Dienstag, 21. Oktober 2014

Zur Darstellung der Stiere in deutschsprachigen Medien

Die deutschsprachigen aficionados müssen sich zu Wort melden
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von Dr. Andreas Krumbein



Ein besonderer Wert, den eine Vielzahl der Meldungen bei SfA für mich hat, ist die hohe Aktualität der Informationen sowie die Tatsache, dass sie Ereignisse, Entwicklungen und Aspekte zum Inhalt haben, die für mich von hohem Interesse sind oder meinen Wissens- oder Erkenntnishorizont erweitern. Manche Nachricht hätte mich ansonsten nicht oder stark verspätet erreicht, und das Verdienst, diesen Zustand zu mildern, liegt in hohem Masse bei Philip de Málaga.

Viele Details und Ansichten in den Ausführungen und Angaben sind dabei nicht in meinem Sinne, vieles sehe und verstehe ich völlig anders, und gerade solche Situationen sind für mich Anlass, bestimmte Überzeugungen und ein bestimmtes Verständnis auf meiner Seite zu überprüfen und zu versuchen, mein Verständnis prägnant in Worte zu fassen, auch wenn es mir häufig nur unzulänglich gelingt.

Ohne die Meldungen bei SfA hätte ich den Artikel mit dem Titel „El Toro de la Vega – Blutiger Tag auf der Wiese“ von Leo Wieland, der am 15.09.2014 in der Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) erschienen ist, bisher nicht gelesen. Der Inhalt dieses Artikels hat mich einerseits veranlasst, den Aufsatz „Eine Lanze für den Toro de la Vega“ zu schreiben und zu veröffentlichen. Andererseits hatte ich das Bedürfnis, der F.A.Z. meine Bewertung des Inhalts dieses Artikels in Form eines Leserbriefes zukommen zu lassen.

Fast immer, – Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen. – wenn in deutschsprachigen Medien über die Stiere, seien es die corridas de toros oder die volkstümlichen „Stierspiele“ berichtet wird, ist der Inhalt der Artikel gekennzeichnet von Unkenntnis, fehlerhaften Details, vorgefasster Meinung und mangelhafter Recherche. Das mag für jemanden, der nicht aus einem Land mit Stierkampf-Hintergrund stammt, in der Natur der Dinge liegen. Für einen Journalisten, der für eine renommierte, überregionale Tageszeitung schreibt, gelten allerdings höhere Ansprüche. Dass häufig ganz offen oder hintergründig, sei es mit Absicht oder unbewusst, Elemente des Versuchs der Manipulation des Lesers in solche Artikel einfließen, kommt verschärfend hinzu. In dem hier erwähnten Artikel erkenne ich eine Reihe der aufgezählten Elemente.

Es ist wichtig und notwendig, dass sich auch die deutschsprachigen aficionados in ihrer Medienlandschaft mit ihren Ansichten und ihrer Kritik zu Wort melden. Das darf nicht nur über Online-Diskussionen erfolgen. Ich möchte meine Bewertung des besagten Artikels der SfA-Leserschaft zur Kenntnis bringen:



El Toro de la Vega – Blutiger Tag auf der Wiese, vom 15.09.2014
Leo Wieland publizierte unlängst in der Rubrik „Gesellschaft“ der F.A.Z. den oben genannten Artikel. So gelungen die Berichterstattungen und Analysen Herrn Wielands als politischem Korrespondenten der F.A.Z. für die Iberische Halbinsel im Hinblick auf die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Spanien, deren Verflechtungen im Hintergrund und deren Einordnung in die gesamtgesellschaftliche Situation des Landes sind, so mangelhaft sind gelegentlich seine Beiträge, die sich mit sozio-kulturellen und gesellschaftspolitischen Aspekten in Spanien befassen. In dieser Hinsicht stechen immer mal wieder Beiträge zum Spanischen Stierkampf und insbesondere der oben genannte Artikel hervor.
Seit vielen Jahren wird in Spanien über Aufrechterhaltung oder Abschaffung der in weiten Teilen des Landes verbreiteten Stierspiele, von denen die corridas de toros eine besonders entwickelte Variante ist, gestritten. Was im Deutschen als „Stierkampf“ bezeichnet wird, wird von einem großen Teil der spanischen Bevölkerung lediglich „los toros“ genannt: die Stiere. „Ich gehe zu den Stieren“, nicht: „Ich gehe zur corrida.“ Dass „die Stiere“ eine besondere Bedeutung für Spanien, seine Entwicklung, auch als Nation, die Entwicklung seiner Gesellschaft und der Mentalität der Bevölkerung haben, äussert sich u.a. in einer Vielzahl von Begrifflichkeiten und Ausdrücken, die aus allem, was mit dem Stierkampf zu tun hat, in die Umgangssprache übergegangen sind. Folgt man Äusserungen des liberalen, spanischen Philosophen José Ortega y Gasset, wie: Die Geschichte der Stierkämpfe enthüllt einige der hintergründigsten Geheimnisse des spanischen Volkslebens seit fast drei Jahrhunderten. Und es geht dabei nicht um schwammige Bewertungen, sondern darum, dass man sonst die eigentümliche gesellschaftliche Struktur unseres Volkes während dieser Jahrhunderte nicht mit Schärfe zu bestimmen vermag, eine gesellschaftliche Struktur, die hinsichtlich sehr wichtiger Regeln dem Normalen in den anderen Nationen in Europa genau entgegengesetzt ist. oder: Die Geschichte des Stierkampfes ist mit derjenigen Spaniens verknüpft, so sehr, dass ohne die erste zu kennen, es sich als unmöglich erweist die zweite zu begreifen., müssen sich Fragen auftun, wie: Was bedeutet das rituelle Töten von Stieren, vielleicht sogar allgemeiner: von Tieren, dem Spanier? Was hat es ihm früher bedeutet und was bedeutet es heute? Was bedeutet eine Veränderung der Wichtigkeit und Akzeptanz dieser Riten für die spanische Gesellschaft? In welchen Gesellschaftsschichten spielen sich diese Veränderungen ab und warum? Wie ist die Auswirkung dieser Veränderungen auf diejenigen Schichten, in denen sie nicht stattfinden? Wie stark sind Einflüsse politischer Parteien, Akteure und Strömungen auf diese Veränderungen, in welche Richtung gehen sie, welche möglichen Ziele sind damit verbunden, wem nutzen und wem schaden sie?
Anstatt einzuflechten, wie die Kinder von Papst Alexander VI. hiessen,  sollte erläutert werden, was genau „Freunden des regulären Stierkampfes“ beim Töten des Toro de la Vega „inzwischen peinlich“ ist und was damit eigentlich gemeint ist. Es ist ein Missverständnis zu schreiben, das Erstechen des Stieres sei „unzeremoniell“ oder habe „so gar nichts nobles, elegantes, tapferes, sportliches oder kulturelles“. Es ist nicht ausreichend, sich auf „Die Männer (…)  erwarten ohne rotes Tuch den fast 600 Kilogramm schweren Kampfstier auf einer Wiese hinter der Brücke. Wer ihn erlegt, hat das Recht, ihm die Hoden abzuschneiden und sie auf seiner Lanze zu paradieren.“ zu beschränken. Das ist doch nicht alles. Was genau machen die denn da? Und warum tun die das? Was hat es für sie für eine Bedeutung? Warum tun die das auch heute noch?
Sind die Spanier besonders grausam zu Tieren? Auf diese Frage des Online-Dienstes „El Confidencial Digital“ wird die Antwort eben dieses Online-Dienstes „60.000 Tiere, darunter neben Stieren und Kälbern auch Pferde, Ziegen und sogar Gänse, lassen nach seiner Hochrechnung jährlich bei spanischen Volksfesten ihr Leben.“ zitiert, ohne einen Hinweis darauf, mit wem oder womit hier implizit verglichen wird. Im Vergleich zu welchen anderen Völkern sind die Spanier besonders grausam zu Tieren? Oder: Welche anderen Völker sind genauso grausam zu Tieren wie die Spanier? Stellt ein Online-Dienst solche Fragen nicht selbst, muss man sie selber stellen. Hat „El Confidencial Digital“ es tatsächlich nicht getan, ist es um dessen Seriosität nicht weit her, und dann gehören solche Zitate nicht in einen Zeitungsartikel von Qualität. 
Dass im Abschluss des Artikels das rituelle Töten von bestimmten Tieren in scheinbar direkten Zusammenhang mit der Vernachlässigung, dem Aussetzen, der Misshandlung und dem Töten von Haustieren und Jagdhunden gebracht wird, ist ein besonderes Ärgernis, denn beide Dinge haben nichts miteinander zu tun. Ob tatsächlich das rituelle Töten von Tieren in einem Lebensbereich eines Volkes, nämlich bei einer Festlichkeit, die oben genannten Handlungsweisen gegenüber Tieren in ganz anderen Lebensbereichen begünstigt oder nicht, ob ein solch möglicher Zusammenhang untersucht wurde und welche Ergebnisse dabei gewonnen wurden und auch, warum die Spanier die offenbar in besonders großer Zahl ausgesetzten Hunde und Katzen überhaupt kaufen und worauf dies beruht, wäre einen eigenen, gut recherchierten Artikel wert.
Für einen Artikel, der sich in der Rubrik  „Gesellschaft“ befindet und nicht eine „Herzblatt-Geschichte“ erzählt, ist diese fehlende Tiefe nicht angemessen. Dass Herr Wieland zu einer profunderen Diskussion der Verhältnisse und einer auch bei diesem Thema differenzierten Analyse nicht imstande wäre, hat er in vielfältiger Weise bezüglich anderer Themen widerlegt.
Dr. Andreas Krumbein, Göttingen


Kein meinungsbildendes oder Informationsmedium ist gegen schlechte oder Falschdarstellung gefeit, ganz gleich wie qualitativ hochwertig, seriös und renommiert es im Prinzip in der Gesamtheit seiner Berichterstattung und hinsichtlich seines journalistischen Anspruches ist. Erkennt man dies als Konsument, ist Kritik und die Forderung nach Richtigstellung wichtig und notwendig.

In Spanien werden die Verzagtheit, die Mutlosigkeit, das Schweigen und die Untätigkeit weiter Teile der mundo taurino gegen Angriffe auf die Stiere zu Recht beklagt – siehe dazu „Intoxicación informativa“ von Alfonso Santiago, in der Zeitschrift 6 toros 6, No. 1.057, 30. Sep. 2014. In Spanien können und müssen wohl die spanischen aficionados und die mundo taurino selbst die Verteidigung der Stiere tragen und verantworten, ebenso das Scheitern in Falle des Unterlassens. Im deutschsprachigen Raum können dies nur die deutschsprachigen aficionados. Und: sie müssen es tun. 

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Siehe auch:

Stirbt der Stier? von Philip de Málaga, Andalusienforum, 30. 6. 2007: Wie sich selbst erfahrene deutsche Journalisten schwer tun mit der Thematik des Stierkampfs. Hier am Beispiel eines Artikels in der FAZ vom 26. Juni 2007 des Journalisten Leo Wieland.