Freitag, 31. Juli 2009

Ist Stierkampf Kunst? (2. Teil)

Eine Medaille der Schönen Künste

Auch in diesem Jahr wurde vom spanischen Kultusministerium ein Stierkämpfer mit der Medalla de Oro de las Bellas Artes del Consejo de Ministros, der Goldenen Medaille für Schöne Künste ausgezeichnet. Neben dem bekannten Liedermacher Miguel Bosé und dem Sternekoch Juan María Arzak kommt der Matador de toros Fran Rivera Ordóñez zu Ehren. Er ist damit der dreizehnte Torero dem eine solche Auszeichnung zuteil wurde:

1996 - Antonio Ordóñez
1997 - Curro Romero und Santiago Martín Sánchez "El Viti"
1998 - Pepe Luis Vázquez und Miguel Báez «El Litri»
1999 - Álvaro Domecq y Díez
2000 - Antoñete
2001 - Rafael de Paula
2002 - Manolo Vázquez
2003 - Ángel Luis Bienvenida und Juan Antonio Ruiz Espartaco
2004 - Paco Camino
2005 - José María Manzanares
2006 - Enrique Ponce 2007 - José Tomás 
2008 - Francisco Rivera Ordóñez
2009 - Luis Francisco Espla (Nachtrag)
2010 - Pepe Martín Vázquez und José Miguel Arroyo "Joselito" (Nachtrag)

Ist Stierkampf als Kunst Teil einer Kultur?

Der Historiker Rolf Neuhaus (geb. 1951) gab seinem 2007 erschienen Buch „Der Stierkampf“ den Untertitel: „Eine Kulturgeschichte“. Karl Braun, Kulturwissenschaftler aus Berlin (geb. 1952) sieht in der corrida ein Kulturereignis, welches ein großes Menschheitsdrama vorführt. Auch beim Internetportal Taurosidona ist man sich einig: “Stierkampf ist eine Kunst. Kunst ist etwas das alle Jahrzehnte und Jahrhunderte, Krisen, Kriege und Regierungsformen nicht nur überdauert, sondern sich auch entsprechend ändert. Kunst ist immer ein Spiegel einer jeweiligen Epoche. Das sieht man auch an der corrida”. Es herrscht wohl Übereinstimmung: Kultur, Geschichte und Tradition scheinen sich zu decken. Auch beim Stierkampf. Da wird kaum diskutiert.

Aber die afición will mehr und geht weiter: Schon seit 2004 ist man bestrebt die Tauromaquia von der UNESCO als Weltkulturerbe erklären zu lassen. Dem Kind gab man sogar einen Namen: El Proyecto Tauromaquia-UNESCO. Ein Projekt, dass zum Entsetzen der Stierkampfgegner durchaus Aussicht auf Erfolg hat.

Und der Stierkampf, als Gegenstand der Kunst?

Die Tauromaquia nicht für die Kunst, sondern als Kunst? Für den bekannten spanischen Schriftsteller Antonio Gala (geb. 1932, Autor von „Die Handschrift von Granada“) ist es klar: „Der Stierkampf ist eine Kunst die vor allem Kopfarbeit und Bewusstsein verlangt! Und “er ist vor allem eine geistige Aufgabe!“. Der Wiener Professor Rainer Bischof (geb. 1947) muss es ähnlich sehen, nennt er sein Hauptkapitel über die einzelnen Phasen des Stierkampfs: „Arte de torear“ (Die Kunst mit den Stieren zu kämpfen). An anderer Stelle bezeichnet er es als “die umfassendste Darstellung des Lebens im Sinne des Theaters”. Also als eine Art künstlerischer Kommunikation zwischen Akteuren und den Zuschauern. Und bei Lorenz Rollhäuser (geb. 1953) lesen wir in einem Zitat, dass der berühmte Torero Belmonte „besser als jeder andere Künstler gewesen sei“. Keine Frage, viele vertreten den Standpunkt, dass wir hier über Kunst reden.

Gewiss, solche Auffassungen sind recht subjektiv. Und es versteht sich von selbst, dass es da auch Andersdenkende gibt: Die schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy (geb. 1965) schrieb, „dass man die Schönheiten einer corrida nur entdecken kann, wenn man bereit ist, über eine Menge Ungeschicklichkeit, Widerwärtigkeit und Durcheinander, über Fehler, Versagen und mangelndes Können, hinwegzusehen.“ Und schließlich stellt sie nach einem schlechten Stierkampf fest, dass “ein solches Gemetzel kaum mit den Begriffen der Kunst zu rechtfertigen sei”. Auch das ist eine Meinung dazu.

Im Mai diesen Jahres gab es in der spanischen Hauptstadt eine Demonstration mit ungefähr 250 Teilnehmern gegen die Tauromaquia: „Stierkampf sei weder Kunst, noch Kultur.” Auch diese Botschaft ist eindeutig.
Man kann zu diesem Thema stehen wie man möchte, die Tauromaquia liefert als Objekt viel künstlerischen Raum für kulturelle Ansprüche. Die Kunst selbst versteht sich als ein menschliches Kulturprodukt. Und so kann man beobachten, dass ein Großteil der Gegner dieses nicht mal in Frage stellt. Der künstlerische Anspruch von Stierkämpfen wird auch fast nie diskutiert. Antitaurinos interessieren sich in erster Linie nur für den Rechtsanspruch. Denn sie wissen sehr wohl, würden sie darüber diskutieren, ob Stierkampf Kunst sei oder nicht, würden sie automatisch die Tauromaquia in den Stand menschlicher Kulturgüter adeln.
Würde man dem Stierkampf den Kulturstempel entziehen, würde er nicht mehr unter die Kunstfreiheit einer modernen Demokratie fallen. Und ohne dieses Fundament wäre er in der Tat rechtlich wie moralisch angreifbar. Ein Grund mehr für die Stierkampfgegner zu versuchen, das Projekt UNESCO zu vereiteln.

Siehe auch: Ist Stierkampf Kunst? (1. Teil)
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Quellennachweise:

Cossío, Los toros , Band 10 und 11, Espasa S.L., Calpe 2007
Wiesbadener Tagblatt vom 11.10.2008
Theophile Gautier, Reise in Andalusien, Deutscher Taschenbuchverlag, München 1977
Ernest Hemingway, Fiesta, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1950
Ernest Hemingway, Tod am Nachmittag, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1957
Larry Collins & Dominique Lapierre, … oder du wirst Trauer tragen, Goldmann Verlag, München 1988
Rolf Neuhaus, Der Stierkampf – Eine Kulturgeschichte, Insel Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2007
Karl Braun, Der Tod des Stieres,Verlag C.H. Beck, München 1997
Antonio Gala, Paisaje andaluz con figuras, Editoriales Andaluzas Unidas, Granada 1984
Rainer Bischof, Heilige Hochzeit, Böhlau Verlag, Wien 2006
Lorenz Rollhäuser, Toros, Toreros, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 1990
Alison Louise Kennedy, Stierkampf, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1999

Mittwoch, 29. Juli 2009

Ist Stierkampf Kunst? (1. Teil)



Ein Überblick mit der Frage, kann die Tauromaquia als gestaltende Kulturleistung gesehen werden?

Für die Tierschützer scheint die Antwort eindeutig. Stierkampf ist eine Barbarei, die Akteure Tierquäler, die Zuschauer mit sadistischen Anlagen versehen … nein das habe mit Sicherheit nichts weder mit Kunst noch mit Kultur zu tun.

Gehen wir doch mal ins Detail: Unter Kunst versteht man das Ergebnis einer menschlich kreativen Gestaltung. Auf den Stierkampf übertragen wäre das Ergebnis der Tod des Stieres. Doch dass der Tod selbst als Vollendung künstlerischen Schaffens nicht in Frage kommt, versteht sich von selbst. Es sei denn, Sterne Köche a la Ferran Adriá verwandeln dieses Endprodukt durch molekulare Einflüsse zu einem kulinarischen Kunstwerk. Jedoch findet sich sehr wohl der Tod als ein Mittel zur Kunst, wie es sich in so zahlreichen Kunstwerken reflektiert. Denken wir zum Beispiel an die Guernica.

Unter Kunst verstehen wir aber auch die Entwicklung zum Ergebnis. Den Prozess selber, wie wir ihn auch in der akustischen Darstellung von Musik wiederfinden. Und genau da schafft der Stierkampf, mit seinen Bewegungsabläufen, dem Spiel der Farben, den Effekten durch Licht und der Schatten, der Musik, dem Ambiente und seiner Dramatik viel Freiraum für kreative Gestaltung. Gerade in dieser theatralischen Darstellung mit dem beinahe unabwendbaren Ergebnis des Todes sehen viele Künstler eine Herausforderung. Und so reflektiert sich der Stierkampf in zahlreichen künstlerischen wie kulturellen Gattungen.

In der Malerei:

Der erste bekannte Vertreter dieser Gruppe dürfte wohl Francisco de Goya (1746 – 1828) sein. Seine berühmte „La Tauromaquia“ bestand aus 44 Radierungen (von denen heute noch 40 erhalten sind) und ist zwischen 1814 und 1816 entstanden. Nicht weniger unbedeutend seine Darstellungen des Toreros José Delgado 'Pepe Illo' (1754-1801), vor allem seinen tragischen Tod in der [i}Plaza de toros[/i] von Madrid. Der zweite große Name im Bereich der malerischen Tauromaquia kommt aus Málaga: Pablo Ruiz Picasso (1881 – 1979). Erst ein Besuch einer corrida de toros in dem französischen Arles 1957 inspirierte den Künstler zu einer eindrucksvollen grafischen Umsetzung über die Kunst des Stierkampfes. Erwähnt seien noch großartige Künstler wie Ignacio Zuloaga (1870 – 1945), Eduard Manet (1832 – 1880), Joaquín Sorolla (1863 – 1923), Daniel Vázquez Díaz (1882 – 1969), Eugenio Lucas (1858 – 1918), Roberto Domingo (1883 – 1956), Martinez de León (1895 – 1978) und die Illustrationen von Gustavo Doré (1832 – 1883) und Pharamond Blanchard (1805 – 1873) die wir in den Büchern „Voyage en Espagne“ bzw. in der kurzen Form von „Reise in Andalusien“ von Théophile Gautier finden. Um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

In den Stierkampfplakaten:


Naheliegend ist es wohl, dass sich einige Künstler in der Gestaltung von den carteles übten. Also Plakate die die Stierkämpfe ankündigen. Ohne darauf näher einzugehen hier ein Kuriosum: Sie hat immer in der ersten Reihe gesessen und dabei oft gleich drei Plätze eingenommen - damit sie ihre Malutensilien ausbreiten konnte. Mit Tusche fing die aus Wiesbaden stammende Edith Hultzsch die Bewegungen von toros und toreros ein. 1981 war sie die erste und bisher einzige Deutsche, die den Wettbewerb für das Plakat zu den Fiestas de Sanfermin in Pamplona gewinnen konnte.

 In der Bildhauerei:

Wer sich in der Dekorationsabteilung des spanischen Kaufhauses El Corte Inglés umschaut, hat mit Sicherheit schon einmal die metallenden Kopien von dem spanischen Bildhauer Mariano Benlliure (1862 – 1947) gesehen. In seinen Figuren spiegelt sich die gesamte Kraft der toros bravos wieder. Dekorativ für einen jeden aficionado der auch die Möglichkeit hat, diesen dekorativ zur Schau zu stellen.

In der Musik:

Da fällt einem natürlich zuerst einmal der Paso Doble ein. Nicht umsonst kennt man Ohrwürmer wie España cañi von Pascual Marquina Narro (1873 – 1948) oder Valencia von José Padilla (1889 – 1960). Und was wäre die Opernwelt ohne Carmen von Georges Bizet (1838 – 1875), welche erst, nach dem Tod des Komponisten, bei der Wiederaufführung in Wien 1875 zu einem internationalen Erfolg wurde. In Spanien schaffte 1912 El gato montés von Manuel Penella Moreno (1880 – 1939) den Durchbruch.

Auch im Flamenco sorgt der Stierkampf für viel Dramaturgie. Ob Gesang, Gitarre oder beides, in Spanien hat es viele bekannte Namen hervorgebracht, wie unter anderem den Sänger
Pepe Marchena (1903 – 1976) oder den Gitarristen Manolo Sanlúcar (geb. 1943) mit seiner bekannten Tauromagia (man achte auf das „gia“ statt dem „qìua“). Nicht umsonst ersetzen Flamencomusiker bei besonderen Stierkämpfen den Paso Doble. Das sich Literatur mit Musik verbinden kann zeigt hier der Llanto por Ignacio Sánchez Mejías mit dem Text von Federico García Lorca (1898 – 1936) und der Musik von Maurice Ohana (1913 – 1992).

Im Tanz:


Wo Musik ist kann auch getanzt werden. Und da holt uns zunächst der Paso Doble wieder ein. Nichts versinnbildlicht heute mehr den Stierkampf auf der ganzen Welt als dieser Tanz im 2/4 Takt (ursprünglich im 3/4Takt). Seit 1963 gehört er sogar zum Pflichtprogramm der lateinamerikanischen Tänze.

Aber nirgends findet der Stierkampf soviel theatralischen Ausdruck wie beim Flamencotanz. Die ernsthaften bis verzerrten Gesichter, die gespannten Körperhaltungen und die kontrollierten Bewegungen bis hin in das kleinste Detail spiegeln alle Dramatik einer
Corrida de toros wieder. Aktuell und auch in Deutschland zu sehen der aus Sevilla stammende Israel Galván (geb. 1973) mit seinem 2004 entstandenen Programm „Arena“. Hier stellt der Tänzer alles selber dar: Den Toro, den Matador de toros, den Banderillero und auch das Leben und den Tod, und zu der Choreographie ließ er sich durch die Zeichnung „Tauromaquia“ von Goya inspirieren. Von Kunst zu Kunst.

Im Film:


Erstaunlich dass bei soviel Dramaturgie der Stierkampf beim Film nie so den Durchbruch schaffte. Das liegt wohl auch daran, dass mit dem Medium Film eine sehr breite Masse angesprochen wird, und mit der Welt der Stiere eben wohl nicht der angestrebte Gewinn zu finden sei. Hollywood & Co. trauten sich an dieses Thema nicht ran. Doch ein kleiner mexikanischer Junge namens
Leonardo schaffte es 1956 in dem Film „Roter Staub“ tausende von jungen Zuschauern zum Weinen zu bringen, als sein Stier Gitanillo begnadigt worden ist. Und in Spanien? Ein paar Billigproduktionen, oft mit Coplaeinlagen vermischt, für den eigenen Markt – das war es eigentlich auch schon.


Adrian Brody als Manolete
Nur der spanische Regisseur Pedro Almodóvar (geb. 1951) wagte den Sprung mit der Thematik des Stierkampfs auf die internationale Bühne. Und mit Erfolg: „Matador“ aus dem Jahre 1986 mit Antonio Banderas. 2002 gab es sogar einen Oskar für den vielgerühmten Film „Sprich mit ihr“, wo eine Stierkämpferin im Zentrum des Geschehens steht. Dann war wieder Stille. Und erst jetzt wird die internationale Filmgemeinde gleich mit zwei Stierkampfproduktionen überfallen: Im November 2008 wurde in den Vereinigten Staaten der Dokumentarspielfilm „The matador“ mit einem „echten“ Matador de toros, dem populären David Fandila „El Fandi“ aufgeführt. Vorraussichtlich noch in diesem Jahr dürfen sich die Filmfans freuen auf Oscarpreisträger Adrian Brody der den legendären Torero Manolete verkörpert, welcher 1947 von dem Miura-Stier Islero in Linares getötet worden ist, sowie der spanischen Schauspielerin Penélope Cruz als seine große Liebe.

In der Photographie:


Ähnlich wie sich Fotografen zum Beispiel auf gewisse Sportbereiche spezialisiert haben, verhält es sich auch hier beim Stierkampf. Aktuelle Fotos, nahe am Geschehen mit gesellschaftlichen Blickwinkel und privater Sphäre, das ist in erster Linie gefragt. Momentaufnahmen journalistischer Darstellung des Lebens durch den Tod in der
Plaza de toros. Der erste bekannte Vertreter dieser Gruppe dürfte wohl der Franzose Juan Laurent y Minier (1816 – 1886) sein. Es folgte eine Menge an Stierkampffotografen, doch nur einer schaffte es mit seiner seiner weißen Kappe und der schon legendären Unterschrift an die wirkliche Spitze. Wer seinen Namen hört, bringt automatisch gleich den tragischen Tod von Manolete mit ihm in Verbindung: Francisco Cano Lorenzo (geb. 1912).

In der Literatur:

Nach den Romanciers wie Lord Byron (1788 . 1824) oder Thèophile Gautier (1811 - 1872) war es wohl Ernest Hemingway (1899 -1961) der dem spanischen Stierkampf zu internationalem Weltruhm verhalf. Neben seinen Büchern „Fiesta“ (1926) und „Tod am Nachmittag“ (1932) sorgten zahlreiche Depeschen für die Popularität der Tauromaquia. Der nach seinem Tod erst 1985 veröffentlichter Roman "Gefährlicher Sommer" gilt als das beste Werk, welches der amerikanische Schriftsteller über Stierkampf geschrieben haben soll. Viele folgten seinem Beispiel, James. A. Michener (1907 - 1997), Norman Mailor (1923 - 2007), John Steinbeck (1902 - 1968), Sidney Franklin (1893 - 1972) und so weiter, es wäre müßig sie jetzt alle aufzuzählen. Ein Buch soll aber nicht unerwähnt bleiben: „… oder du wirst Trauer tragen“ von Larry Collins (1929 - 2005) und Dominique Lapierre (1931). Hier wird auf brillante Weise der Werdegang von "El Cordobés" vor der Kulisse des spanischen Bürgerkrieges in die Diktatur hinein beschreiben.

Und im spanischen Sprachraum? Der "Stierkampfbrockhaus"
Cossío widmet dem Thema "Literatur und Journalismaus" ganze 700 Seiten. Das lässt erahnen, dass der Stierkampf auf der Iberischen Halbinsel zum literarischen Tagesgeschäft gehört. Dabei fallen große Namen wie Rafael Alberti (1902 - 1999), Juan Ramón Jiménez (1881 - 1858), Salvador Rueda (1857 - 1933), José Zorilla y Moral (1817 - 1893), Octavio Paz (1914 - 1998), Pablo Neruda (1904 - 1973), Vicente Alexandre (1998 - 1994), Camilo José Cela (1916 - 2002), José Ortega y Gasset (1883 - 1955), Federico García Lorca (1998 - 1936), um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

Jährlich über 25.000 Artikel in der spanischen Presse ergänzen das literarische Angebot.

Fortsetzung folgt: Ist Stierkampf Kunst? (2. Teil)

Samstag, 25. Juli 2009

Mission Impossible: Diskussion über Stierkampf


Dieser, von mir im September 2008 verfasste Beitrag zeigt auf welches Interesse an dieser Thematik besteht. Allein im Andalusienforum gab es dazu 30.000 Klicks und 260 Kommentare. Dabei ist zu erkennen wie schwierig der Umgang mit dem Thema der Tauromquia ist und wie differenziert dieser von einem jeden bewertet wird. Die Palette emotionaler Bekundungen reicht von Zustimmung bis Ablehnung, von Begeisterung bis Empörung, von Sachlichkeit bis zur Unsachlichkeit und schliesslich von der Erkenntnis bis hin zur Uneinsichtigkeit. Hier nun der Beitrag in einer den aktuellen Gegebenheiten angepassten Version:

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Hart und alles andere als herzlich

Die verschiedenen Foren im Internet verstehen sich als eine kommunikative Plattform bei der viele Informationen ausgetauscht werden. Dabei herrscht ein durchaus freundschaftliches, teilweise gar gross-familiäres Klima. Auch sind die Foristas in der Regel jederzeit gerne bereit, und vollkommen uneigennützig, fremde Anfragen zu beantworten und Hinweise jeder Art oder sonstige Hilfestellungen zu geben.

Bei einem Thema jedoch scheint die oben genannte Freundlichkeit ein jähes Ende zu erfahren. Emotionen schwappen über, Beleidigungen werden geäussert, Kompetenzen in Frage gestellt, bis hin zur Drohung eines Forumssauschlusses. Im schlimmsten Fall wird einem sogar das „Recht auf Menschsein“ abgesprochen. Grenzen eines jeden Taktgefühles werden nicht mehr gewahrt und der Respekt der menschlichen Würde verdammt zur Nichtbeachtung. "Recht haben" wird vor die "Erkenntnis" gestellt. Wir reden vom Stierkampf!

Da fragt sich doch ein jeder „normal“ denkende Mensch, muss dass denn so sein? Warum verlieren die Beteiligten dermassen die Beherrschung, wie eigentlich bei keinem anderen Thema? Woher kommt das völlige Desinteresse, einfach mal ehrlich nur die Wahrheit zu suchen? Wie lässt es sich erklären, dass die Verteidigung der eigenen Standpunkte, von wem auch immer, wichtiger scheint als die simple Suche nach der Einsicht - und nicht selten um jeden Preis verbaler Entgleisungen.

Viele Fragen, und so liegt es nahe, sich einmal auf die Suche nach dem Urknall zu begeben. Wo liegt eigentlich der Auslöser von so vielen emotionalen Erdbeben. Fangen wir doch mal von vorne an.



Javier Arenas und Mariano Rajoy
Die Ausgangslage

Zwei Tatsachen bilden dabei das Fundament: Zum einen ist der Stierkampf in seiner gegenwärtigen Form wohl die einzig legale Veranstaltung, wo der vorgeführte Tod im Mittelpunkt des Geschehens steht. Im Zeitalter der modernen Evolution scheint es durchaus gerechtfertigt dieses zu hinterfragen, und den Anspruch auf Legalität anzuzweifeln. Dabei irritiert nicht der Tod selber, sondern der Weg dorthin. Und dies noch nicht einmal in seiner Gesamtheit. Denn schliesslich diskutieren wir hier von den letzten 0,0008 Prozent aus dem Leben eines Stieres. Die anfänglichen über 99 Prozent verbringt der
toro bravo in einer zwei- bis fünfjährigen Freiheit. Eine Freiheit, von der seine fleischlichen Brüder auf den Speisetellern nur träumen können. Der FAZ-Kulturkorrespondent Paul Ingendaay geht sogar noch weiter und behauptet dass es den Stieren „… auch besser als vielen Hausfrauen, Sozialhilfeempfängern und marokkanischen Emigranten“ geht (1).

Die zweite Tatsache bringt eine gewaltige Erkenntnis zu Tage. In der konservativen Tageszeitung ABC erinnerte der PP-Abgeordnete
Juan Manuel Albendea Pabón im Februar 2008 daran, das im Jahr 2006 die Stierkämpfe in Spanien 45 Millionen Zuschauer zählten (2). Statistisch gesehen bedeutet das 100 Prozent, nämlich dass jeder Spanier einmal im Jahr einen Stierkampf besucht. Was für eine Zahl! Eine Zahl die die Tierschützer in einen Schockzustand versetzte, während die antitaurinos der Ohnmacht nahe waren. Zum Vergleich: Des Deutschen liebstes Kind, die Bundesliga kommt in einer Saison etwa an die 13 Millionen Besucher. Das wären keine 15 Prozent! Gewiss, es gibt da weniger Spiele, aber die Stadien sind da auch um ein vielfaches größer. Noch eine Gegenüberstellung: Die deutschen Theater-, Orchester- und Festspielunternehmen kamen laut des Deutschen Bühnenvereins in der Spielzeit 2004/2005 auf rund 33,2 Millionen Besucher (3). Auch hier liegen wir unter 40 Prozent.

Sicherlich, so gewaltig die Besucherzahl auch sein mag, sie rechtfertig deswegen noch lange nicht den moralischen und kulturellen Anspruch der
Corrida de toros. Jedoch kann es nicht von der Hand gewiesen werden, welchen reellen Einfluß solche statistischen Erfassungen haben.

Politik

In Spanien zählt es zwei große politische Lager. Das sich die konservative Partei Partido Popular für die Wahrung traditioneller Werte, wie auch den Stierkampf ausspricht ist allgemein bekannt. Gerade in diesen Tagen eröffnete der Spitzenkandidat besagter Partei Mariano Rajoy in Begleitung seines andalusischen Oppostionsführers Javier Arenas in Almería eine Ausstellung zur Ehrung des Stierkämpfers Curro Romero und am Nachmittag besuchten sie eine Corrida de toros (4).

Wer aber genau hinschaut erkennt, dass es hier eigentlich garnicht um Tradtion geht. Denn hinter diesen vielen Zuschauern versteckt sich ein gewaltiges Wählerpotential. Und bei der knappen politischen Lage kann es sich eigentlich keine Partei erlauben auf sie zu verzichten. Das erkannte auch der spanische Regierungspräsident
Rodriguez Zapatero der im Jahr 2008 seine Umweltministerin Cristina Narbona gleich zweil Mal zurückpfeifen musste, weil diese öffentlich gegen den Stierkampf wetterte. Da dieses auch einige Genossen empörte verkündete Zapatero nur einen Monat später, dass der Staat no tiene ninguna intención de hacer nada contra los toros, also nicht die Absicht hat, gegen den Stierkampf vorzugehen (2).
Und da gibt es für den Ministerpräsidenten noch ein Handicap aus den eigenen Reihen: Das die sozialistische Landesregierung in Andalusien den Stierkampf nicht nur befürwortet sondern ihn auch noch finanziell subventioniert, zum Beispiel in Form von Nachwuchsstierkämpfen (gerade heute wird einer live im Fernsehen übertragen), sorgt unter den Genossen mit sozialistischer Gesinnung eher für Irritationen als für Zustimmung.


Das Leiden des Stieres

Man kann solche verbalen Auseinandersetzungen drehen wie man möchte, sie enden stets an dem selben Punkt: An dem Leiden des Stieres. Dass er leidet steht wohl außer Frage. Das weiss auch die
afición. Und es scheint nur verständlich, dass die Anhänger von Stierkämpfen mit ihrem Wissen nicht hausieren gehen, um den Tierschützern nicht noch mehr Angriffsfläche zu bieten.

Das Leiden findet sich in der Bedrohung, der aufkommenden Angst und einem gewissen Maas an Schmerzen. Der Stier wird aus seiner gewohnten Umgebung geholt mit der eindeutigen Zielvorgabe in der
Plaza de toros zu sterben. Erstmal im ruedo, dem Rund der Arena angekommen spürt er die Bedrohung, und seinem Instinkt zufolge greift er an. Und was viele nicht wissen, es liegt in seinem Wesen einer körperlichen Konfrontation nicht aus dem Wege zu gehen. So ist es keine Seltenheit ihn im campo, auf den Weiden der Stierzuchten mit anderen toros kämpfen zu sehen – im wahrsten Sinne des Wortes, ein richtiger Stierkampf.

Kommen wir zu den Schmerzen. Es klingt lapidar, aber wir können nun mal den Stier dazu nicht befragen. Jedoch es gibt wissenschaftliche Studien, die nachweisen wollen, dass das Empfinden von Schmerzen durch die zugefügten Wunden weitaus geringer sei, als man es bisher vermutet hat. Da nun aber solch akademische Feststellungen eher einen nüchternen Charakter haben, sind sie schwer einzuschätzen. Überhaupt wird es einem nicht gerade leicht gemacht, sich ein passendes Bild über das wahre Geschehen zu machen. Während zum Beispiel der französische Stierkampfkritiker
Jean Pierre Darracq das Empfinden der Schmerzen gleich einer Knieverletzung eines beim Fußball spielen fallenden Kindes gleichsetzt, dass seine Verwundung erst am Ende bemerkt (5), so scheint bei Tierschützern die Menge des fliessenden Blutes allein schon eine Rechtfertigung zur Durchsetzung ihrer Forderungen zu sein. Was der Stier nun wirklich an Schmerzen empfindet, werden wir wohl nie erfahren. Das ist die traurige Einsicht und es bleibt vorerst der bittere Beigeschmack der Unkenntnis. So ist es einem jeden aficionado selbst überlassen sich bezüglich der Empfindungen des Stieres zu positionieren.

Zwar sind die eingefleischten Befürworter ziemlich überzeugt, dass eben jene Schmerzempfindung relativ niedrig anzusetzen ist, aber wie auch immer, sie nehmen es mit einer gewissen Kompromisslosigkeit in Kauf. Dabei kommt der Vorwurf von Lust am Quälen des Tieres nicht zum tragen. Denn es ist definitiv nicht der Sadismus der die
afición in die Plaza de toros treibt. Das erkannte schon der spanische Schriftsteller und ambitionierte Stierkampfgegner Rafael Sánchez Ferlosio: „Bei aller Grausamkeit erfreue man sich auf keinen Fall an dem Leiden des Stieres" (6).


Tierschützer und Stierkampfgegner

Der Vorwurf an die Tierschützer popularistische Vermarktung für die Durchsetzung ihrer Forderungen zu betreiben ist wohl naheliegend. So reichen in Pamplona nicht mehr die Nacktdemonstrationen aus, nein, mit viel roter Farbe werden die Teilnehmer bespritzt um Blut zu simulieren, und schließlich stellt man, alle auf dem Boden liegend, ein Massaker nach. Denn mit blutüberströmten Bildern lässt sich eine breite Masse in totaler Unwissenheit einfach besser für die eigene Marketingpolitik einspannen. Provokant aber ethisch durchaus auch ein wenig fragwürdig.

Dass der Stierkampf in der Prioritätenliste bei den Tierschutzorganisationen wohl einer der letzten Stellen einnimmt, spielt dabei keine Rolle. Zeigt aber sehr wohl, wie kontrovers dieses Thema auch in den eigenen Reihen gesehen wird. So bei der letzten schriftlichen Erklärung der EU wo immerhin 49 Prozent der europäischen Tierschützer einem europaweitem Verbot von Stierkämpfen nicht zustimmten (7). Der Buchautor
Lorenz Rollhäuser sieht es so: „Die leidenschaftliche Erregung ist in Überdruss umgeschlagen" (8).


Die afición

Auffallend ist zu beobachten, dass spanische
aficionados fast kein Interesse zeigen, über das "Für" und "Wider" von Stierkämpfen zu diskutieren. Schon gar nicht wollen sie ihre Leidenschaft rechtfertigen oder sie sich gar verbieten lassen. Und noch weniger von Fremden. Auf dem deutschen Internetportal La Tauromaquia war zu lesen: „Ich habe den Verdacht, dass in Spanien die Meinung herrscht, dass die Pyrenäen hoch genug seien, damit kein Brüsseler Gesetz 'drüberweg kommt..." (9) Andere Meinungen interessieren sie einfach nicht. „Entweder man geht hin, oder man lässt es bleiben" (8).


Und zu welcher Erkenntnis sind wir jetzt gekommen?

Für überzeugte Tierschützer kann es nicht tröstlich sein. Sie könnten diskutieren so viel sie wollten, solange die Zuschauer nicht ausbleiben, wird keine spanische Institution, sei es die Regierung, die Monarchie oder die Kirche sich für ein mögliches Verbot einsetzen. Diese Erkenntnis kann die Gegner nicht erbauen, spiegelt sie doch die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens wieder wie kein anderes Beispiel. Ein Faktum über welches man eigentlich nicht mehr diskutieren gar streiten muss.

Solange Organisationen wie PETA das „Recht zu leben“ allein den Veganern zuschreiben, wird es eine Annäherung nie geben. Mit Vegetariern zu diskutieren scheint logischerweise schon im Vorfeld zum Scheitern verurteilt. Zumal sie eigentlich diesbezüglich den Dialog gar nicht suchen. Ihre puristische Grundhaltung verpflichtet sie ausnahmslos sich für ein Ende der Stierkämpfe einzusetzen. Da gehört Meinungsaustausch einfach nicht zum Programm.

Tierschutz ist ohne Frage wichtig und gerade auf der Iberischen Halbinsel auch notwendig. Noch bis vor kurzem waren die Tiere in Spanien eine Art Freiwild, mit denen jeder machen konnte was er wollte. Diese Zeiten befinden sich Gott sei Dank im Umbruch. Auf der anderen Seite wird von Tierschützern Respekt gegenüber den Tieren verlangt und sie nennen es ethischen Umgang. Doch was ist mit den Menschen? Wenn Tierschutz über Menschenrecht gestellt wird, haben sicherlich so einige ihre Bedenken.

Was den Rest der diskutierenden Runde angeht, so wird es stets einem Unentschieden gleichkommen, denn die einzige offene Frage nach dem wahren Leiden des Stieres wird in seiner endgültigen Wahrheitsfindung wohl auf Ewigkeit unbeantwortet bleiben. Es sei denn, die Tiere fangen an zu sprechen. Doch von einem „Planeten der Tiere“ sind wir wohl weit entfernt.
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Quellennachweise:(1)
Paul Ingendaay, Gebrauchsanweisung für Spanien“, Piper Verlag, München 2002
(2) Mediengruppe Vocento - Diario SUR, ABC
(3) Heim:Spiel Medien GmbH & Co. KG, Deutscher Bühnenverein
(4) mundotoro, spanisches Internetportal
(5) Jean Pierre Darracq
Afición, 1980
(6)
Rafael Sánchez Ferlosio in einem Leserbrief in El Páis, 25.06.1985(7) Informationsbüro der Europäischen Union für Deutschland
(8)
Lorenz Rollhäuser, Toros, Toreros“, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbeck bei Hamburg 1990
(9) La Tauromaquia, deutsches Internetportal über Stierkampf