Montag, 13. Januar 2014

Europa und der Stier (3. Teil)

Gedanken zum europäischen Umgang mit der mundo de los toros
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von Torodora Gorges


Die schottische Autorin A.L. Kennedy gilt als talentierte Schriftstellerin. Ihr Buch „Stierkampf" ist das zweite von drei ihrer auf Deutsch vorliegenden literarischen Werke. Zugang zum Thema sucht sie auf sehr subjektive Weise. Im Oszillieren zwischen fiktiver Literatur und Journalismus entsteht eine Art von Reisebericht. Sie konfrontiert ihre persönliche Befindlichkeit und Sensibilität mit einem großen Faktenwissen und setzt ihr psychosomatisches Leiden in Beziehung zu den Qualen der Kreatur. Dass sich ein Schriftsteller symbolisch ständig dem Todesstoß ausgesetzt erlebt, Literatur demnach der Tauromachie vergleichbar sei, erkannte vor ihr bereits Michel Leiris. In erster Linie sucht Kennedy in der corrida de toros emotional-affektive und transzendentale Elemente, von denen sie auch ihren Schreibprozess bestimmt sieht.

Ich schreibe dieses Buch, weil ich auf der Suche nach Glauben bin", erklärt sie im Eingangskapitel „Begegnung mit dem Tod". Im Kapitel „Glaubensakte" erwägt sie mögliche Gemeinsamkeiten in den religiösen Wurzeln der corrida und dem Autodafe der Inquisition. Durchgängig kämpft Kennedy mit ihrer zunehmenden Faszination für das blutige Ritual und dem moralischen Gebot des Tierschutzes. Sie informiert gründlich und unterhaltsam, wenn auch für Stierkampfkundige – wie sie selbst einräumt – keine Novitäten geboten werden. Details behandelt sie dabei bisweilen großzügig: dem im 19. Jahrhundert berühmten Stierkämpfer Antonio Sánchez, „El Tato", musste nach einer Hornverletzung das Bein amputiert werden. Man verfiel auf die etwas makaber anmutende Idee, das verlorene Bein des beliebten Madrider toreros in Formalin zu konservieren und diese Reliquie im Schaufenster einer Apotheke auszustellen. Das so zur Schau gestellte Bein – und nicht die Prothese des toreros – wie Kennedy irrtümlich angibt – wurde später bei einem großen Brand ein Opfer der Flammen. Mit der schriftstellerischen Freiheit geht die sachliche Genauigkeit glücklicherweise nur bei der Schilderung weniger Fakten verloren.

Mit besonderer Faszination liest man das letzte Kapitel „Tor der Angst". Überaus eindrucksvoll und mitreißend schildert die Autorin ihre Erlebnisse als Zuschauerin von verschiedenen Stierkämpfen mit gegenwärtig populären toreros in der Arena La Maestranza von Sevilla. Es gelingt ihr, den Leser miterleben und mitleiden zu lassen, was sie empathisch-literarisch auf die an der corrida Beteiligten – Tier und Mensch –projiziert. Sie beschreibt die corrida als Erfahrung eines religiösen Mysteriums und bezieht sich damit auch auf Federico García Lorca, der seinem Freund, dem vom Stier getöteten torero Ignacio Sánchez Mejías, durch seine Totenklage ein unvergängliches Denkmal setzte.

Für Stierkampfinteressierte – seien es Befürworter oder Gegner – ist die Lektüre aller drei Neuerscheinungen empfehlenswert, auch wegen ihres überwiegend nüchtern-sachlichen Stils (abgesehen von A.L. Kennedys Transzendenzanmutungen). Die Autoren verzichten auf Pathos und Schwulst, wie sie oft in Büchern spanischer Herkunft zur rechtfertigenden Abwehr stierkampfgegnerischer Positionen zu finden sind. Es wird nicht zu leugnen versucht, dass die Ansprüche an ein Gelingen des Rituals zwischen Stier und Mensch oft grausam scheitern und die Interaktionen barbarisch tierquälerisch entgleisen können. Dies – wie die Autoren - vor allem der heute praktizierten, stark kommerzialisierten Form der corrida anzulasten, kommt jedoch zu sehr einer nostalgischen Verklärung guter alter Zeiten gleich.

Hier noch eine Anmerkung: Für Stierkampfgegner oder distanzierte Skeptiker, sofern sie ausreichend Spanisch verstehen, dürfte die Lektüre einer 2001 in Madrid erschienenen Publikation interessant sein. Unter dem Titel „Antitauromaquia" hat Manuel Vicent seine seit 20 Jahren regelmäßig für die Tageszeitung „El Pais" geschriebenen Artikel aktualisiert und veröffentlicht. Brillant und höchst polemisch kämpft er in der Form des Pamflets gegen alle denkbaren Stierkampf befürwortenden Argumente aus den dunklen Bereichen seiner Nation, dem „España negra y irracional". Unverhohlen empört und drastisch-schonungslos prangert er die blutigen „Massaker" an, die als Kultur getarnten und vom spanischen König applaudierten Torturen, die einer demokratischen humanen Gesellschaftsform in einem vereinten Europa unwürdig seien. -

Werfen wir zuletzt noch einen Blick auf ein literarisches Meisterwerk, das 1926 in Paris ersterschienen war und vor wenigen Jahren (1998, Steidl) bei uns neu aufgelegt wurde: „Tiermenschen". In diesem autobiographischen Roman lässt Henry de Montherlant, selbst ein leidenschaftlicher „aficionado", der in jungen Jahren eigene Erfahrungen als torero gemacht hatte, einen alten spanischen Herzog gegen anti-taurinische Vorbehalte raisonieren: „Man weiß sehr wohl, daß der Stierkampf in unserm Lande der große Bindestrich zwischen den verschiedenen Ständen ist. Man hat es darauf abgesehen, durch die Vernichtung des Stierkampfes die Einheit der spanischen Seele zu vernichten".

Heute, viele Jahrzehnte später, in der Aera der europäischen Union, wird um den Stier(kampf) nach wie vor polemisiert, argumentiert, gestritten und gekämpft. Vermutlich wird er die zunehmende Einheit Europas weder gefährden noch gar vernichten. Vielleicht wird Europa auf den Kampf-Stier in seiner irritierenden, vielfältige Projektionen zulassenden Faszination genauso wenig verzichten können wie auf den Stier-Kampf mit seinen Ambivalenz und Widerspruch beinhaltenden und auslösenden Funktionen.


Kaum bekannt durch die Medien wurde als Folge der Anschläge in den USA, dass in Eriwan / Armenien nach Überwindung verschiedenster Hindernisse am 7. September im Jahre 2001 eine corrida mit spanischen toros und toreros stattfand. Ein Land, bisher europäischer Außenseiter, nähert sich Europa über den Stier, - eine absurde Vorstellung?