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Montag, 27. Oktober 2014

José Tomás versus Morante de la Puebla

Zwei Photographien
José Tomás ist ein Bildhauer, Morante de la Puebla ein Musiker
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von Tristan Wood
(übertragen aus dem Englischen von Dr. Andreas Krumbein)


Es gibt immer einen besonderen Nervenkitzel der Erwartung, wenn man kurz davor ist, eine corrida mit José Tomás oder Morante de la Puebla zu sehen. Bei Tomás hat ein Teil dieses Nervenkitzels damit zu tun, dass seine Auftritte so limitiert sind. Gleichwohl kann man nicht bestreiten, dass der toreo dieser beiden matadores dem aficionado, im günstigsten Falle, eine höhere Dimension verspricht, die andere toreros selten, wenn überhaupt erreichen.
Was ist so besonders an diesen beiden? Um dem weiter auf den Grund zu gehen, wählte ich als eine meiner Winterlektüren Antonio José Pradel Ricos Elogio y refutación de la quietud: una tauromaquia (casi) inmóvil mit dem Untertitel  José Tomás versus Morante de la Puebla.
Señor Pradel ist Akademiker und, zusätzlich zu der Tatsache, dass er aficionado ist, Liebhaber des Flamenco, und ich muss gestehen, dass einige seiner kulturellen Anspielungen über meinen Horizont gingen, wobei manche seiner Gedanken (zum Beispiel die Ähnlichkeiten zwischen dem toreo en redondo und den sich-drehen der Derwische, mit Bezugnahme auf einen spanischen Derwisch) besonders abstrus wirkten.
Nichtsdestoweniger gibt es bei ihm einige interessante Betrachtungen zur quietud (Unbeweglichkeit) im toreo, ein Merkmal, das er speziell mit José Tomás in Verbindung bringt. Pradel erinnert daran, dass vor Belmonte der toreo in erster Linie mit Bewegung verbunden war und mit der Wendigkeit des torero, um den Hörnern des Stiers zu entgehen. Der Schriftsteller und aficionado José Bergamín, zum Beispiel, war zutiefst irritiert durch diese gewaltige Konzeptänderung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Ihm fehlte die physische Beherrschung, die Gewandtheit, Spontaneität und die intuitive dynamische Kraft verschiedener suertes, die man mit der alten Art und Weise des toreo verbindet. Seine anfängliche Ansicht über Belmonte war, dass er den toreo zum Stillstand gebracht habe. In El mundo por montera schrieb Bergamín: „Ich finde, das Stierkämpfen (torear) als dynamische Kunst – die romantische und klassische Kunst des toreo – begann und endete im 19. Jahrhundert, denn mit dem 20. Jahrhundert beginnt die statische Kunst des ‘no torear‘, man bleibt unbeweglich und lähmt den toreo.“
Abgesehen von Belmontes Genie bei der Entdeckung der Terrains (terreno), in denen der Stier passiert
Antonio José Pradel Rico
werden konnte, ohne dass der Mann von ihm wegtreten musste, weist Pradel darauf hin, welchen Einfluss die gerade aufkommende Kunst der Photographie auf die Popularität dieser neuen Vorgehensweise beim toreo hatte, dadurch dass sie Momente einer auf Bewegung beruhenden Kunstform einfing und die Illusion der Unbeweglichkeit erzeugte. Er verweist darauf, dass der Stierkampfkritiker José Alameda ähnliche Gedanken gehabt habe, denn in El hilo del toreo schreibt Alameda: „Die Gefahr dieses Konzeptes des toreo wurde sehr akut, als Photographien zu dominieren begannen, mit ihrer graphischen Abbildung isolierter und unbeweglicher Momente des toreo […], die die toreros dazu tendieren ließ, sich eine starre Form der Ausführung anzueignen, ein gekünsteltes Auftreten wie aus „Pappe“… Vielleicht sind andere Medien wie das Kino oder das Fernsehen aufgekommen, diese bösartige Tendenz abzuschwächen, oder möglicherweise ist der beste aficionado natürlicherweise so gescheit, den Einfluss des Photos wieder zu mindern, diesen Einfluss, der den toreo einmal verdorben hat.“ (Gerade mit dem Film hat Pradel jedoch seine Zweifel, inwieweit der den toreo gut wiedergibt, indem er darauf hinweist, dass die Häufigkeit der Wiederholung einer faena, die einen in der plaza in Erregung versetzt hat, lediglich zu Enttäuschung führt.)
Pradel legt auch die Reize einer auf Unbeweglichkeit und Gelassenheit beruhenden Kunstform in einer immer weniger gebändigten und starker anfordernden modernen Welt dar, so wie sie das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat: eine Umwelt, die in der, sagen wir mal, gebrochenen Kunst des Vortizismus und Kubismus widerscheint, vom toreo aber wirkungsvoll zurückgewiesen wurde. Er erörtert, dass die tauromaquia erfüllt ist von langsamen Ritualen, beginnend beim torero, der einem unverbraucht angreifenden Stier eine verónica gibt, über den matador, der dem Augenmerk des Stiers entgehen muss, über die Arbeiten der areneros, bis hin zum Fußweg der Zuschauer zur plaza de toros.
Das letztendliche Ziel des modernen toreo ist sicherlich nicht nur still und gefasst dazustehen, während der Stier passiert, sondern ebenso temple zu erzielen: den Stier in demselben Tempo an sich vorbeizuführen, in dem er angreift, und, wenn möglich, die Geschwindigkeit dieses Angriffes zu reduzieren, wenn der Stier sich an einem vorbei bewegt. ‘Estar quieto‘ und ‘templar‘ sind inhärent miteinander verknüpft.
Nach seinem Konzept des temple befragt, entgegnete Antonio Bienvenida einmal: „Templar ist die Fähigkeit, die einige, sehr wenige toreros besitzen, den Angriff des Stiers abzubremsen […], etwas das schwer zu definieren ist, das aber existiert. […] Wenn ich und meine Brüder zu einem tentadero gingen, bei dem es keine ‘invitados‘ gab, trainierten für gewöhnlich so, dass wir die pases, die wir den becerras gaben, zeitlich regulierten, um zu sehen, ob der nächste pase langsamer gegeben werden konnte als der vorangegangene. Es war eine sehr interessante und positive Übung. Wir versuchten so langsam wie möglich das Tuch zu führen (torear), klarerweise ohne dass das Tier muleta oder capote berührte. Das ist templar.

Pradel zitiert sowohl Tomás als auch Morante zu diesem Thema. 
Tomás führt aus: „Torear heisst ausgeglichen zu sein, den Stier vorwärts zubringen und den muletazo zu vollenden. Und den pase so lange wie möglich dauern zu lassen. Klar, wenn Du das tust, fühlst Du Dich ängstlicher, da Du ein höheres Risiko eingehst.
In Morantes Worten: „Ich sehe zu, den Angriff zu verlangsamen. Ich hab‘ es öfter mit dem capote geschafft als mit der muletaTemple ist, in Wirklichkeit, in derjenigen Geschwindigkeit mitzugehen, die der toro fordert. Ich versuche auch noch hinter mir damit weiterzumachen. Es ist wie jemand, der singt und der nicht hören kann. Du kannst eine wunderschöne Stimme haben, aber, wenn Du nicht hören kannst, ist es unmöglich sie herauszubringen.      
Zum Thema quietud hat Morante jedoch auch gesagt: „Einige toreros reduzieren alles darauf stillzustehen. Aber Du musst wissen, wie man mit den Stieren spaziert, so wie Domingo Ortega; sie sanft aufbauen (poderlos). Das ist die wahre Kunst, die nie aus der Mode kommt.
Aber sind José Tomás und Morante de la Puebla wirklich Gegensätze? Pradel scheint das zu glauben. Während er sagt, sie repräsentierten „zwei verschiedene Stile des einen, wahren toreo“, macht er eine Reihe von Unterschieden zwischen ihnen aus:
[Morantestoreo ist barock, steht für die gekrümmte Linie und die gebrochene Geste (gesto roto), so wie die vollkommenen Zigeuner-Künstler Curro Puya, Cagancho oder Rafael de Paula, während José Tomás der offensichtliche Vertreter jener anderen Perioden des ‘Suchens nach Ruhe und der stillen Schönheit‘ ist. Sein toreo, mehr als klassisch (was für toreros wie Rafael Ortega oder Antoñete der Fall wäre), ist neo-klassisch, in dem Sinne, dass er die klassischen Massstäbe zurückbringt, während er eine neue Form aufprägt, erneuert durch die ihm eigene reinste und stoischste Abwesenheit taurinen Ausdrucks. In dieser Hinsicht steht die Körperhaltung für Ausgewogenheit und Ausgeruhtheit, sehr verschieden von dem manieristischen oder barocken Fieber, das wir in solchen toreros sehen, die von duende berührt werden.
José Tomás und Morante de la Puebla […], zwei toreros, die einander diametral entgegengesetzt sind, durch ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten und ihre jeweiligen Konzepte des toreo; zwei vollkommen unterschiedliche Eingebungen davon, was quietud in der tauromaquia bedeuten kann.
Die Idee von Unbeweglichkeit entgegen derjenigen der Beweglichkeit […], Belmonte im Vergleich zu Joselito. Manolete verglichen mit Domingo Ortega. José Tomás gegenüber Morante de la Puebla.
José Tomás ist der torero de valor con más arte in der jüngsten Geschichte der tauromaquia, wohingegen Morante de la Puebla möglicherweise gesehen werden kann als der torero de arte con más valor, der je existiert hat.
Morante de la Puebla und José Tomás mano a mano: das Lächeln des weisen Mannes begegnet dem Schrei des Helden. Was davon ist richtig? Beides: der toreo von José Tomás ist ernst, der von Morante ist leicht und hell.
So wie bei Morante der Fixpunkt als Referenz unnütz ist, seine Kunst zu beurteilen, so ist es bei José Tomás genau das Gegenteil.
Tomás ist ein Bildhauer; Morante ist ein Musiker.

Der Bildhauer und der Musiker
Meiner Ansicht nach sind manche dieser Vergleiche stichhaltiger als andere.
Es gibt einen Unterschied in ihren Stilen, doch dieser Unterschied  hat weder etwas mit Stillstehen gegenüber Bewegung, noch mit ‘ernstem‘ gegenüber ‘lichtem‘ toreo zu tun. Morante de la Puebla ist ein auffälligerer, farbenprächtigerer torero als José Tomás, doch wäre es falsch, ihn als einen matador der Bewegung im Vergleich zu dem statuenhaften Zugang des letzteren darzustellen. In Wirklichkeit schildert Pradel (der sich abzumühen scheint, zum Herz vom Morantes toreo vorzudringen; der Grossteil seines Buches konzentriert sich auf Tomás) Morante gar nicht so, wenn er den Andalusier im Detail betrachtet. Auch wäre es nicht korrekt, dem artista mit, möglicherweise, der stärksten Technik in der Geschichte der Stierkampf-Künstler, einem torero, der in zunehmendem Masse zu versuchen wünscht, aus einem Durchschnitts-Stier etwas herauszuholen, als ihn einfach aufzugeben, die Ausführung eines ‘leichten und hellen‘ toreo zuzuschreiben.
Und obwohl sie unterschiedliche Persönlichkeiten haben, bringen beide von ihnen ein gewisses Mass an Mystizismus in ihre Arbeit, eine Qualität, die anderen toreros fehlt.
Bei Tomás ist das Geheimnis teilweise auf seine eremitenhafte Einstellung gegenüber den Medien und der Öffentlichkeit zentriert, teilweise auf seine offensichtliche Bereitschaft, sein Leben aufs Spiel zu setzen: eine Position einzunehmen, den Stier vorwärts zu bringen und entweder ihn passieren zu lassen oder dabei aufgespießt zu werden. Pradel fängt das Wesen von Tomás in Aktion wie folgt ein:
Lassen Sie uns für einen Moment zurückkehren zu der ruhigen Art und Weise von José Tomás, bewegungslos, in der Mitte der Arena. Wir wissen noch nicht, was passieren wird. Er hat sich dem Sturm in den Weg gestellt und den Stier zitiert, ihm eine große Distanz eingeräumt [um auf ihn zuzukommen …]. Es sieht so aus, als könnte der matador bleiben, wie er ist, stillstehend und in Ruhe, ohne jeglichen Grund von sich aus eine Bewegung zu machen […]. Es ist wahr, dass José Tomás oft von den Stieren erwischt wird. Doch das ist nicht deshalb der Fall, weil, wie manche sagen, er nicht wüsste wie man mit dem Stier umgeht (torear) oder weil er das Opfer irgendwelcher technischen Unzulänglichkeiten wäre. Wenn die Stiere ihn erwischen, geschieht das einfach, weil er bis an die Grenze ein Wagnis eingeht, bis zu dem Punkt, sich auf den schmalen Grat zwischen Leben und Tod zu stellen. Tatsächlich platziert er seinen Körper dort, wo andere die muleta hinhalten.
Morantes Mystizismus hingegen ist konzentriert auf seinen unsicheren seelischen Zustand, eine Tatsache, die Pradel fast übergeht, obwohl er Morante doch zitiert, wie der sich an einen Auftritt erinnert: “Ich schaue zurück und wundere mich, wo mein toreo herkam, aber er hatte ganz sicher etwas. Es war ein Kampf mit mir selbst: ich fühlte mich fremd, unbefriedigt …Pradel fährt fort, dass Roger Bartra geschrieben hat: „Schwermütige sind immer unzufrieden, misstrauen allem, flüchten, wenn keiner sie jagt1. [Pedro Mercado] beschreibt sie mit dem beliebten Ausdruck: ‘Es ist ein Streit mit duende.‘, darauf anspielend, das nur sie selbst sich beurteilen, sich selbst die Antworten geben, sich selber verdammen und vergeben, alles als Teil eines angestrengten inneren Kampfes.
Es ist eine Ironie, angesichts seiner früheren Äußerungen, dass Pradel viel Aufhebens um ein Photo des Mexikaners Silverio Pérez in Aktion macht bei seinen Versuchen Morantes Herangehensweise an den toreo zu beschreiben. Bei dem Versuch zum innersten Unterschied zwischen Tomás‘ und Morantes toreo zu gelangen, bin auch ich von Photographien beeinflusst. In meiner Denkweise liegen die Unterschiede zwischen den beiden im wesentlichen in der Art und Weise, wie sie ihre Körper einsetzen, wenn sie mit dem Stier umgehen (torear), Unterschiede, die für mich auf einen Nenner gebracht werden durch zwei Photographien von naturales, einen von José Tomás (linkes Bild) ausgeführt in Albacete im Jahre 2011 und den anderen (begonnen als ayudado) von Morante de la Puebla ausgeführt im vergangenen Jahr in Santander, das Photo, das den CTL Photo-Wettbewerb 2013 gewonnen hat.


In José Tomás toreo sind die Positionen, in die er seinen Körper bringt, um den Stier an sich vorbeizuführen, ausschlaggebend, aber während des pase selbst ist der Körper, regungslos, gewöhnlich mit geschlossenen Füßen, fast abwesend. Der einzige wichtige Aspekt ist der Arm, der das Tuch hält, dessen Bewegung die Trajektorie des Stieres bestimmt. Das ist toreo reduziert auf die Grundlagen: JT kann schwach sein beim mandar, aber er kann hervorragend sein, wenn es um die anderen Grundregeln (cánones) geht.
Bei Morante hingegen ist die Aufgabe des Körpers beim suerte und beim dominio höchst wichtig. Viel stärker gebaut als Tomás (freilich, er ist manchmal zu schwer: es gab temporadas, während derer das Niveau seiner körperlichen Kondition infrage gestellt wurde), benutzt Morante seinen Körper, um während des gesamten Ablaufes eines suerte Kontrolle zu Geltung zur bringen, seine Brust nach vorne in Richtung des Stieres geschoben, sein Kinn entschlossen auf die Brut gepresst, die Füsse in den Sand gepflanzt, die Beine leicht gespreizt, den gesamten Körper nutzend, um den Stier mit sich zu führen (cargar), und nicht bloss den Arm, der die muleta hält.
Tomás Körper kann zerbrechlich wirken wie ein Blatt (ein Eindruck, der sich nur ändert, wenn der Stier es erwischt und es eine feste Masse wird), wohingegen Morantes Körper sehr ausgeprägt in fester Form erscheint, dem pase ein Drängen auferlegt oder: ihm ‘Gewicht gibt‘, wie die Spanier sagen. Pradel erkennt dies als eine Charakteristik des Künstler-torero:
Dieser Typ torero ‘wiegt‘ mehr: er dreht sich langsamer, gerade deshalb. Wir sprechen über einen Körper, der überwunden wird, durch eine offensichtliche Verwandlung im Angesicht des Stieres. In gewisser Weise verändert sich der Körper eines matador komplett, wenn er in der Arena ist. Und das Prinzip der Verwandlung leitet sich ab von der Tatsache, dass der torero in der plaza mehr ‘wiegt‘; die Schwere der Situation wird zurückgeworfen auf seinen Körper mit viel stärkerer Intensität als es die Norm ist. 
Dies ist für mich der entscheidende Unterschied zwischen dem toreo dieser beiden matadores. Ich sage nicht, dass die eine Form notwendigerweise besser ist als die andere. Aber dies, zusammen mit dem geheimnisvollen Nimbus der beiden, ist es, was uns anlockt ihnen zuzuschauen, mit solch überhöhten Erwartungen. Hier ist zu hoffen, dass sowohl José Tomás als auch Morante de la Puebla einige großartige Nachmittage vor sich haben, im Jahre 2014.

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Quellennachweise:

José Tomás versus Morante de la Puebla, Tristan Wood, La Divisa, Club Taurino of London, Nummer 217, März/April 2014 (S. 11 - 13)
Elogio y refutación de la quietud: una tauromaquia (casi) inmóvil, Antonio José Pradel Rico, Ediciones Bellaterra, 2013
Cultura y melancolía. Las enfermedades del alma en la España del Siglo Oro, Roger Barta, Editoral Anagrama, 2001
Diálogos de Philosophía natural y moral, Pedro Mercado, Casa de Hugo de Mena y Rene Rabut, 1558