Dienstag, 20. Dezember 2016

Taurinische Assoziationen zum Jahresende 2016

Morante de la Puebla - Libertad 
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von Torodora Gorges


"El quite de la cigarrera" - mit dieser neuen suerte hat Morante de la Puebla vor wenigen Tagen das Publikum  im coso von Insurgentes in México überrascht. Elegant, sehr ästhetisch-tänzerisch, schwung- und kraftvoll - mehrmals habe ich mir diese suerte in mundotoro.com angeschaut. Sie mutet  in dieser Komplexität eher wie eine  spontan ausgeführte Eingebung an. Lässt sie sich in ihrem choreographischen Ablauf wiederholen?  Morante hat den "quite de la cigarrera" aus der Taufe gehoben. Er stellt seine Neuschöpfung mit den Röcken der Bewohnerinnen von La Puebla del Rio in Zusammenhang. Nach dem alten Lexikon von Slabý/Grossmann bedeutet "cigarrera": Zigarren/Zigaretten-Arbeiterin, dann auch: Zigarrenkästchen; das Internet-Wörterbuch LEO bietet als Übersetzung nur "Zigarettenetui" an. Beim Begriff "cigarrera" fallen mir die rauchenden Fabrik- Arbeiterinnen in Bizets CARMEN ein. In Kuba konnte ich sehen, wie Zigarren gedreht werden, mit Tabakblättern umwickelt und umschlungen.
Der matador de toros Morante de la Puebla mit einer quite de la cigarrera
Also, José Antonio Morante hat uns aficionados (zumindest aber mir als einer aficionada, die in der spanischen Sprache nicht zuhause ist ) zum Jahresende wieder ein Rätsel aufgegeben, ein erfreuliches, das Spass macht.

Das jahrelange Warten der Mexikaner auf einen großen Erfolg Morantes in ihrer Plaza de Insurgentes  war  also endlich belohnt worden. José Antonio eroberte das Publikum in seiner faena mit dem toro "Peregrino". Dem grandios gelungenen Auftritt an diesem Nachmittag  des 12. Dezember vorausgegangen waren einige Interviews und Fotosessions, in denen sich der artista von seiner kapriziösen Seite zeigte. Stunden zuvor konnten wir ihn in einschlägigen Internetseiten sehen, posierend im morante-typischem modischen outfit. Die aufwändige, schillernde Performance  eines etwas "mafiös" anmutenden "Lebemanns",  mit  dicker Zigarre im Mund, sardonisch lächelnd. Das ist nicht unbedingt "mein" Morante-Bild. 

Einen desaströsen Ausgang der corrida in Insurgentes nach diesem spektakulären Vorlauf, der Erwartungen weckte, wollte ich mir nicht vorstellen. Einmal in dieser temporada war ich von Morantes Auftritt in der Plaza von El Puerto de Santa Maria während meines Urlaubs in Andalusien enttäuscht worden. (Über diesen blamablen Nachmittag im August kann ich nur den Mantel des Vergessens hängen.) Von anderen deutschen aficionados die Morante auf seiner Tour in diesem Sommer verschiedene  Male erlebt hatten,  hörte ich ähnlich frustrierende  Berichte.
Puerto de Santa María 2016, das war nicht sein tarde de toros.
Und das merkte der maestro Morante de la Puebla selbst.
Glücklich war ich darüber, dass ich in Lissabon das künstlerische Zusammentreffen von Morante de la Puebla und Diego El Cigala miterleben konnte (siehe Bericht in SfA: Die Nacht von Lissabon: 1. Teil, 2. Teil). Zu weiteren Besuchen von corridas de toros hatte ich in diesem Jahr leider keine Gelegenheit. 
Morante de la Puebla & Diego El Cigala

Antonio Caro Gil
Weder die jungen Stars noch die bewährten alten konnte ich life erleben. Gerne hätte ich  meinen Favoriten Antonio Caro Gil bei einem seiner höchst seltenen Auftritte gesehen. Ich hoffe immer noch, dass diesem talentierten Künstler in absehbarer Zeit die Möglichlichkeit zum Erfolg gegeben wird.

Dass sich die taurinische Szene politisch engagiert, profesión und afición gemeinsam aufgestanden sind, zigtausende Anhänger der toros im April in Valencia auf die Strasse gingen und für die Freiheit der tauromaquia nachdrücklich protestierten, hat mich erleichtert. Dass sich die Anhänger der corrida de toros und insbesondere auch die Haupt-Akteure nicht mehr dezent bedeckt halten, es sich nicht mehr gefallen lassen, als Mörder  beschimpft zu werden, dass sie mit juristischen Mitteln zu kämpfen begonnen haben gegen dreiste Verunglimpfungen und  bedrohliche Aggressionen, wurde höchste Zeit. 
"Die toros, Kultur, Wurzeln und Freiheit eines Volkes"
Demonstration für die tauromaquia in Valencia mit namenhaften toreros.
mit figuras wie Juan José Padilla (Augenklappe) oder El Juli (rechts, Mantel über dem Arm)
Ob die Proteste erfolgreich sein, und wie  die Veränderungen in der politischen Landschaft Europas die Zukunft der tauromaquia beeinflussen werden - von der zunehmenden Diktatur der political correctness einmal abgesehen - beschäftigt mich immer mehr. Die schamlos perversen Reaktionen auf den Tod des matador Víctor Barrio verstärkten den Widerstand der Befürworter der tauromaquia. (Zahlreiche SfA-Reportagen zu diesem Thema entnehmen Sie bitte dem Anhang).
Ein Photo, welches um die Welt ging. Der Tod des toreros Victor Barrio
Ich selbst fühle immer wieder Ärger und Wut in mir aufsteigen, wenn den Vertretern der grün, links oder liberal orientierten spanischen Parteien, die sich besonders der Jugend andienen wollen, nichts anderes einfällt als das Verbot der toros zu fordern!

Deshalb war ich froh, als ich im Sommer das Buch von Joselito, "Los Toros Explicados a mi Hija" (Die toros meiner Tochter erklärt) entdeckt und mit grossem Gewinn gelesen habe. Ich würde es als Lektüre für Schulen empfehlen, die es Ernst meinen mit der Nachhaltigkeit im Umgang mit der Natur, mit der Liebe zu Tieren und zu den Menschen (besonders den heranwachsenden). Aufklärung statt Verdummung! - Dieser Tendenz folgt auch das von Álvaro Acevedo editierte, dreimal im Jahr erscheinende Magazin Cuadernos de Tauromaquia (Hefte der Tauromachie), das sich durch ein hohes intellektuell anspruchsvolles Niveau auszeichnet.  Álvaro Acevedo ist ein hervorragender Journalist, der als junger Mensch eine Torero-Karriere anstrebte; dasselbe trifft auch auf Santi Ortiz zu, Autor des im Oktober neu erschienenen Buches: "El toreo frente al mundo" (Der toro vor der Welt), das ich mir sofort bestellt habe. In grosser Ausführlichkeit geht Ortiz auf die - in Spanien sehr viel exzessiver spürbaren - Kontroversen in Bezug auf die Einstellung zu Tieren ein. Er analysiert sehr profund die "bases de animalismo" (Fundamente des animalismo), den "nacionalismo antitaurino" und "el frente politico de la taurofobia" (Die politische Front der Taurophobie). Mit der Lektüre dieses klugen Buches, das mit dem dreimaligen Aufruf "LibertadLibertad  Libertad" ("Freiheit", wer denkt da nicht an Barcelona 2011?!) endet,  werde ich weit über das Jahresende 2016 befasst sein. Die toros und die Wunder der Tauro-Magie werden mich auch im Jahr 2017 begleiten.
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Bezüglich des Todes des toreros Victor Barrio sind bei SfA folgende Reportagen erschienen:


Victor Barrio stirbt beim Stierkampf in Tereul TAURONEWS vom 9.7.2016 

Un toro Marta Victor Barrio, Reportage vom 11.7.2016
Über die moralische Erbärmlichkeit der Antitaurinos, Reportage vom 12.7.2016
Rechtliche Schritte werden in die Wege geleitet TAURONEWS vom 13.7.2016
Nestle trennt sich von Mitarbeiter wegen Verleumdung im Netz TAURONEWS vom 13.7.2016
Die Politik positioniert sich gegen den Shitstorm TAURONEWS vom 14.7.2016
Sollen diejenigen, die den Tod des Toreros verspotteten, rechtlich verfolgt werden? Spanien sagt "Ja"! Umfrageergebnis vom 15.7.2016
Über die Diffamierung des Toreros Victor Barrio im Internet TAUROZITAT vom 16.7.2016