Sonntag, 16. Oktober 2016

Kolosse auf ganz dünnem Eis





mit Siniša Vidović


Interview mit dem Regisseur des Films Korida 
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Im März diesen Jahres berichtete SfA im Beitrag Drei Nationen - Zwei Stiere - Ein Kampf über den Dokumentarfilm Korida. Der Regisseur Siniša Vidović stellt sich den Fragen von Philip Wagenhofer, dem Ressortleiter für Kultur der christlich sozialen Tageszeitung Neues Volksblatt aus Österreich.
Der Regisseur Sinisa Vidovic und Philipp Wagenhofer
PHILIP WAGENHOFER: Erstmals ist mir der bosnische Serbe Siniša Vidović 2008 aufgefallen, als er seine Abschlussarbeit an der Kunstuni, „VaterMorgana“, bei Crossing Europe vorstellte. Es war ein sehr professionell gefertigter 20-Minuten-Film. Der mehrfach preisgekrönte Regisseur aus Linz, der auch für Parov Stelar, Backaldrin und Runtastic gedreht hat, bringt diese Woche seine packende Doku „Korida“ über Stierkämpfe in Bosnien-Herzegowina in die Kinos.

Wie sind Sie auf das Thema gestoßen?

VIDOVIĆ: Das Thema habe ich entdeckt, als ich bei meiner Familie in Bosnien zu Besuch war. Mein Cousin hat eine DVD von einer Korida eingelegt, um zu sehen, wie die Kämpfe vom letzten Wochenende waren. Die werden wie Fussballspiele aufgenommen, am Montag liegt das schon auf der Tankstelle zum Verkauf. Ich habe sofort gedacht, wow, das ist so etwas, wonach ich gesucht habe, etwas Neues, das keiner kennt. Über Stier gegen Stier wurde noch kein Film gedreht. Zuerst war ein Spielfilm geplant, dann habe ich die politische Ebene mitbekommen und gedacht, mit einem Dokumentarfilm kann man viel authentischer und intensiver arbeiten. Die politische Situation in Bosnien ist momentan sehr, sehr geladen, seit 20 Jahren gibt es diese Reibereien. Wir haben drei Seiten, die bosnischen Serben, die bosnischen Kroaten und die bosnischen Muslime bzw. Bosniaken, jede Seite zieht ihre Leute zu sich und gibt den anderen die Schuld. Ständig wird Angst gemacht, als würde ein Krieg ausbrechen.

Werden Koridas von allen Gesellschaftsschichten besucht?

Viele haben Vorurteile gegen Koridas: „Das ist etwas für Bauern, Proleten, für die Unterschicht“, haben sie zu mir gesagt. Ich blieb nicht bei Vorurteilen hängen, sondern an der Friedensgeschichte: Obwohl die Leute dort einfach sind und im Krieg heftig gekämpft haben, jetzt stehen sie nebeneinander, scherzen und haben Spass. Nach der Korida dieser befreiten Zone, gehen sie wieder getrennte Wege. Bei der Korida kamen die Katholiken zu Ostern zu den Orthodoxen zum Eierpecken, das gibt es nur dort. Faszinierend. Die Menschen setzen auf alte Werte und auf Respekt: Du bist ein guter Mann, also helfe ich dir. Egal, ob Kriege geführt worden sind, wir sind Nachbarn.

Was bedeutet es, dass die Korida befreite Zone ist?

Die Korida ist befreite Zone, weil es dort keine Auftritte von Politikern gibt. Es gibt auch keinen Geistlichen, der einen Segen ausspricht vor dem Kampf. Das ist eine gute Metapher dafür, warum Bosnien nicht funktioniert: Wenn sich die Politik und die Religion einmischen, werden die Wunden wieder aufgerissen. Mit dem Film habe ich versucht, zu sagen, wie viel Aufmerksamkeit wir Politikern geben sollen — und wie viel unseren Nachbarn. Ich bin sehr froh, dass ich mit der Korida eine Welt kennengelernt habe, die alle verbindet und wo Frieden herrscht. Auch wenn es nur diesen Sonntag, einen Tag lang funktioniert, denke ich mir: Okay, ein heller Moment.

Könnte Fussball das auch?

Nein, da fetzen sie sich richtig. Korida ist das einzige Massensportevent in Bosnien-Herzegowina, wo die drei Volksgruppen friedlich miteinander auskommen. Beim Stierkampf gibt es 5.000 Besucher und zwei Polizisten, bei allen anderen Massensportveranstaltungen gibt es 500 Polizisten. „Die Korida hat mehr Frieden gebracht als die Europäische Union“, ist ein Zitat, das ich gehört habe.
5.000 Zuschauer und nur zwei Polizisten.
Sie haben ganz eigene Figuren gefunden, an denen Sie das festmachen.

Ich wollte nicht nur die Oberliga filmen, etwa Stipe, der 24 Stiere hat, sondern auch Leute, die nur einen Stier haben.

Auf einem bekannten Platz wurde die Korida verboten, weil sich dort ein Gräberfeld aus dem Zweiten Weltkrieg befinden soll. Auch Minen wurden vermutet.

Die Korida gibt es schon seit über 240 Jahren. Früher gab es fünf, sechs Koridas im Jahr, heute sind es vielleicht 100. Ende August ist die größte mit 30.000 Besuchern, in den 1970er-Jahren waren an die 100.000 Leute dort. Die Koridas wurden noch nie verboten, auch nicht unter Kaiser Franz Joseph. Sie wurde 2014, 2015 und 2016 kurzfristig von der Stadt untersagt. Die wollen nicht, dass die Leute zusammenkommen. Für manche ist das problematisch: Was wäre, wenn die Korida ihren alten Glanz mit 100.000 Leuten wiederbekommen würde? Eine Mine soll gefunden worden sein, aber sie soll nachträglich platziert worden sein.

Was war mit dem Anschlag auf Züchterin Renata?

Ist auch nicht geklärt worden. Das können Konkurrenten sein, Leute, die neidisch sind. Alles ist wie auf dünnem Eis. Wir haben diese Korida mit 1.000 Kilo schweren Stieren und diese utopischen Friedensgedanken. Diese Kolosse kämpfen auf dünnem Eis. Da braucht es nicht viel, dass es wieder kracht.

Wie geht es weiter?


Mit Fischer Film haben wir ein Projekt eingereicht, ich mache Co-Regie mit Dinko Draganovic, ebenfalls Kunstuni-Absolvent. Wir schreiben seit drei Jahren ein Drehbuch, das Projekt heißt „MILF“, ein Coming-of-Age- und Familiendrama, das in Linz angesiedelt ist. Das ist jetzt die neunte Drehbuchfassung: Fürs Filmemachen braucht man Geduld.

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Offizielle Webseite vom Film: KORIDA
ORF: Bosnischer Stierkampf als sozialer Kit