Donnerstag, 11. Februar 2016

Rainer Maria Rilke, der die Stiere nie sah

Er erinnert an Toreros, hat aber nie einen Stierkampf erlebt 
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von Philip de Málaga



Der in Prag geborene deutschsprachige Lyriker Rainer Maria Rilke (1875 bis 1926) hat in seinem ganzen Leben nie eine corrida de toros gesehen. Und trotzdem ist er der mundo de los toros auf seine Art begegnet. Am intensivsten wohl im andalusischen Ronda.

Rainer Maria Rilke in Spanien. Auf der Iberischen Halbinsel immer wieder ein Thema.
(Foto: el mundo)
Im Herbst 1912 begann seine Reise nach Spanien. Angetrieben die Bilderwelt von El Greco zu entdecken und zu erleben erreichte er über Toledo, Granada, Sevilla am 9. Dezember 1912 Ronda. "Es ist einfach wunderbar, dass ich Ronda gefunden habe, indem alles Erwünschte sich zusammenfasst," schrieb er am 18. Dezember seinem Freund und Verleger Anton Klippenberg, "die spanischste Ortschaft, phantastisch und überaus grossartig auf zwei enorme steile Gebirgsmassive hinaufgehäuft, die die enge Schlucht des Guadalvin auseinanderschneidet ...schliesslich das bequeme, geläufige Hotel, in dem ich vor der Hand sogar ganz allein bin."  Das Hotel hat des dem Schriftsteller besonders angetan. Es handelt sich dabei um das Vier-Sterne-Hotel Reina Victoria.

Diese Postkarte von seinem Hotel schickte Rilke am 19. Dezember 1912 an die Schriftstellerin
Lou Andreas Salomé, welche auch mit Sigmund Freund und Friedrich Nitzsche befreundet war.
Eigentlich wollte Rilke dort nur ein paar Tage verweilen, aber schliesslich blieb er dort bis zum 18. Februar 1913. Vor allem hat es ihm das morgendliche Wachwerden angetan:, als er durch das offene Fenster die Berge erblickte und der Ruhe lauschte. Hatte er doch seit 1910 wegen Depressionen mit einer Schreibblockade zu kämpfen. Doch die schien sich hier zu lösen und er begann den ersten Teil der spanischen Trilogie zu schreiben. Aber nichts über die mundo de los toros.

Antonio Montes "Paquirro"
Und nun stellt sich die Frage nach den toros. Wie ist hier eine Brücke zu schlagen? Viel erstaunter wird der geneigte Leser wahrscheinlich sein, wenn er liest, dass seine bekannten Zeilen über den torero Antonio Montes "Paquirro" schon fünf Jahre vorher niedergeschrieben hat, in Paris am 5. August 1907. Hinzu kommt die Tatsache, das der matador de toros schon am 4. April 1851 in Chiclana verstorben war, also 56 Jahre vor dem Gedicht, und wo Rilke noch nicht einmal geboren war.

Wie es dazu gekommen ist? Zum einen soll ihn eine innere Sucht nach der Iberischen Halbinsel dazu inspiriert haben. Hinzu kommt seine Verehrung spanischer Maler wie Francisco de Goya bis hin zu Ignacio-Zuloaga, welche sich in ihren Werken intensiv mit der tauromaquia auseinander gesetzt haben.

Toreros von Ignacio-Zuoaga
Tauromaquia von Francisco de Goya
Angeregt durch die optische Kunst, gemischt mit den Erzählungen seiner Freunde welche die Welt bereisten und ergänzt durch seine Phantasie und sprachgewaltige Ausdrucksweise schrieb er eine Poesie, welche eigentlich nur taurinischen Poeten vorbehalten ist. Allein schon der Titel, Corrida, lässt nicht auf einen deutschen Ursprung schliessen, schon gar nicht erwartet man jemanden, der zu jener Zeit die toros nicht mal gesehen hat und sie nur von den Bildern her kennt. Aber trotzdem erschien diese poesía taurina im Ersten Teil seiner Neuen Gedichte im Jahr 1907, indem der Verfasser die Frage nach dem Sinn des Todes aufstellt, den torero als Held darstellt, toro und Mann als Einheit verknüpft bis hin zum momento de la verdad, dem Tod des toros:


CORRIDA
In memoriam Montez, 1830

Seit er, klein beinah, aus dem Toril
ausbrach, aufgescheuchten Augs und Ohrs,
und den Eigensinn des Picadors
und die Bänderhaken wie im Spiel

hinnahm, ist die stürmische Gestalt
angewachsen – sieh: zu welcher Masse,
aufgehäuft aus altem schwarzen Hasse,
und das Haupt zu einer Faust geballt,

nicht mehr spielend gegen irgendwen,
nein: die blutigen Nackenhaken hissend
hinter den gefällten Hörnern, wissend
und von Ewigkeit her gegen Den,

der in Gold und mauver Rosaseide
plötzlich umkehrt und, wie einen Schwarm
Bienen und als ob ers eben leide,
den Bestürzten unter seinem Arm

durchlässt, – während seine Blicke heiss
sich noch einmal heben, leichtgelenkt,
und als schlüge draussen jener Kreis
sich aus ihrem Glanz und Dunkel nieder
und aus jedem Schlagen seiner Lider,

ehe er gleichmütig, ungehässig,
an sich selbst gelehnt, gelassen, lässig
in die wiederhergerollte grosse
Woge über dem verlornen Stosse
seinen Degen beinah sanft versenkt.