Sonntag, 17. April 2016

Der Himmel über Sevilla, und mit dem Toreo ihm so nahe!




von Phillip de Málaga
(Photos: mundotoro, SfA, Cultoro)


Morante kommt ... 
und nur wenige Sekunden setzen die königliche Maestranza 
in einen Rausch des unnachahmlichen toreo eines Genies
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Wenn eine plaza de toros wie die Real Maestranza de Sevilla sich hasta la bandera mit Rang und Namen aus der andalusischen Hauptstadt füllt, wenn unter den toreros beim paseillo nur einer ist, der einen Namen eines Genies, eines, nein, des Boheme der tauromaquia trägt, wenn die Sonne mit ihren Strahlen den maestros beim paseillo in das Gesicht leuchtet und der Wind die Gegenwart spüren lässt, dann ist er gekommen, der Moment der Erwartung. Der Puls bleibt stehen und wartet auf seinen Einsatz. Die Brust ist angespannt, das Herz erfreut sich dabei zu sein, diesen Moment mitzuerleben können. Es ist soweit. Die Maestranza ist vorbereitet.
Der paseillo, dem Licht entgegen um den Himmel zu erobern.
Und die 13.000 aficionados de toros in den tendidos des ausverkauften coso von Sevilla sollten nicht enttäuscht werden.

Morante de la Puebla, der andalusische torero, der erste matador de toros, dem es gelungen ist, das toreo in diesem modernen Zeitalter, fern ab seiner mittelalterlichen Entstehung und den Wurzeln in der archaischen Distanz, als Selbstverständlichkeit im Bereich der Kunst, dem kreativen Schaffen neuer Inspirationen, zu integrieren. Wegen ihm sind sie gekommen. Sie kamen um den morantismo zu spüren, zu sehen und zu erleben, selbst wenn es nur für wenige Minuten ist. Nach dem historischen indulto vom vergangenen Mittwoch wollte man mehr, man hoffte dem Himmel der toreros noch einmal näher zu kommen. Noch einmal in diesen Tagen an der Geschichte der tauromaquia teilnehmen zu können.

Dann kam er, nach einem silencio, einer ovación und einem oreja, der vierte toro des Tages. Sein Name Dudosito von der ganadería Nuñez de Cuvillo. In der Feria de Abril der achte toro von Morante. Seine letze Möglichkeit die Himmelspforte zu öffnen. Und was da durch das toril ins ruedo stürmte zeigte Klasse, bravura, ein toro zu Verlieben. So sah es auch der Künstler. Das Kinn an die Brust gepresst, den capote führend, beobachtet er den vorbei gleitenden toro, variierte und bestimmte das Tempo, kontrollierte das Geschehen und der Puls der Tausenden um das Rund verteilt begann zu beschleunigen.

Ein verónica mit der capa.
Der capote von Morante, wenn der toro mitspielt, bezaubert. Und Dudosito tat ihm den Gefallen. Galoppierend nahm er die Manöver der chicuelinas und andere an, während der diestro ihn mit  geschlossen Beinen empfing und ihn mit seiner typischen media verónica in das Leere laufen liess.


Bei so viel Euphorie und Begeisterung kam die Wahrheit vor dem abschliessenden momento de  verdad. Jenes Drittel, was entscheiden wird über Niederlage und Triumph oder gar einem peinlich anmutendem silencio im Publikum. Der toro kam und Morante war schon da. Stand sicher auf dem Sand im ruedo und nahm in aller Ruhe seinen Angriff entgegen. Der Zeitlupenmodus sprang an. Mit der tiefgeführten muleta erreichten Anfänge emotionaler Strömungen die tendidos. Bién hörte man von den Plätzen. Erneut passiert der Stier, mit der rechten Hand langsame derechazos. Da steht der diestro fest auf seinen Beinen, mit aufrechter Haltung, mit tiefem Einblick in die Gestaltung und Durchführung seiner Manöver, die natural, so langsam, welch eine Langsamkeit, so tief, das man die Luft anhält, ai, que profundo, und das Publikum beginnt zu träumen. Träume die wahr werden. Da ist sie, die Realität, die man sich wünscht. Genau jene Momente warum es in der Real Maestranza de Sevilla ein No hay billetes gab, und vielen der Zutritt versagt worden ist. Ein gesellschaftlicher Highlight in Andalusien in dem die mundo taurino triumphiert. Der temple den Atem des Windes anhalten lässt. Und da sitzt nun der Morantista, der aficionado, der taurino auf seinem asiento, schaut auf das Erlebte und kann es kaum fassen. Was hat er da nur gesehen? ¡Madre mía, que torero, que Morante! Die schleichende Ruhe im torero, das rasante Tempo im eigenen Puls. ¡Que fiesta! 

Nah am toro und in aller Ruhe, ganz langsam, eine natural.
Und dann? Dudosito wehrte sich. Ja, er griff stets die muleta an und entwaffnete den torero. Das rote Tuch glitt zu Boden und der hölzerne Stab, der estaquillador zerbricht. Da stand er nun, der matador ohne seine Bewaffnung, ohne Schutz, ohne Ablenkung. Die banderilleros strebten an, ihm zur Hilfe zu eilen, den toro abzulenken, eine zweite muleta zu bringen, doch der maestro Boheme entschied mit genialer Inspiration anders. Er nahm die ein wenig zweckentfremdete muleta wieder auf, ergriff sie mit seinen beiden Händen wie eine capa, rechts und links vom roten Tuch, stellte sich erneut dem toro, liess ihn angreifen und schwenkte die muleta wie ein capote, eine media verónica, oléque bonita, que belmontina, que pureza, der pure toreo war wieder neu geboren, er war einfach wieder da. 
... und eine media verónica mit der muleta.
Da stand er nun, der neugeborene Morante, voll und ganz auf das Wohl des toros seines Dudosito konzentriert. Belmonte war wieder erschienen. Er war dort. Sein Herz schlug einfach so plötzlich in den tendidos, in den Herzen der aficionados.  

Morante hat es geschafft. Ob eine Zigarre rauchend an der barrera sitzend oder im ruedo, der toreo ist arte, ist Kunst. Er hat es soeben bewiesen. Demonstriert. Mehr noch. Das Herz angesprochen. Eine Explosion der taurinischen Gefühle verursacht. Man ist wieder da. Man versteht, wonach man gesucht hat. Wie kann man da aufatmen, wenn man soeben gespürt hat, was man nie für möglich gehalten hat? 

Die puerta grande hat sich für den torero aus Andalusien geöffnet. Der paso doble erklingt. Die Himmelspforten sind gnädig mit der afición und breiten weit auf ihre Tore für neue Inspirationen.  Und um den Himmel zu erreichen, mussten wir schon sehr weit zurück blicken. Ganze 25 Jahre ist das her, wo der berühmte Ausspruch über den kolumbianischen diestro César Rincón in allen Medien zu lesen war, als er 1991 in einem Jahr vier mal die puerta grande in Las Ventas öffnete: "Cesar Rincón in Madrid kämpfen zu sehen, ist wie Gott etwas zu fragen und er antwortet dir". An diesem tarde de toros in Sevilla, in der königlichen plaza de toros der andalusischen Hauptstadt, waren wir genau dort wieder angelangt. 
Dos orejas!
Danke an Morante, Danke dass wir diesen Moment noch einmal erleben durften. Muchas gracias, maestro de la Puebla.