____________________________________________________________
von Dr. Andreas Krumbein
Fehleinschätzung Nr. 2: „Ich glaube nicht, dass da viele hingehen!“
„Schaut einmal:
wir haben drei Freikarten für das … Gran
Final Certamen Huelva Busca Un Torero.”
„Was ist denn das?”
„Eine novillada sin picadores.”
“Und was
heisst certamen?”
“Das muss ich erst
nachschlagen.”
„Gehen wir da hin?“
„Na sicher, gehen wir da hin! Is‘ doch
wohl klar! Übermorgen. Da brauchen wir aber wohl nicht besonders früh da zu
sein. Da finden wir sicher gut Platz. Ich glaube nicht, dass da viele hingehen!
Wenn für so etwas schon Freikarten ausgegeben werden.“
Wir nähern uns
der plaza und schon von weitem hört
man aufgeregtes Stimmengewirr, durch alle Eingänge laufen – nicht gehen –
Leute, sowohl hinein als auch hinaus. Ich werde unruhig.
„Ach Du Scheisse, das
ist ja total voll!“
„Ich seh’s!“
„Wir dürfen uns nicht verlieren!“
„Ja,
ja!“
Wir schaffen es bis in die andanadas,
zu den billigsten Plätzen ganz
oben in sol, zu allen anderen Ebenen
haben uns Ordner den Zugang verwehrt: alles voll! Die Sitzplätze sind alle
belegt, die Menschen stehen in den Gängen, auf den Treppen, sitzen auf den
Überdachungen der Treppenaufgänge, stehen auf jedem Stück Fläche. Im sombra sieht man Leute, die ganz oben
auf dem Dach direkt neben den Fahnenmasten stehen und dort bis zum Schluss
bleiben werden. ¿Hasta la bandera?
Ach deswegen!
Besucher in
sol beim Gran Final Certamen Huelva Busca Un Torero:
Der Anblick täuscht, so wenige Leute
wie auf dem Foto waren es nicht.
|
Wir setzen uns zu
den anderen auf das Dach des Treppenaufganges, der zu den andanadas führt. Dort sitzen schon zehn bis zwölf andere.
Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Etwa dreissig Prozent der Besucher sind Jugendliche und
Kinder. Etliche Leute stehen in den Gängen, die aussen um die Sitzplätze der plaza herumführen und zu den einzelnen tendidos führen. Sie sind nur da und
schauen gar nicht zu.
Es war
anstrengend. Unsere Tochter konnte sehr gut sehen. Meine Frau und ich nicht so
gut: zwischenzeitlich mussten wir aufstehen und hatten das Dach vor den Augen. Unsere
Tochter hatte jemanden kennengelernt. Alles in allem war es super! Schon wieder
was gelernt: Trotz Freikarten unbedingt überpünktlich sein! (Ausserdem: kein
Suppenfleisch kaufen und frühzeitig Betten buchen!)
Der schmucke Sieger des Gran Final Certamen Huelva Busca Un Torero 2011
|
Fehleinschätzung Nr. 3: Zur Feria tragen Mädchen
Flamenco-Kleider.
Im Jahre 2010 trug in Málaga
zur Feria manch junges Mädchen sein traje
de flamenco, sowohl auf dem recinto ferial
als auch zur corrida de toros. Und
unsere Tochter tat es ihnen gleich. Sie war eine unter vielen. Im Jahre 2011 in
Huelva war sie die einzige, sowohl auf dem recinto ferial als auch bei den Stieren.
„Ich bin ja die einzige, die ein Flamenco-Kleid
trägt!“
„Ja, ist mir auch schon aufgefallen!“. Sprach’s und kümmerte sich
nicht weiter darum.
Die schweren Peinlichkeitsattacken der Pubertät waren noch
entfernt. Auf dem recinto ferial kümmerten sich
auch die anderen nicht darum. Bei den Stieren schon, vorwiegend ältere Damen.
„¡Qué bonita!“ (Wie hübsch)
„¡Qué guapa es!“ (Wie schön sie aussieht)
„¡Guapita!“ (Schönheit)
Dann kamen die gutgemeinten
Einladungen: pasteles (Kuchen) hier, ein
Scheibchen jamón (Schinken) dort, ein bocadillo de chorizo (Brötchen mit Paprikawurst) ein Händchen voll pipas, doch mit eiserner Konsequenz wird
jedes Angebot verschmäht, und allmählich gefriert das freundliche Lächeln der
älteren Damen. Zum verschämten Lächeln der Eltern gesellt sich das Gefühl der
Peinlichkeit über das ungezogene Kind, das sich nicht zu benehmen weiss. Welch
Makel! Ein Waterloo!
„Sie isst ja wie in Vögelchen!“
„Kein Wunder, so
zaundürr wie sie ist!“
„Du musst mehr essen!“ Stimmt! Tut sie aber nicht.
Der Sieger dankt einer jungen Besucherin für ihr Kommen;
die Besucherin hat statt des Flamenco-Kleides ihr zweitschönstes Stück gewählt.
|
Das Mädchen
Auf dem Dach des
Treppenaufganges ist noch ein anderes Mädchen. Es hat blonde Haare. Der matador
stellt sich zu estocada auf und
profiliert. Da ergreift eine Frau den blonden Kopf und drückt ihn fest an ihren
Bauch, so dass das Kind nicht mehr sehen kann. Das Mädchen versucht den Kopf zu
drehen, doch Mutter hat sie fest im Griff. „Guck‘ da nicht hin!“, sagt sie gut
vernehmlich auf Deutsch. Die Menge jubelt, der Stier geht in die Knie, die puntilla fährt ins Genick. Mutter gibt
den Kopf frei. Alles verpasst!
Beim nächsten
Stier während der banderillas spricht
Vater. „Das tut dem Stier überhaupt nicht weh! Das muntert ihn auf.“, sagt er
zur Tochter, auch auf Deutsch. Meine Frau und ich schauen uns an und verdrehen
die Augen: muss das denn sein, den Kindern solch einen Stuss zu erzählen?
Der Gewinner 2011, der novillero David de Miranda |
Die beiden
deutschen Mädchen haben sich gefunden. Während des folgenden Stieres hocken sie
die ganze Zeit zusammen und unterhalten sich. Aufgepasst haben sie wohl kaum. Die
Eltern betrachten die beiden und lassen sie. Der matador stellt sich zu estocada auf und profiliert. Die Eltern
betrachten die beiden und lassen sie.
"Findest Du es schlimm, wenn der
Stier getötet wird?", fragt das Mädchen.
"Nö!", sagt unsere
Tochter.
"Ich auch nicht.", sagt das Mädchen, "aber meine Mutter
will nicht, dass ich das sehe."
Warum nur?
Fleisch
Steht man vor der puerta grande der Plaza de Toros de la Merced in Huelva und geht man am Tag
nach den Stieren links um die plaza herum und findet nach einer Viertelrunde den
nur dann geöffneten Laden, aus dem heraus ein Fleischer das Fleisch der Stiere
vom Vortag verkauft. Auch hier gilt die dritte neue Regel: unbedingt
überpünktlich sein! Sonst gibt’s nichts mehr.
Ich komme dreissig Minuten vor Ladenöffnung. Vor mir stehen etwa zwanzig Personen. Ich stelle mich
dazu. Die Leute wirken erschöpft und verschlafen, einige haben sich hingesetzt.
Die Reihenfolge ist allen klar.
Ein schwarzer
Wagen mit getönten Scheiben hält. Aus dem Fond steigt Doña Jimena. Sie hat
pechschwarz gefärbte Haare und trägt schwarze Pumps. In den Händen trägt sie
zwei leere Taschen aus schwarzem Kunstleder. Auf ihrem üppigen,
zusammengebundenen Busen wippt ein großer, dunkelgrüner Stein. Modeschmuck. Beim
Gehen biegen sich bedrohlich die Unterseiten ihrer Pumps durch. Man spürt: sie
wird den Konjunktiv falsch verwenden.
„Ist dies das
Ende der Schlange?“
Die Leute schauen träge auf.
„Ja, ja, ich bin die letzte.“,
sagt eine Frau mit braunem Haar. Doña Jimena wartet.
„Ist das hier mein Platz
oder Ihrer?“, wendet sich Doña Jimena an die Frau mit dem braunem Haar.
„Das
ist meiner. Sie kommen nach mir.“, antwortet die Frau. Alle warten.
„Das war
doch mein Platz, nicht wahr?“, fragt Doña Jimena in die Runde und zeigt auf den
Platz vor der Braunhaarigen. Die Leute schauen verdutzt, einige grinsen.
„Nein,
das ist mein Platz.“, sagt die Frau mit dem braunem Haar leicht genervt, „Ihr
Platz ist hinter mir!“
Am Laden werden
geräuschvoll die Rolläden hochgezogen: es geht los! Alle drängen gleichzeitig
auf die Ladentheke zu und geben lauthals ihre Wünsche den drei Verkäuferinnen
zu Gehör, die wie die Verrückten Fleisch aus riesigen Wannen herausnehmen, es
zerteilen, einpacken, kassieren, Wechselgeld herausgeben und sich zwischendrin
den Schweiss von der Stirn und die Hände an ihren Schürzen abwischen. Währenddessen
bringen Männer weitere gefüllte Wannen aus dem Inneren des Ladens nach vorne. Doña
Jimena ist dran und lässt sich ihre zwei Kunstledertaschen bis zum Rand füllen.
Sie bezahlt 120,00 EURO. Nach ihr kommt die Braunhaarige. Ich selbst kaufe ein Kilogramm solomillo und beachte damit
die neue Regel Nr. 1.
Nur für die Härtesten: Carne de tercera (Lepe, Huelva,
2008),
bevor ich es in einer Pfanne in ein Brett verwandelt habe.
|
F o r t s e t z u n g f o l g t !