "um die corrida zu verstehen, muss man den Gedanken freien Lauf lassen. Die eigenen Phantasien anregen um Kunstvolles zu schaffen." Diese geistige Dimension scheint der Brückenschlag zu künstlicher Kreativität zu sein. Dinge zu sehen, die einem bei logischer Betrachtungsweise verborgen bleiben. "Seine Arbeit mit der muleta war kunstvoll, edel und schön und dicht genug, um einem trotz seiner wunderbaren Sicherheit das Gefühl der immer präsenten Tragödie zu geben", schrieb Hemingway 1959. Bei diesen Worten erahnt man zwar das Drama, aber der Gedanke an ein grausames Ereignis liegt eher fern.
Bei Gustavo Tusa Vila lesen wir: "Der toreo des Antonio Ordoñez ist Vergessen und Wiederkehr. Er ist das Wiederfinden des rauschenden Quells, der die Kunst des Stierkampfes hervorbringt. Wie ein Fluss, der mit kristallklarem Wasser die letzten Tage der Geschichte des toreo tränkt, weil er sich keinem Lauf anpassen will." Wer solche Worte wählt sieht mehr als andere, aber vor allem deswegen weil er sich diesen Gedanken gegenüber öffnet.
Vor vielen Jahren begegnete ich nach einem Stierkampf Carmen aus der Schweiz. Sie fand die corrida abstossend. Auf die Frage meines Freundes hin, wie sie denn die paso dobles gefunden hätte, sah sie nur erstaunt zurück, "Musik hat es auch gegeben?" Sie hatte ihr Bewusstsein nur auf die banderillas, die pica, den estoque und das Blut fixiert. Den Rest hatte sie einfach nicht wahrgenommen. Nicht wahrnehmen wollen. Ausser eben das Blut. "Da fiel der erste Tropfen Blut und erblühte, Blut empfing die Erde, und sie zehrte es auf wie ein schreckliches Tier, das nicht satt werden kann," so sah es Pablo Neruda.
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Quellennachweise
Rainer Bischof, Heilige Hochzeit, Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar, 2006
Ernest Hemingway, Gefährlicher Sommer, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1986
Gustavo Tusa Vila, la corrida, Ediciones Castell, Barcelona, 1979
Pablo Neruda, Zeremonielle Gesänge (Dichtungen II), Luchterhandverlag, Berlin 1967