Mittwoch, 11. September 2013

Morante, wie lassen sich diese Emotionen eigentlich erklären?

Was ist in Ronda geschehen?
Warum sind alle ausser Rand und Band,  geradezu im Rausch einer Ekstase?
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von Philip de Málaga

Wie schafft es ein einzelner torero, ein einzige Person, ein menschliches Wesen, das Publikum in den tendidos in einen solchen Rausch zu versetzen? Zunächst einmal sei festgestellt, gewiss nicht viele maestros beherrschen diese Kunst. Aber wenn einer dazugehört, dann ist es mit Sicherheit der matador de toros Morante de la Puebla. Der torero artista, der Boheme aus Sevilla

Schon lange nicht mehr war die corrida goyesca in Ronda so schnell ausverkauft wie in diesem Jahr. Und das bei einem torero der manchmal doch etwas launisch an die Sache ran geht. Es könnte passieren, dass absolut gar nichts geschieht. Gar nichts? Nein, eigentlich kann man das so nicht im Raum stehen lassen, denn irgend etwas ereignet sich immer, und wenn es nur ein gerade mal einziger wahrnehmbarer Augenblick ist. Ein kurzer Moment, wenige Bewegungen, einige Sekunden, die eine Sensibilität auslösen, wo den Zuschauern einfach die Luft stehen bleibt. Nicht aus Angst, sondern seine unverkrampften Bewegungen, seine Natürlichkeit, seine leichten hingebungsvollen Gesten mit den toros sind es, welche die Gefühle in die tendidos übertragen. Am liebsten würde der Zuschauer die Hände spüren, mit der die capa geführt wird und drückt dabei ähnlich wie Morante die Füsse auf den Boden ohne sie zu bewegen, oder das Vibrieren des eigenen Körpers, wenn der toro der muleta folgt. Die eigene Brust spannt sich, man hält für den Bruchteil einer Sekunde den Atem an, der Stier gleitet knapp vorbei am Körper des toreros und läuft ins Leere. Es sah so einfach, so natürlich aus, obwohl Morante mit seinem Leben gespielt hat. Und wenn dann die Olés kommen, verschafft man sich Luft, kann noch kaum begreifen was man gesehen hat und der ganze Körper erfreut sich eines Gefühles, einer Ergriffenheit, dass man dabei gewesen ist, auch wenn es nur wenige Sekunden waren.

Eine Frage scheint nicht ganz unberechtigt. Versteht, begreift Morante selbst, seine Aktivitäten im ruedo? Es war wohl 2007, als der maestro sich zurückgezogen hatte. Keiner wusste eigentlich genau warum. Und schliesslich erschien in der Presse eine Mitteilung: "Ich entschuldige mich bei allen, und ich bedaure sehr, dass ich ihnen die Gründe dafür nicht klar vermitteln kann". Ob er nun nicht wollte oder nicht konnte sei mal dahin gestellt. Das soll jetzt aber keine Anspielung darauf sein, dass Morante sich geistig gar nicht im Griff haben könnte sondern es erinnert einen an den matador de toros Juan Belmonte (1892 - 1962), der mal gesagt hat, wenn er im ruedo steht, bekommt er vom Publikum nichts mit. Er nehme die Leute nicht wahr und konzentrierte sich voll auf den toro wobei die Bewegungen nicht selten wie von alleine abliefen, eben wie in einer Trance. Ein Delirium dass sich dann auf die tendidos übertrug. Ist es bei Morante eventuell ähnlich?

Gewiss, ein Besucher einer corrida kommt jeweils mit einer anderen Vorstellung, einer differenzierten emotionalen Ergriffenheit, auch gefühlsmässigen Belastbarkeit zur plaza de toros. Aber sie haben alle etwas gemeinsam. Wenn Morante seine Füsse zusammenstellt und still verharrt geht eine Vibration durch das Rund der tendidos, wie bei keinem anderen matador. Man weiss was kommt und wünscht sich sehnlichst die Zeitlupe.

Eine Szenerie der Einzigartigkeit. Etwas was in Erinnerung bleibt. Worüber die afición noch lange sprechen wird. Bei der wahren tauromaquia der toreros artistas geht es nicht um das Ansammeln von orejas oder indultos sondern um Momente der unvergesslichen Zweisamkeit zwischen torero und toro, der einzigartigen, mutigen bis hin zur eleganten Darstellung des Lebens, des Überlebens, ein Mysterienspiel mit dem unausweichlichen Ende des Todes.