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Samstag, 8. Oktober 2016

Die Tauromachie im Visier von künstlerischem Schaffen (4)

Ein Überblick mit der Frage, kann die Tauromaquia als gestaltende Kulturleistung gesehen werden?  
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von Philip de Málaga

Eine Medaille der Schönen Künste

Seit nun zwanzig Jahren wird auch die tauromaquia mit der medalla de Oro de las Bellas Artes ausgezeichnet. Die seit 1969 bestehende Auszeichnung für künstlerisches wie kulturelles Schaffen repräsentiert die Identifizierung des spanischen Staates mit dem landeseigenen Kulturgut. Und es ist geradezu repräsentativ wie seit 1996 auch die Leistung von Persönlichkeiten aus der mundo de los toros mit diesem Preis geehrt worden ist. 

Sie alle wurde in den letzten zwanzig Jahren in Spanien
mit der Medaille der Schönen Künste ausgezeichnet.
1996 - Antonio Ordóñez (matador de toros)
1997 - Curro Romero (matador de toros)
           und Santiago Martín Sánchez "El Viti(matador de toros)
1998 - Pepe Luis Vázquez 
           und Miguel Báez «El Litri» (matador de toros)
1999 - Álvaro Domecq y Díez (ganadero und rejoneador)
2000 - Antoñete (matador de toros)
2001 - Rafael de Paula (matador de toros)
2002 - Manolo Vázquez (matador de toros)
2003 - Ángel Luis Bienvenida (matador de toros)
           und Juan Antonio Ruiz Espartaco (matador de toros)
2004 - Paco Camino (matador de toros)
2005 - José María Manzanares (matador de toros)
2006 - Enrique Ponce (matador de toros)
2007 - José Tomás (matador de toros)
2008 - Francisco Rivera Ordóñez "Paquirri(matador de toros)
2009 - Luis Francisco Espla (matador de toros)
2010 - Pepe Martín Vázquez (matador de toros)
           und José Miguel Arroyo Delgado "Joselito(matador de toros)
2012 - Ángel Peralta Piñada (rejoneador)
2013 - Victorino Andrés Martin (ganadero)
2014 - Manuel Benítez Perez "El Cordobés(matador de toros)
2015 - Pablo Hermosa de Mendoza (rejoneador)

Ist Stierkampf als Kunst Teil einer Kultur?

Der Historiker Rolf Neuhaus (geb. 1951) gab seinem 2007 erschienen Buch „Der Stierkampf“ den Untertitel: „Eine Kulturgeschichte“. Karl Braun, Kulturwissenschaftler aus Berlin (geb. 1952) sieht in der corrida ein Kulturereignis, welches ein grosses Menschheitsdrama vorführt. Auch beim ehemalige Internetportal Taurosidona ist man sich einig: “Stierkampf ist eine Kunst. Kunst ist etwas das alle Jahrzehnte und Jahrhunderte, Krisen, Kriege und Regierungsformen nicht nur überdauert, sondern sich auch entsprechend ändert. Kunst ist immer ein Spiegel einer jeweiligen Epoche. Das sieht man auch an der corrida”. Es herrscht wohl Übereinstimmung: Kultur, Geschichte und Tradition scheinen sich zu decken. Auch beim Stierkampf. Da wird kaum diskutiert. 

Aber die afición will mehr und geht weiter: Schon seit 2004 ist man bestrebt die tauromaquia von der UNESCO als immaterielles Weltkulturerbe deklarieren zu lassen. Dem Kind gab man sogar einen Namen: El Proyecto Tauromaquia - UNESCO. Ob es jemals dazu kommen wird, das bezweifeln selbst zahlreiche aficionados de toros. Und um der Ehrlichkeit nahe zu kommen, den meisten ist dieses eigentlich auch egal. Und die Befürworter wollen damit lediglich nur erreichen, dass die tauromaquia von den Regierungen geschützt und gefördert wird. Auch als Schutzwall gegen den teilweise auch aggressiv agierenden antitaurinismo.

Und die Tauromachie, Kunst als Gegenstand der Kunst?

Die tauromaquia nicht für die Kunst, sondern als Kunst? Für den bekannten spanischen Schriftsteller Antonio Gala (geb. 1932, Autor von „Die Handschrift von Granada“) ist es klar: „Der Stierkampf ist eine Kunst die vor allem Kopfarbeit und Bewusstsein verlangt! Und “er ist vor allem eine geistige Aufgabe!“. Der Wiener Professor Rainer Bischof (geb. 1947) muss es ähnlich sehen, nennt er sein Hauptkapitel über die einzelnen Phasen des Stierkampfs: „Arte de torear“ (Die Kunst mit den Stieren zu kämpfen). An anderer Stelle bezeichnet er es als “die umfassendste Darstellung des Lebens im Sinne des Theaters”. Also als eine Art künstlerischer Kommunikation zwischen Akteuren und den Zuschauern, zwischen dem torero und dem toro im ruedo und dem Publikum in den tendidos. Und bei Lorenz Rollhäuser (geb. 1953) lesen wir in einem Zitat, dass der berühmte matador de toros Juan Belmonte „besser als jeder andere Künstler gewesen sei“. Keine Frage, viele vertreten den Standpunkt, dass wir hier über Kunst reden. 
Der torero Juan Belmonte (1892 - 1962), "besser als jeder Künstler"
Gewiss, solche Auffassungen sind recht subjektiv. Und es versteht sich von selbst, dass es da auch Andersdenkende gibt: Die schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy (geb. 1965) schrieb, „dass man die Schönheiten einer corrida nur entdecken kann, wenn man bereit ist, über eine Menge Ungeschicklichkeit, Widerwärtigkeit und Durcheinander, über Fehler, Versagen und mangelndes Können, hinwegzusehen.“ Und schließlich stellt sie nach einer schlechten corrida de toros fest, dass “ein solches Gemetzel kaum mit den Begriffen der Kunst zu rechtfertigen sei”. Auch das ist eine Meinung dazu. 

Immer wieder in grösseren Abständen gibt es in der spanischen Hauptstadt Madrid Demonstrationen gegen die tauromaquia: „Stierkampf sei weder Kunst, noch Kultur.” Auch diese Botschaft ist eindeutig. Und selbst der sector antitaurino versucht sich in künstlerischen Elementen um ihre Botschaft der abolición de los toros zu vermitteln.
Wenn antitaurinos kreativ werden
Man kann zu diesem Thema stehen wie man möchte, die tauromaquia liefert als Objekt viel künstlerischen Raum für kulturelle Ansprüche. Die Kunst selbst versteht sich als ein menschliches Kulturprodukt. Der französische Philosoph Francis Wolff sieht in der corrida de toros einen Grundstein für künstlerisches wie kulturelles Schaffen. Wie könne etwas die grössten Künstler der Zeit wie Goya, Picasso, García Lorca und viele andere dazu bringen, Kunstwerke von höchstem Anspruch zu schaffen, wenn das Objekt selbst nicht diese kulturelle Ausstrahlung hätte? Und nicht nur in der Malerei, Musik, Literatur, Theater, Musical oder beim Film auch in der modernen Welt wie zum Beispiel bei der Inspiration der Modewelt durch grosse Namen wie Armani, Christian Lacroix oder Jean-Paul Gautier.
Christian Lacroix, Jean-Paul Gautier, Armani
Die fiesta de los toros bietet wie kaum ein anderes spanisches Kulturelement derart vielseitigen Raum für künstlerisches Schaffen. So Pablo Nadal Moxó, Kritiker taurino der Tageszeitung EL PAÍS, und fügt hinzu, dies alles, trotz Gegenwind aus dem Lager der antitaurinos.

So kann man beobachten, dass ein Grossteil der antitaurinos dieses nicht mal in Frage stellt. Der künstlerische Anspruch von festejos taurinos wird auch fast nie diskutiert. antitaurinos interessieren sich in erster Linie nur für den Rechtsanspruch. Denn sie wissen sehr wohl, würden sie darüber diskutieren, ob Stierkampf Kunst sei oder nicht, würden sie automatisch die tauromaquia in den Stand menschlicher Kulturgüter adeln.

Würde man dem Stierkampf den Kulturstempel entziehen, würde er nicht mehr unter die Kunstfreiheit einer modernen Demokratie fallen. Und ohne dieses Fundament wäre er in der Tat rechtlich wie moralisch angreifbar. Aber der Lauf der Geschichte zeigt die mundo de los toros in einem anderen Licht. Sie kommt aus der Vergangenheit, gehört in die Gegenwart, ist ein Teil von etwas, mit dem sich weit mehr 65 Millionen Menschen identifizieren. Die Evolution taurina ist noch lange nicht am Ende.
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Quellennachweise der 4-teiligen Serie

Cossío, Los toros , Band 10 und 11, Espasa S.L., Calpe 2007 

Wiesbadener Tagblatt vom 11.10.2008 
Theophile Gautier, Reise in Andalusien, Deutscher Taschenbuchverlag, München 1977 
Ernest Hemingway, Fiesta, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1950 
Ernest Hemingway, Tod am Nachmittag, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1957 
Larry Collins & Dominique Lapierre, … oder du wirst Trauer tragen, Goldmann Verlag, München 1988 
Rolf Neuhaus, Der Stierkampf – Eine Kulturgeschichte, Insel Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2007 
Karl Braun, Der Tod des Stieres,Verlag C.H. Beck, München 1997 
Enrique Calvo, Plataforma Taurina Perú, Lima 2011
Antonio GalaPaisaje andaluz con figuras, Editoriales Andaluzas Unidas, Granada 1984 
Rainer Bischof, Heilige Hochzeit, Böhlau Verlag, Wien 2006 
Taurosidona, Deutsches Internetportal über Stierkampf, Medina Sidona 2007
Lorenz Rollhäuser, Toros, Toreros, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1990 
Alison Louise Kennedy, Stierkampf, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1999
Francis Wolff, 50 razones para defender la corrida de toros, Editorial Almuzara, Córdoba 2011
mundotoro, Internetportal, Madrid 2013
The Metropolitano, Modemagazin für Männer, Februar 2014
Pablo Nadal Moxó, Torero, Torero!, Larousse Editorial S.A., Barcelona 1997