Sonntag, 9. August 2009

Und wenn die Zuschauer Kinder sind? (2.Teil)

Der Stierkampf

Zurück an der barrera, erschien der Nachwuchstorero Jony de Ronda (Jonathan López, Canal Sur Zuschauer kennen ihn sicherlich). Auch ihn fand sie charmant, redete mit ihm und bekam ihr erstes Autogramm eines Stierkämpfers: „Para Alexandra, con cariño, Jony López“.

Der Gang vor uns begann sich zu füllen, es gab einiges zu sehen und durch die Nähe auch viel zu hören. So begann ich zunächst einmal ihr alles im Detail zu erklären: Wo der Präsident sitzt und wie er mit verschiedenen Tüchern die Veranstaltung leitet, wo der Stier rauskommt, von wo gleich die Musik ertönen wird, woran man die novilleros erkennt, und, und, und.… und sie hatte immer noch und wohl auch gerechtfertigte Bedenken den Stier gleich leiden zu sehen.

Die Plaza de toros hatte sich nun mit knapp 6.000 Zuschauern gefüllt als die Musik ertönte. Der Paso Doble gefiel ihr auch jetzt, und als die jungen Stierkämpfer einzogen spürte sie ein inneres Kribbeln. Es gab so viel zu sehen und zu beobachten, dass sie eigentlich gar nicht wusste wo sie hinschauen sollte.

Schließlich ertönte das Signal für den ersten eral. Das toril ging auf, das Kalb stürmte heraus. Und beim besten Willen, dass war nun wirklich kein Kalb mehr, sondern eher ein kräftiger kleiner Jungbulle. Dieser fegte einmal durchs Rund und rammte seine Hörner direkt vor uns in das burladero. Krachend flogen Späne und meine Tochter wich mit ihrem Oberkörper zurück, dachte sie doch, dass er gleich zum Sprung ins Publikum ansetzten würde. Ich klärte sie auf, nein, zum einen ist er dafür noch zu klein und zum anderen haben wir hier dicke Drahtseile, die uns schützen. Bei den nächsten Angriffen blieb sie standhaft.

Doch dieser erste Zusammenprall löste bei dem kleinen Mädchen eine völlig unerwartete Reaktion aus. Ihr Mitleid für das Tier wurde, bei soviel Kraft und Gewalt die sie da in unmittelbarer Nähe auf sich zugekommen sah, geradezu entmachtet. Da man jenes Geschehen praktisch aus derselben Perspektive wie die toreros im callejón betrachtete, also man kann sagen aus einer menschlichen Torero-Sichtweise, hatte sie zunächst ein Gefühl, dass ihr sagte, dass die Festung Mensch erst einmal zu verteidigen sei. Das Objekt des Mitleides verwandelte sich in eine Form unmittelbarer Gefahr, gar in eine Bedrohung, etwas dass es zu bezwingen gilt. Sie erkannte die körperliche Kraft des Stieres gegenüber der menschlichen Intelligenz. Umso beeindruckter fand sie es, als der erste Jungtorero sich diesem Ungetüm gegenüberstellte. Und schnell fand sie die Momente der Bewunderung für die einzelnen Bewegungsabläufe, der Eleganz und wo sie schon bald mit dem Publikum in ein kräftiges „olé“ einstimmte.

Beindruckt, schockiert aber auch ein wenig ängstlich zeigte sie sich, als ein eral einen der Stierkämpfer drei Mal erwischte. Der torero wurde durch die Luft gewirbelt, fiel unsanft auf die Erde, seine chaquetilla wurde zerrissen, die Schuhe, die so genannten zapatillas hatte er verloren und über sein Gesicht und die Weste strömte Blut. Und immer wieder kehrte der junge Mann zurück ins ruedo, um im Angesicht seines Rivalen seine Arbeit fortzusetzen. Ich erklärte ihr, warum weitere Begegnungen mit dem eral nun gefährlich seien, denn der Stier hätte nun erkannt, dass nicht das rote Tuch der Feind ist, sondern die Person daneben. Als schliesslich jemand aus dem callejón schrie, “mátarlo ya!”, töte ihn jetzt, stimmte meine Tochter ihm beinahe schon wie eine eingefleischte aficionada zu.

Das Blut hat sie fast nicht wahrgenommen. Und dabei hatten wir die Tiere fast immer direkt vor unseren Augen.

Es ging sogar noch weiter. Sie verstand den Sinn des picadores, und fand den Akt mit der Lanze für sich selbst auch gar nicht mehr so grausam wie es sich auf dem Bildschirm des Fernsehers darstellte.

Schließlich kam noch der Lokalmatador Javier Conde vorbei und wieder gab es einen netten Wortwechsel plus Autogramm.

Fazit

Meiner Tochter hatte es gefallen. Und sie würde gerne noch weitere Stierkämpfe besuchen.

Für einige Leser wird es sicherlich etwas grausam anmuten, dass ein Vater ein neun-jähriges Mädchen zu einem Stierkampf und dann auch noch in so unmittelbarer Nähe mitgenommen hat. Aber gerade diese Nähe ließ sie in das Thema eintauchen, da sie mit toreros und afición im Dialog stand, genauso litt, sich erschreckte oder freute und mit Vergnügen das weiße Taschentuch schwenkte. Und von der ersten Minute an hatte sie die Möglichkeit zu gehen.

Auch die Erkenntnis, dass die Menschen rund um den Stierkampf nicht weniger sympathisch sind, als die aus dem “normalen” Leben hatte sie nicht erwartet. So die alte Dame, die neben uns sass und ihr viel über Stierkampf zu erzählen wusste. Oder der dicke Zigarren rauchende Urandalusier hinter uns, der lautstark seine Anmerkungen in die Arena schrie. Diese wiederum, wurden von dem eleganten Herren, weiter rechts von uns, mit der Anmerkung kommentiert, er solle doch erst einmal das Regelwerk studieren, bevor er hier so dummes Zeug von sich gebe.

Eine Anmerkung zum Schluss: Dieser Wettbewerb der Stierkampfschulen von Málaga im Jahr 2008 mit seinen vier Veranstaltungen wurde von über 30.000 Zuschauern begleitet. Ein Großteil davon Familien mit ihren Kindern.