von Dr. Andreas Krumbein
Die corrida de toros und
der toreo, also die Art und Weise wie
der matador und alle anderen toreros mit den Stieren umgehen, ist
eingebettet und durchsetzt von einer Fülle von Regeln, Erwartungen und
Hoffnungen, die teilweise als mehr oder weniger gut definierte Anweisungen in
Form von Staatsgesetzen in den unterschiedlichen reglamentos taurinos nachlesbar und zu befolgen sind, wobei eine
Reihe dieser Anweisungen unscharf formuliert ist, so dass ihre Auslegung
Gegenstand langwieriger Diskussionen sein kann.
Viele dieser Regeln, die sich nicht in einem reglamento taurino befinden, sind gut
formuliert und auch aufgeschrieben worden, haben jedoch keinen
Gesetzescharakter. Dennoch wird ihre Befolgung unbedingt erwartet. Sie stellen
gewissermaßen die grundlegenden Fertigkeiten dar, die ein torero beherrschen und anwenden muss, damit sein Tun vom kundigen
Publikum als handwerklich akzeptabel erachtet werden kann. Erst wenn das
Handwerk stimmt, kann der Ausführung des Handwerks eine individuelle,
künstlerische Note hinzugefügt werden, die in besonderer Weise vom Einzelnen
goutiert und belohnt werden kann. Vorher muss, in besonderem Maße, der matador zeigen, dass er in der Lage ist,
auf eine ganz bestimmte Art und Weise mit dem Stier umzugehen. Erst dann ist
ein maestro.
Für den matador hat sich eine ganze Reihe solch handwerklicher Regeln herausgebildet. Die
genaue Bedeutung der Begriffe, die diese Regeln fassen und prägnant bezeichnen
sollen, ist wiederum eine Frage der Auslegung und ebenso Gegenstand noch
langwierigerer Diskussionen, teilweise bis zum heutigen Tage. Teilweise hat
sich die Bedeutung der Begriffe im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte
verändert, und aficionados
disputieren über die Korrektheit der unterschiedlichen Interpretationen ohne
müde zu werden, wobei sie häufig ihre eigene als die allein richtige gegenüber
allen anderen durchzusetzen versuchen.
Als Oberbegriff für die grundlegenden, handwerklichen Regeln
für den matador hat sich der Ausdruck der cánones del toreo durchgesetzt: die Richtschnur oder der Leitfaden für
das Verhalten des matador gegenüber
dem Stier, die Gesamtheit der geltenden Regeln und Vereinbarungen für den toreo.
So haben beispielsweise José
Delgado Guerra «Pepe Hillo» und Francisco
Montes Reina «Paquiro» in ihren tauromaquias
Regeln formuliert, deren Befolgung gleichzeitig die „maximale Begünstigung
des toro und die maximale Sicherheit
des torero“, so Joaquín Vidal, vereinen sollen.
"La Tauromaquia o el Arte de Torear", José Delgado Guerra "Pepe Hillo" (1954 - 1801) und Francisco Montes Reina "Paquiro" (1805 - 1851) |
(In diesem Zusammenhang stellt Joaquín Vidal in ‘El toreo es grandeza‘ fest: „Eine von
der herrschenden Lehre abweichende Art des toreo,
die einige Stierkämpfer Epochen später teilweise mit großer Akzeptanz des
Publikums praktiziert haben, ist von den aficionados nicht wegen ihrer Abweichungen abgelehnt worden, sondern weil sie in
irgendeiner Weise die Konstanten der maximalen Begünstigung des toro, der maximalen Sicherheit des torero und der letztendlichen
Beherrschung des wilden Tieres, die das wesentliche Fundament des torero bilden, kaputtmachte.“)
Viele matadores
haben zu den cánones beigetragen und
dadurch spezifische, individuelle Akzente gesetzt, die bis heute wirksam sind
und die die Bewertung eines einzelnen matador
und die Bewertung einer einzelnen suerte,
der Ausführung von Serien von suertes und
der Ausführung einer gesamten faena
vom handwerklichen Standpunkt aus grundlegend beeinflussen:
"El toreo es grandeza" und Joaquín Vidal (1935 - 2002) |
„Alle Manöver haben ihre festen Regeln, durch
die die toreros sie mit größerer
Sicherheit ausführen können, unabhängig von ihrem ästhetischen Ergebnis.
Kundige Beobachter sollten diese Regeln auch kennen, damit sie die Leistungen
oder Mängel der lidiadores einschätzen können und damit sie nicht alleine sind mit ihren Sichtweisen des toreo.“
So schreibt José Antonio del Moral in "Como ver una corrida de toros" (Wie schaut man eine corrida de toros).
Drei fundamentale cánones,
zumindest deren praktische Umsetzung als Erster, werden dem matador de toros Juan Belmonte zugeschrieben. Wich man bis dahin im wesentlichen den
Angriffen des Stieres mit den Beinen aus, sah man bei ihm eine neue, langsame
Ausführung des toreo mit geringer
Entfernung zum Stier.
"Como ver una corrida de toros" von José Antonio del Moral (De Toros en Libertad) |
Rafael Molina Sánchez "Lagartijo" (1841 - 1900 |
Im Gegensatz zu einem Ausspruch von Rafael Molina Sánchez
«Lagartijo»: „ …, und entweder gehst Du aus dem Weg oder der Stier räumt Dich
aus dem Weg.“ soll Belmonte gesagt haben: „ …, und weder gehst Du aus dem Weg,
noch räumt Dich der Stier aus dem Weg, wenn Du wirklich weisst, was torear bedeutet.“
Diese drei fundamentalen cánones sind: parar, templar y mandar.
Die Erläuterungen bei José Luis Acquaroni (Der Stierkampf,
Editorial Noguer, S.A., Barcelona, 1959) lesen sich fast musisch:
„Die drei
Grundlagen, auf denen die Arbeit mit der muleta
- und jegliches Stierkämpfen - beruht sind: parar (ruhig stehen), templar
(ausgleichen) und mandar
(beherrschen).
"Der Stierkampf" von José Luis Acquaroni |
Ruhig stehen (parar) heißt nicht einfach nur still dastehen, wenn man den Stier
zum Angriff reizt. Ruhig stehen heisst, den eigenen Boden in keinem der drei Momente, die zu einer
vollständigen Figur gehören, zu verbessern, also weder beim Reizen, noch beim
Zusammentreffen und auch nicht dann, wenn man die Figur beendet. Ruhig stehen bedeutet, vom eigenen Boden
keine Zugeständnisse zu machen, auch wenn der Stier mehrere Male vorbeiläuft,
und selbst, wenn es sich um eine abgeschlossene Figur handelt.
Diesen
statischen Begriff des Stierkämpfens verdankt man dem Juan Belmonte. Da es ihm an
den notwendigen Kräften in den Beinen fehlte, blieb ihm nichts anderes übrig,
als die ihm auferlegte Unbeweglichkeit, durch einen starken,
geistesgegenwärtigen und beherrschenden Kampf mit den Armen auszugleichen. Von
diesem Umstand lässt sich das ganze moderne Stierkämpfen ableiten.
Ausgleichen (templar) heißt hier, den heftigen Angriff eines Stieres auf den
Rhythmus abzustimmen, in dem der torero
mit der muleta oder der capa arbeiten will. Es geht darum, eine vollkommene Entsprechung zwischen der
Bewegung der muleta und der Bewegung
des Stieres zu erreichen und während einer ganzen Figur beizubehalten. Dazu
muss man den Lauf des Tieres, sobald es zum Angriff losstürzt, anfachen oder
bremsen. Man muss den Stier mit der muleta geschmeidig lenken und ihn immer in der gleichen Entfernung halten, bis zum
Ende der Figur.
Beherrschen (mandar) schließlich heisst, den Stier zum Verfolgen eines bestimmten
Weges zu zwingen. In jedem Augenblick muss das Tier vom Willen des Kämpfers
abhängig sein.
Diese drei
Grundlagen finden ihre Ergänzung in
der Fähigkeit, die einzelnen Figuren
richtig zu beenden und miteinander zu verbinden. Bei der Arbeit mit der muleta dürfen die verschiedenen Figuren nicht voneinander getrennt
sein. Sie müssen vielmehr miteinander verbunden
und verflochten werden. Um diese Verkettung zu erreichen, muss man den
Stier nach jeder Figur so lenken, dass er sich in der entsprechenden Lage, also
wieder an einer bestimmten Stelle befindet, um eine neue Figur zu ermöglichen,
ohne den jeweiligen Standort verbessern oder verändern zu müssen.“
Diese Erläuterungen seinen ein erster Anfang, wenn man sich
mit den cánones del toreo eingehender befassen will. Ein erster Anfang
deswegen, weil (wichtige) Details, die in diesen Erläuterungen auftauchen, ganz
anders aufgefasst und erklärt werden, wenn man die Interpretationen und
Bedeutungen der Begriffe bei anderen nachliest. Desweiteren werden im Text
weitere elementare Aspekte der Ausführung von suertes, die man ebenfalls als cánones ansieht, angesprochen – das „Reizen“, das „Zusammentreffen“, die richtige
Beendigung der Figur, das Verbinden von Figuren, seinen Standort nicht verbessern
müssen – ohne dass es deutlich kenntlich gemacht wird oder weiter ausgeführt
würde.
Bei Tristan Wood in ’How to Watch a Bullfight’ liest man:
"How to Watch a Bullfight" von Tristan Wood |
Parar – Heutzutage wird jegliche Bewegung der Füsse des matadores weg vom Stier, wenn sie während eines der grundlegenden pases mit der muleta getan wird, als Mangel angesehen und als Rückzugsbewegung
vom Tier. Eine Herausbildung neueren Datums von parar (ruhig stehen)
bedeutet, am Ende eines pase seine
Stellung zu behaupten und den vorbeigelaufenen Stier an exakt derselben Stelle
wie beim pase zuvor erneut in Empfang
zu nehmen.
Dies ist in
verkürzter Form der Inhalt der Erläuterungen von Acquaroni. An manch anderer
Stelle liest man hingegen: Parar (in der Bedeutung wie sie bis
1796 zurückreichend bei «Pepe Hillo» in seiner ‘La Tauromaquia o Arte de Torear‘ vorkommt) bedeutet: still
dastehen, die Füsse nicht bewegen, sobald man eine bestimmte Stellung
eingenommen hat und der Stier in den „Einzugsbereich“ (jurisdicción) des lockenden Tuches eingetreten ist.
Hier wird vom matador weit weniger verlangt, als wenn
man das neuere Verständnis von parar zugrundelegt, das parar auch dann erfordert, wenn der Stier vorbeigelaufen ist und die jurisdicción des Tuches verlassen hat,
umdreht und sich erneut auf den matador
zubewegt.
Templar – Der zweite Kanon, templar (mässigen, zügeln, abbremsen), beinhaltet, dass sich der
torero auf den Rhythmus des Stieres
einstellt. Ohne die Fähigkeit das Tuch im selben Tempo zu bewegen wie der Stier
angreift, wird es schwierig sein einen einzelnen pase zustande zu bringen, wobei das Verwirklichen einer Serie
unmöglich ist. pases, bei denen die
Hörner des Stieres das Tuch erreichen, sowie solche, die das Tier verleiten
sich im Tuch zu verhaken, sind als unästhetisch verpönt. Ein pase templado kann langsam oder schnell sein, abhängig vom natürlichen
Rhythmus des Stieres, aber in besonderer Weise werden solche Momente
wertgeschätzt, in denen das Tier vom Tuch so hypnotisiert zu sein scheint, dass
der Mensch seinen Angriff durch die Handhabung des Tuches zu verlangsamen
scheint.
Acquaroni
beschreibt eine Anpassung des Verhaltens des Tieres, nämlich die
Geschwindigkeit seines Vorwärtsdranges, an die Geschwindigkeit, mit der der matador meint, das Tuch führen zu
wollen. In der Beschreibung bei Wood ist es umgekehrt: der matador muss sich der Geschwindigkeit des Stieres in korrekter
Weise anpassen.
Dazu findet man
auch: Üblicherweise wird templar verstanden als das Anpassen
des Tempos der muleta an die
Geschwindigkeit des Stieres. Es gibt Gelehrte, die argumentieren, templar bedeute auch das Mässigen der Schnelligkeit des Stieres, denn man könne sie
dadurch verringern, dass man das Tuch absenkt und dadurch den Kopf des Tieres
senkt und es somit langsamer werden lässt. Obwohl diese Behauptung manchen Vorzug
hat, wird sie allgemein als etwas esoterisch-akademisch angesehen.
Mandar – Der dritte Kanon, mandar (beherrschen, gebieten, kommandieren), bezieht sich auf
die Wichtigkeit, den Stier mit dem Tuch als Köder zu kontrollieren,
idealerweise von dem Moment an, in dem der Stier zum Angriff bewegt wird. Viele
aficionados sehen folglich einen pase, der mit einer Vorwärtsbewegung der
muleta in Richtung des Stieres
begonnen wurde, als verdienstvoller an, als einen, bei dem das Tuch neben oder
hinter dem Körper des Mannes gehalten wird, wegen der Länge der Zeitspanne,
während der der Stier durch den matador
kontrolliert wird, und das obwohl man argumentieren kann, dass diese anderen
Methoden riskanter und gefährlicher sind, da bis zu demjenigen Moment, in dem
der Stier seinen Kopf vollständig in das Tuch versenkt hat, immer das Risiko
besteht, dass sich das Tier entscheidet den Mann statt den Köder anzugreifen.
Muleta templada von Domingo Ortega und Iván Fandiño: Ob die muleta tatsächlich templada war, lässt sich natürlich nur beurteilen, wenn man den Bewegungsablauf direkt verfolgen würde. (Fotos: Tauromaquias.com, Iván Fandiño) |
Damit mandar tatsächlich möglich wird, muss der matador
seinen Gegner verstehen und beherrschen. Obwohl man gute faenas sehen kann ausgeführt von toreros, die nicht in der Lage sind ihren Gegner zu beherrschen,
sondern die lediglich das Glück haben, einem eifrigen und folgsamen Stier
gegenüberzustehen, werden solche faenas,
in denen der matador seinen Verstand
und das Meistern des toro bravo unter
Beweis stellen muss, um erfolgreich zu sein, als rühmlicher und lobenswerter
angesehen.
In sehr
kompakter Form und ebenfalls in Übereinstimmung mit Acquaroni liest man auch: Mandar bedeutet, den Stier von Beginn bis
Abschluss eines pase zu
kontrollieren, ihn dazu zu bringen, dem Weg, der ihm vom torero mit dem Köder vorgegeben wird, zu folgen.
Kurz vor Schluss sei noch einmal ein Schritt zurück an den
Anfang getan, zum ersten Kanon: parar. Man findet auch eine deutlich
andere, zusätzliche Erklärung und Interpretation des Begriffes parar:
Parar bedeutet, dem unkontrollierten Angreifen des Stieres Einhalt zu gebieten und
damit zu beginnen ihn unter Kontrolle zu bringen, was eines der wesentlichen
Merkmale der lidia darstellt. Hierbei
ist das Wirksamwerden von parar vom Mann auf den Stier
gerichtet, während es im üblichen Verständnis auf den Mann selbst gerichtet
ist, der sein eigenes Verhalten zu steuern hat.
Diesem anderen
Verständnis von parar entspricht im Deutschen das Wort parieren, nämlich das
Abwehren eines Angriffes oder ein Gegenangriff in den Kampf- oder Fechtkünsten
oder in Ballsportarten (z.B. Parade des Torwarts) oder beim Reiten das zum
Stehen oder in eine andere Gangart bringen eines Pferdes.
Es ist schon angeklungen, dass die drei fundamentalen cánones parar, templar y mandar nur der Anfang sind und es noch weitere cánones gibt, einige sehr wichtige, andere die – mir zumindest – weniger wichtig
erscheinen. Ein weiterer wesentlicher Kanon, der zu überbordenden Diskussionen
an vielen Stellen geführt hat und aktuell immer noch führt, sei hier nur
namentlich genannt: cargar la suerte. Doch davon mehr in einem kommenden Beitrag.
Für mich ist klar, dass man die Güte der Beachtung und
Ausführung der cánones nur in
Filmaufnahmen, nie aber in stehenden Bildern beurteilen kann. Als Beispiel für
die hohe Güte ihrer Ausführung sei der folgende Link angegeben: Signes du Toro - Spéciale José Tomás