Mittwoch, 17. Oktober 2018

Goyas Humanisierung der Stierkämpfe

Goyas Verbindung zwischen der Welt der Stiere
und der theatralischen Darstellung des menschlichen Lebens
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von Philip de Málaga

Während der antitaurinismo dazu neigt die tauromaquia unter dem Aspekt der antropomorfización zu betrachten, also in der corrida de toros ein grausames Opferritual zu erkennen vermag, sehen vor allem aficionados de toros intelectuales es mit anderen Augen. 

Der Träger zahlreicher Ehrenauszeichnungen für Wissenschaft, Kunst und Kultur, Dr. phil. Rainer Bischof, sieht im Ablauf einer corrida die Darstellung des Lebens im Tode und die Notwendigkeit des Todes im Leben. Mehr noch, es ist die umfassendste Darstellung des Lebens im Sinne des Theaters. Für ein jeden aficionado geschieht dieses auf dem Boden der Kunst - es un arte de torear. Die corrida ist somit auch eine Entwicklung und Resultat in Richtung Humanisierung und Ästhetisierung theatralischer Lebensumstände der Menschen durch ein Opferritual. 

Auch der spanische Maler Francisco José de Goya y Lucientes (1746 - 1828) hat sich sein ganzes Lebens mit den toros auseinandergesetzt. Auch wegen seiner doch sehr genauen Kenntnisse über den Ablauf einer corrida de toros und seiner intensiven Emotionen im Umgang mit diesem Thema, rechtfertigen wohl die Erkenntnis, ihn als einen authentischen aficionado de toros jener Epoche zu bezeichnen. 

Obwohl Goya erst mit 70 Jahren, also 1816 seine berühmte Serie mit 33 Radierungen zum Thema Stierkampf unter dem Titel La Tauromaquia in der Tageszeitung Diario de Madrid veröffentlichte, beschäftigte er sich schon seit seiner Kindheit mit den toros. So stellte er schon im Jahr 1779 auf einem Teppichkarton, "La Novellada", einen torero mit eigenen menschlichen Charakterzügen dar.
"La Novellada" (1779)
1815-1817 entstand die Radierung Disparate de Bestia (Tierische Torheit). Dort stehen vier Personen aus dem Orient in einer leeren Arena, welche eine Plaza de Toros symbolisieren soll, einem Elefanten gegenüber. 
"Disparate de Bestia" (1815-1817)
Einer der Orientalen trägt ein grosses Buch, wohl ein Gesetzbuch, und ein anderer hält ein Halsband mit Glocken. An der Haltung dieser kleinen Gruppe lässt sich  pure Angst vor dem doch recht grossen Tier vermuten. Schliesslich macht der  kontrastreiche hell gezogene Bogen in der Arena den Grenzbereich von der Gefährlichkeit dieser Begegnung zwischen Mensch und Tier deutlich. Genauso wie die barrera-Abgrenzung im ruedo einer Plaza de Toros. Es gibt Interpretationen zu dieser Radierung, welche andeuten, dass Goya mit dem Elefanten auf die Masse des spanischen Volkes, und mit dem orientalischen Grüppchen auf die kleine herrschende macht und die wenigen Intellektuellen anspielen könnte.

Ein weiteres Werk, welches an Elemente aus der tauromaquia erinnert ist Disparate cruel (Grausame Torheit). 
"Disparate Cruel" (1815)
Bei diesem Werk scheiden sich jedoch die Geister um eine passende Bedeutung, eine Erklärung für das Gesehene zu finden. Eine optische Parallele findet man zum tercio de varas einer corrida, wo ein picador mit seiner pica seiner Aufgabe nachgeht. Für Diskrepanz bei diesem Bild sorgen der zornige Ausdruck und das gewaltsame Vorgehen des Mannes mit der vara und die doch eher distanzierte Haltung der sich abwendenden Zuschauer. Übrigens als Mann und Frau, worin ein einige einen gewissen sexuellen Scham drin erkennen wollen. Wie auch immer, ein Bezug zur tauromaquia ist festzustellen, allein schon wenn man einen Blick auf die anderen Radierungen von Goya wirft.
Goya hat sich viel mit dem tercio de varas auseinandergesetzt.
Einer der Motive, warum Goya in seiner La Tauromaquia die Radierungen ohne Untertitel und erklärende Texte zeigte (es gab lediglich ein Beiblatt mit der Aufzählung und kurzen fachlichen Beschreibungen der Grafiken), war zum einen, dass er wohl allgemeine Kenntnisse der Vorgänge bei den toros voraussetzte, und zum anderen wollte er den Blick des Betrachters nicht auf einzelne mögliche Darstellungen lenken, um damit die Illustrationen in ihrer eigenständigen, aber geschlossenen Gesamtheit zu zeigen. Sie sollten auf den Betrachter wirken. So kam es, dass die intellektuelle Betrachtungsweise ins Spiel kam, politische Gegebenheiten angedeutet wurden und der historische Prozess im Ablauf zu erahnen ist:

  • -->  Der freie Auseinandersetzung mit den toros durch die Landbevölkerung.
  • --> Psychische wie physische Überlegenheit durch die Mauren im Umgang mit den toros.
  • -->  Die Übernahme der toros durch den spanischen Adel. Neben den Turnieren übten sich auch die Ritter zu Pferde im Umgang mit der pica. Die mundo taurino wurde zum Spielplatz politischer Machtspielereien.
  • --> Der Übergang der tauromaquia zum spanischen Volk. Ein Privileg, welches die Bürger nicht mehr abgeben wollten.
So kann man durchaus von einer taurinischen Evolution im ruedo wie ausserhalb der Plaza de Toros sprechen. Mehrere Ereignisse parallel erlebt und dargestellt. Und ein jeder mit seinem Anliegen in dieser Thematik: Das Königshaus achtend auf Regentschaft und Staatsgewalt, die Kirche mit Einfluss und Macht, der Adel greifend nach Geld und Landbesitz, das Volk kämpft ums Überleben und die taurinos widmen sich eben ihren toros

Der Stier stirbt so oder so. Meistens um auf unseren Tellern zu landen. Aber auch beim Töten der toros bei den festejos taurinos hat es eine Humanisierung gegeben. Mit der gezielten estocada ist sie "humaner" geworden. Hat man nicht damals auch die Guillotine als eine humanitäre Tötungsart gesehen? So spiegeln sich in dem Bewusstsein solche historischen Ereignisse in einer anderen, eben humanitärer erscheinenden Dimension ab.

Und so erkennen die aficionados de toros intelectuales in der tauromaquia ein Spiegelbild der iberischen Evolution. 
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Quellennachweise:

Heilige Hochzeit, Rainer Bischof, Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar, 2006
Francisco Goya - Leben und Werk, Pierre Gassier, Juliet Wilson, Propyläen Verlag, Berlin 1987
Goya, Valeriano Bozal, Jutta Held, Eleanor A Sayre, Städtische Galerie im Städtischen Kunstinstitut, Frankfurt 1981
El Mundo de Goya en sus dibujos, Enrique Lafuente-Ferrari, Urbion, Madrid 1979
La Tauromaquia, Diario de Madrid, Madrid 1816