____________________________________________________________
von Torodora Gorges
von Torodora Gorges
Die schottische Autorin A.L. Kennedy gilt als talentierte
Schriftstellerin. Ihr Buch „Stierkampf" ist das zweite von drei ihrer auf
Deutsch vorliegenden literarischen Werke. Zugang zum Thema sucht sie auf sehr
subjektive Weise. Im Oszillieren zwischen fiktiver Literatur und Journalismus
entsteht eine Art von Reisebericht. Sie konfrontiert ihre persönliche
Befindlichkeit und Sensibilität mit einem großen Faktenwissen und setzt ihr
psychosomatisches Leiden in Beziehung zu den Qualen der Kreatur. Dass sich ein
Schriftsteller symbolisch ständig dem Todesstoß ausgesetzt erlebt, Literatur
demnach der Tauromachie vergleichbar sei, erkannte vor ihr bereits Michel
Leiris. In erster Linie sucht Kennedy in der corrida de toros emotional-affektive und transzendentale Elemente, von denen sie auch ihren
Schreibprozess bestimmt sieht.
„Ich schreibe dieses Buch, weil ich auf der Suche nach
Glauben bin", erklärt sie im Eingangskapitel „Begegnung mit dem Tod".
Im Kapitel „Glaubensakte" erwägt sie mögliche Gemeinsamkeiten in den
religiösen Wurzeln der corrida und dem Autodafe der Inquisition. Durchgängig kämpft Kennedy mit ihrer
zunehmenden Faszination für das blutige Ritual und dem moralischen Gebot des
Tierschutzes. Sie informiert gründlich und unterhaltsam, wenn auch für
Stierkampfkundige – wie sie selbst einräumt – keine Novitäten geboten werden.
Details behandelt sie dabei bisweilen großzügig: dem im 19. Jahrhundert
berühmten Stierkämpfer Antonio Sánchez, „El Tato", musste nach einer
Hornverletzung das Bein amputiert werden. Man verfiel auf die etwas makaber
anmutende Idee, das verlorene Bein des beliebten Madrider toreros in Formalin
zu konservieren und diese Reliquie im Schaufenster einer Apotheke auszustellen.
Das so zur Schau gestellte Bein – und nicht die Prothese des toreros – wie
Kennedy irrtümlich angibt – wurde später bei einem großen Brand ein Opfer der
Flammen. Mit der schriftstellerischen Freiheit geht die sachliche Genauigkeit
glücklicherweise nur bei der Schilderung weniger Fakten verloren.
Mit besonderer Faszination liest man das letzte Kapitel „Tor
der Angst". Überaus eindrucksvoll und mitreißend schildert die Autorin
ihre Erlebnisse als Zuschauerin von verschiedenen Stierkämpfen mit gegenwärtig
populären toreros in der Arena La Maestranza von Sevilla. Es gelingt ihr, den
Leser miterleben und mitleiden zu lassen, was sie empathisch-literarisch auf
die an der corrida Beteiligten – Tier und Mensch –projiziert. Sie beschreibt
die corrida als Erfahrung eines religiösen Mysteriums und bezieht sich damit
auch auf Federico García Lorca, der seinem Freund, dem vom Stier
getöteten torero Ignacio Sánchez Mejías, durch seine Totenklage ein unvergängliches Denkmal setzte.
Für Stierkampfinteressierte – seien es Befürworter oder
Gegner – ist die Lektüre aller drei Neuerscheinungen empfehlenswert, auch wegen
ihres überwiegend nüchtern-sachlichen Stils (abgesehen von A.L. Kennedys
Transzendenzanmutungen). Die Autoren verzichten auf Pathos und Schwulst, wie
sie oft in Büchern spanischer Herkunft zur rechtfertigenden Abwehr
stierkampfgegnerischer Positionen zu finden sind. Es wird nicht zu leugnen
versucht, dass die Ansprüche an ein Gelingen des Rituals zwischen Stier und
Mensch oft grausam scheitern und die Interaktionen barbarisch tierquälerisch
entgleisen können. Dies – wie die Autoren - vor allem der heute praktizierten,
stark kommerzialisierten Form der corrida anzulasten, kommt jedoch zu sehr
einer nostalgischen Verklärung guter alter Zeiten gleich.
Hier noch eine Anmerkung: Für Stierkampfgegner oder
distanzierte Skeptiker, sofern sie ausreichend Spanisch verstehen, dürfte die
Lektüre einer 2001 in Madrid erschienenen Publikation interessant sein. Unter
dem Titel „Antitauromaquia" hat Manuel Vicent seine seit 20 Jahren
regelmäßig für die Tageszeitung „El Pais" geschriebenen Artikel
aktualisiert und veröffentlicht. Brillant und höchst polemisch kämpft er in der
Form des Pamflets gegen alle denkbaren Stierkampf befürwortenden Argumente aus
den dunklen Bereichen seiner Nation, dem „España negra y irracional".
Unverhohlen empört und drastisch-schonungslos prangert er die blutigen
„Massaker" an, die als Kultur getarnten und vom spanischen König
applaudierten Torturen, die einer demokratischen humanen Gesellschaftsform in
einem vereinten Europa unwürdig seien. -
Werfen wir zuletzt noch einen Blick auf ein literarisches
Meisterwerk, das 1926 in Paris ersterschienen war und vor wenigen Jahren (1998,
Steidl) bei uns neu aufgelegt wurde: „Tiermenschen". In diesem
autobiographischen Roman lässt Henry de Montherlant, selbst ein leidenschaftlicher
„aficionado", der in jungen Jahren eigene Erfahrungen als torero gemacht
hatte, einen alten spanischen Herzog gegen anti-taurinische Vorbehalte
raisonieren: „Man weiß sehr wohl, daß der Stierkampf in unserm Lande der große
Bindestrich zwischen den verschiedenen Ständen ist. Man hat es darauf
abgesehen, durch die Vernichtung des Stierkampfes die Einheit der spanischen
Seele zu vernichten".
Heute, viele Jahrzehnte später, in der Aera der europäischen
Union, wird um den Stier(kampf) nach wie vor polemisiert, argumentiert,
gestritten und gekämpft. Vermutlich wird er die zunehmende Einheit Europas
weder gefährden noch gar vernichten. Vielleicht wird Europa auf den Kampf-Stier
in seiner irritierenden, vielfältige Projektionen zulassenden Faszination genauso wenig
verzichten können wie auf den Stier-Kampf mit seinen Ambivalenz und Widerspruch
beinhaltenden und auslösenden Funktionen.
Kaum bekannt durch die Medien wurde als Folge der Anschläge
in den USA, dass in Eriwan / Armenien nach Überwindung verschiedenster
Hindernisse am 7. September im Jahre 2001 eine corrida mit spanischen toros und
toreros stattfand. Ein Land, bisher europäischer Außenseiter, nähert sich
Europa über den Stier, - eine absurde Vorstellung?