Dienstag, 9. Oktober 2018

Momente vor der Gefahr

Wenn die Toreros vor der Begegnung mit dem Stier
in sich gehen ...
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von Philip de Málaga


Son las cinco de la tarde. Fünf Uhr Nachmittags. Die corrida de toros gehören zu den wenigen Dingen in Spanien, neben den kirchlichen Messen, welche stets auch pünktlich beginnen. Nach dem paseillo, dem von dem Publikum bejubelten Einmarsch der toreros, tauschen die Helden des ruedos den capote de paseo gegen eine capa de brega aus, vollführen mit viel temple noch einige suertes, und das festejo taurino kann beginnen. 

Ein nachdenklicher Belmonte.
beim Ankleiden für die toros.
Schon seit dem Hotel, wo sich die toreros langsam die traje de luces anziehen, ein durchaus etwas längerer Prozess, tauchen sie tief in ihr Inneres. In Gedanken sind sie schon bei ihrem toro im ruedo. Arme und Beine bereiten sich mental auf die suertes vor und man fragt, was wird dieser tarde de toros wohl bringen? Was muss man geben um zu triumphieren. Werden diese toros überhaupt zulassen das man die Plaza de Toros durch die puerta grande a hombros mit zahlreichen trofeos verlassen kann? Oder wird man mit silencios, einem broncazo, einer cornada oder gar dem muerte abgestraft? 

Wie geht man mit der Angst um? Ohne Frage sie ist da, präsent bis man vor seinem toro steht. Das Gefühl das man einer Situation begegnen wird, welche man als bedrohlich, gar als gefährlich empfindet. Angst, eine Aufforderung zu Disziplin, eine Anweisung zur Vorsicht. Angst ist wichtig, nicht nur überlebenswichtig, sie steht auch für den Respekt dem toro gegenüber. Ein toro bravo ist nun mal ein gefährliches Wesen. Im ruedo sieht er sich bedroht und wird alles und jeden angreifen was ihm im Weg steht. Und nicht zu langsam, denn ein toro beschleunigt schneller als ein Rennpferd. "Ich liebe den toro wie den Mond, je weiter weg, umso besser", erkannte schon der spanische Schriftsteller Federico García Lorca. Vor die Hörner eines toro bravos sollte man sich erst begeben, wenn man die Kunst des toreos auch beherrscht.

Der berühmte matador de toros José Miguel Arroyo "Joselito" bekannte mit 45 Jahren, vor seiner vorerst letzten corrida de toros in Istres (Südfrankreich): "Ich hatte stets ein wenig Angst wenn es zur patio de cuadrillas ging und ich wusste nicht, was mich erwarten wird. Nur eine Illusion oder so überwältigt dass ich nicht einmal atmen kann."
Der maestro "Joselito" hat seinen espada gegen einen Montblanc
ausgetauscht um sein pensamiento taurino schriftlich zu erfassen.
"Ich weiss auch nicht, ob ich dem entspannt entgegensehen kann oder ob es gar eine Bedrohung werden könnte. Diese Menschenmenge die da auf einen einstürmt, zahlreiche Glückwünsche sind zu hören, und ich frage mich, was reden die da, bin ich doch in diesem Moment halb tot vor Angst".

Einer der wohl berühmtesten toreros des letzten Jahrhunderts war der aus dem andalusischen Sevilla stammende Juan Belmonte García (1892 - 1962). Mehr noch, für viele aficionados gilt er selbst heute als der beste wie populärste torero der Geschichte der tauromaquia. Aber trotz seiner Popularität nahm der maestro an einem tarde de toros sein Publikum kaum wahr: "Von dem Moment  an wo ich mir die traje de luces anlege bis zum Ende der letzten espada bin ich alleine. Meine Gedanken und mein Handeln gehören nur dem toro. Im ruedo sehe ich kein Publikum; als ob eine gewaltige Käseglocke über uns steht, sehe und höre ich nichts anderes als den toro".
Der matador de toros Juan Belmonte, "alleine" in einer Plaza de Toros.
"Wenn der toro passiert, geschieht es. Aus zwei wird eins. Toro und torero werden zu einem Kunstwerk von verschieden pases, einer Harmonie von Mensch und Tier, etwas was diejenigen die man nicht sieht in Ekstase bringen soll".

Der aus dem Baskenland kommende matador Iván Fandiño (1980 - 2017) wurde im Juni 2017 im Alter von 36 Jahren von dem toro Provechito in der Plaza de Toros in Air-sur-l`Adour getötet. 
Der matador de toros Iván Fandiño im callejón.
Der Baske fixierte seine komplette mentale Konzentration auf die Arbeit mit dem toro dem er gleich gegenüberstehen würde. Es galt auf jeden Fall die Leute in den tendidos bei Laune zu halten: "Ich bin ein torero des Volkes. Und das Volk will Helden und Heldentaten! Es will unterhalten werden. Ich habe eine Verabredung mit der Geschichte, und wenn ich sterbe, sterbe ich frei. Denn für mich ist die Freiheit kein Abkommen, keine Abmachung, sondern eine tägliche Rebellion. Ich bin der Eigentümer meines Zieles, der Kapitän meiner Seele. Und meine Seele sucht die Einsamkeit und die Stille".

Der Franzose Sebastian Castella (Jahrgang 1983) steht im aktuellen escalafón an siebter Stelle. Ein torero der mit viel Ruhe nahe an den Hörnern arbeitet. Er war der erste französische matador der 2004 die puerta grande in Las Ventas von Madrid öffnete. 
Der Franzose Sebastian Castella.
"Es geht gar nicht darum den triunfo zu suchen, sondern darum, seinen eigenen Weg zu finden. Doch was tun, wenn der toro es nicht zulässt? Was tun wenn einem die Ideen ausgehen? Auf solche Gedanken sollte, nein, darf man erst gar nicht kommen. Man sollte sich nur auf den toro konzentrieren, nur er macht es möglich, damit man seinen Weg finden kann."

Den wohl berühmtesten Gedanken vor einer corrida de toros hatte im Jahr 1964 der schon 28-jährige matador  de toros Manuel Benítez "El Cordobés" vor seiner confirmación in Las Ventas von Madrid
Der weltweit bekannte matador Manuel Benítez "El Cordobés" beobachtet das ruedo.
Zu seiner Schwester sagte er: "Heute Abend kaufe ich dir ein Haus ... oder du wirst Trauer tragen". Puerta Grande o la de la enfermería. Welche Gedanken gingen wohl ihm durch den Kopf, als er im callejón auf seinen ersten toro wartete . . . und er wusste noch nicht, dass er einen toro impulsivo zugeteilt bekommen hat. Ein toro der ihn mit einer cornada verletzt und ihn in die enfermería befördert. Doch El Cordobés lässt es nicht zu, eilt verwundet zurück ins ruedo und tötet den toro. Ein oreja und eine Karriere begann. Auch deswegen, weil die corrida live im spanischen Fernsehen übertragen worden ist.
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Quellennachweise:

Joselito: "Me da miedo llagar a la plaza", Trujillo, La Razón 14. 6. 2014
Der Stierkampf - Eine Kulturgeschichte, Rolf Neuhaus, Insel Verlag 2007
Pensamientos, Toros & Cultura 2015
Alma taurina, Opinión, 4.09.2014
... oder du wirst Trauer tragen, Larry Collins, Dominique Lapierre, Goldmann Verlag 1993

Fotos: mundotoro, Toro & Cultura, Querétaro, Pedro Quintañol