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von Dr. Andreas Krumbein
Die
Durchführung des Tötungsrituals ist etwas Besonderes. Es geschieht nur selten,
manchmal nur einmal im Jahr. Man bereitet sich vor, man macht sich fein, man
ist aufgeregt, man will dabei sein, es miterleben, vielleicht in direkter
Aktion daran teilnehmen. Man feiert ein Fest, das Tötungsritual selbst ist eine
öffentliche Zeremonie. Man erlebt bei sich selbst und anderen manchmal starke
Emotionen. Danach ist man zufrieden. Manchmal, nicht immer. Man geht essen und
trinken. Man hat den Tod erlebt, gesehen wie er zugefügt wurde – vielleicht hat
man ihn selbst zugefügt – und eingetreten ist, man hat Lebensgefahr mit
angesehen und beobachtet, wie durch das Aufwenden von Mühen und durch das Annehmen
von Risiken ein Ziel auf einem Weg voller Gefahren erreicht wurde. Vielleicht
ist man den Weg ein Stück weit selber gegangen und hat es selber erlebt und
gespürt.
Der pregonero 2014 André Viard |
Und warum machen die das?
Warum tun Menschen Dinge, die andere als grausam empfinden? Ist der Mensch
vielleicht einfach so? Warum ist der Mensch manchmal grausam zu Tieren? Warum
ist er es manchmal zu Menschen? Welche Umstände oder Gegebenheiten müssen
vorliegen, damit ein einzelner Mensch grausam ist, welche, damit eine Gruppe es
ist? Was bedeutet es, wenn eine Gruppe von Menschen eine geplante, organisierte
Grausamkeit an einem Tier verübt? Was bedeutet es, wenn eine solche Gruppe dies
an einem anderen einzelnen Menschen oder an einer anderen Gruppe verübt? Warum
passiert so etwas immer wieder, unvorhersehbar und in fürchterlichster
Ausprägung, gegenüber anderen Menschen? Ist es im Menschen, vielleicht in jedem
einzelnen, angelegt, dass er zum aktiven Täter wird, wenn die Umstände und
Gegebenheiten in bestimmter Weise vorliegen? Kann man diese Umstände und
Gegebenheiten antizipieren, für einen einzelnen oder eine Gruppe? Kann man das
Auftreten von Grausamkeiten gegen Menschen steuern, begünstigen oder
verhindern? Kann die organisierte Grausamkeit gegen Tiere als Steuermechanismus
dienen? Dient die organisierte Grausamkeit gegen ein Tier, in Anlehnung an seit
Jahrtausenden erlebte Jagd- und Kampferfahrungen und ausgeübte Opferrituale und
eingebettet in althergebrachte Riten, Symboliken und Gebräuche der
Stabilisierung der Gemeinschaft zur Abwehr von Angriffen und Gefahren, die von
innerhalb und außerhalb der Gruppe das Bestehen der Gemeinschaft bedrohen und
zerstören könnten?
„Ein
Raketenschuss, dann ein Knall – es beginnt. […] Der Stier Presumido stürzt mit
seinen fünfhundert
Kilogramm die Gasse abwärts in Richtung Fluss. Vor und hinter
ihm rennen die Mutigsten. Jetzt hat er die Brücke erreicht und biegt in das
offene Gelände ein. Der entscheidende Moment kommt. Noch hundert Meter bis zur
Fahne. Presumido schaut nicht zur Seite, er läuft und läuft. Reiter sprengen
heran und flankieren ihn. Bei der Fahne ein Gewirr und dann eine große
Staubwolke: die Lanzenmänner haben den Stier verpasst. Verzweifelt rennen sie
ihm mit ihren langen Stangen nach. Presumido ist zu schnell. Er läuft geradeaus
und sucht Schutz im Pinienwald. Einen Kilometer später macht er am Waldrand
halt. Die Verfolger holen ihn ein. Eine erste Lanze fährt in seine Flanke.
Presumido dreht ab und flieht in den Wald, die Lanzenkämpfer hintendrein. Der
sandige Boden macht ihnen schwer zu schaffen. Auf der anderen Seite des Waldes erreicht ihn Felipe Abril, El Carpita,
als erster. Drei-, viermal fährt seine Lanze in die schwarze Flanke des Tieres. Presumido fällt in die Knie. Er steht nicht mehr auf. Langsam sickert
sein Blut in den Boden. Eine Minute später ist er tot. So beschreibt Werner Herzog
die an eine paläolithische Jagd erinnernde Stierhatz des Toro de la Vega, die
jedes Jahr am zweiten Dienstag des September in Tordesillas (Provinz
Valladolid) am Río Duero stattfindet. Der alte Brauch, heute mehr ein Turnier,
hat seine Regeln: Der Stier darf erst ab der Fahne angegriffen werden, und wenn
er die Gemeindegrenze erreicht, ohne dass ein Lanzenträger zum Stoss gekommen ist, wird er begnadigt. Wer aber den Stier erledigt, gilt als der
Geschickteste, Schnellste, Stärkste und bekommt den untersten, buschigen Teil
des Schwanzes als Trophäe zugesprochen, die er auf seine Lanze steckt; früher
waren es die Hoden.“ [1]
Volante, Toro de la Vega 2012 (Foto: Gerardo Abril) |
Moscatel der ganadería Victorino Martín, Toro de la Vega 2009 (Foto: mundotoro) |
Stellvertretend für die
Vielzahl von festejos populares mit Stieren breche
ich hier eine Lanze für den Toro de la Vega und für die Art und Weise, wie er
von einer Gemeinschaft von Menschen zu Tode gebracht wird. Ob ich selber als
Beobachter eines so ausgeführten Tötungsrituals das Geschehen ertragen
könnte, gälte es noch unter Beweis zu stellen. Trotz allem: die festejos populares sind die direkten Vorfahren der corrida de toros, vielleicht ihre ungehobelten Verwandten vom Lande. Die mag man
unangenehm finden oder vielleicht sogar hassen. Verraten oder umbringen darf
man sie nicht.
Im Übrigen: die Tradierung der Hintergründe und Bedeutung der althergebrachten Riten, Symboliken und Gebräuche, ihre Verteidigung gegen Angriffe und Abschaffung und das öffentliche Stellungbeziehen in Medien und Diskussionen in Spanien, wer übernimmt das?
Im Übrigen: die Tradierung der Hintergründe und Bedeutung der althergebrachten Riten, Symboliken und Gebräuche, ihre Verteidigung gegen Angriffe und Abschaffung und das öffentliche Stellungbeziehen in Medien und Diskussionen in Spanien, wer übernimmt das?
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Quellennachweis:
[1] Rolf Neuhaus, Der Stierkampf, eine kleine Kulturgeschichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main, 2007
Weitere Informationen zu diesem Thema:
Offizielle Webseite: Patronato del Toro de la Vega
Reinhard Haneld, Taurosophie
Karl Braun, Der Tod des Stieres, Fest und Ritual in Spanien, Verlag C. H. Beck, München, 1997
Lorenz Rollhäuser, Toros, Toreros, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbeck bei Hamburg, 1990
Rainer Bischof, Heilige Hochzeit, Böhlau Verlag, Wien, München, Weimar, 2006