Mittwoch, 30. September 2015

Parar, templar y mandar





von Dr. Andreas Krumbein


Die corrida de toros und der toreo, also die Art und Weise wie der matador und alle anderen toreros mit den Stieren umgehen, ist eingebettet und durchsetzt von einer Fülle von Regeln, Erwartungen und Hoffnungen, die teilweise als mehr oder weniger gut definierte Anweisungen in Form von Staatsgesetzen in den unterschiedlichen reglamentos taurinos nachlesbar und zu befolgen sind, wobei eine Reihe dieser Anweisungen unscharf formuliert ist, so dass ihre Auslegung Gegenstand langwieriger Diskussionen sein kann.

Viele dieser Regeln, die sich nicht in einem reglamento taurino befinden, sind gut formuliert und auch aufgeschrieben worden, haben jedoch keinen Gesetzescharakter. Dennoch wird ihre Befolgung unbedingt erwartet. Sie stellen gewissermaßen die grundlegenden Fertigkeiten dar, die ein torero beherrschen und anwenden muss, damit sein Tun vom kundigen Publikum als handwerklich akzeptabel erachtet werden kann. Erst wenn das Handwerk stimmt, kann der Ausführung des Handwerks eine individuelle, künstlerische Note hinzugefügt werden, die in besonderer Weise vom Einzelnen goutiert und belohnt werden kann. Vorher muss, in besonderem Maße, der matador zeigen, dass er in der Lage ist, auf eine ganz bestimmte Art und Weise mit dem Stier umzugehen. Erst dann ist ein maestro.

Für den matador hat sich eine ganze Reihe solch handwerklicher Regeln herausgebildet. Die genaue Bedeutung der Begriffe, die diese Regeln fassen und prägnant bezeichnen sollen, ist wiederum eine Frage der Auslegung und ebenso Gegenstand noch langwierigerer Diskussionen, teilweise bis zum heutigen Tage. Teilweise hat sich die Bedeutung der Begriffe im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte verändert, und aficionados disputieren über die Korrektheit der unterschiedlichen Interpretationen ohne müde zu werden, wobei sie häufig ihre eigene als die allein richtige gegenüber allen anderen durchzusetzen versuchen.

Als Oberbegriff für die grundlegenden, handwerklichen Regeln für den matador hat sich der Ausdruck der cánones del toreo durchgesetzt: die Richtschnur oder der Leitfaden für das Verhalten des matador gegenüber dem Stier, die Gesamtheit der geltenden Regeln und Vereinbarungen für den toreo.

So haben beispielsweise José Delgado Guerra «Pepe Hillo» und Francisco Montes Reina «Paquiro» in ihren tauromaquias Regeln formuliert, deren Befolgung gleichzeitig die „maximale Begünstigung des toro und die maximale Sicherheit des torero“, so Joaquín Vidal, vereinen sollen.

"La Tauromaquia o el Arte de Torear", José Delgado Guerra "Pepe Hillo" (1954 - 1801)
und Francisco Montes Reina "Paquiro" (1805 - 1851)
(In diesem Zusammenhang stellt Joaquín Vidal in El toreo es grandeza fest: „Eine von der herrschenden Lehre abweichende Art des toreo, die einige Stierkämpfer Epochen später teilweise mit großer Akzeptanz des Publikums praktiziert haben, ist von den aficionados nicht wegen ihrer Abweichungen abgelehnt worden, sondern weil sie in irgendeiner Weise die Konstanten der maximalen Begünstigung des toro, der maximalen Sicherheit des torero und der letztendlichen Beherrschung des wilden Tieres, die das wesentliche Fundament des torero bilden, kaputtmachte.“)

"El toreo es grandeza" und Joaquín Vidal (1935 - 2002)
Viele matadores haben zu den cánones beigetragen und dadurch spezifische, individuelle Akzente gesetzt, die bis heute wirksam sind und die die Bewertung eines einzelnen matador und die Bewertung einer einzelnen suerte, der Ausführung von Serien von suertes und der Ausführung einer gesamten faena vom handwerklichen Standpunkt aus grundlegend beeinflussen:

„Alle Manöver haben ihre festen Regeln, durch die die toreros sie mit größerer Sicherheit ausführen können, unabhängig von ihrem ästhetischen Ergebnis. Kundige Beobachter sollten diese Regeln auch kennen, damit sie die Leistungen oder Mängel der lidiadores einschätzen können und damit sie nicht alleine sind mit ihren Sichtweisen des toreo.“

So schreibt José Antonio del Moral in "Como ver una corrida de toros" (Wie schaut man eine corrida de toros).

"Como ver una corrida de toros" von José Antonio del Moral (De Toros en Libertad)
Drei fundamentale cánones, zumindest deren praktische Umsetzung als Erster, werden dem matador de toros  Juan Belmonte zugeschrieben. Wich man bis dahin im wesentlichen den Angriffen des Stieres mit den Beinen aus, sah man bei ihm eine neue, langsame Ausführung des toreo mit geringer Entfernung zum Stier.

Rafael Molina Sánchez
"Lagartijo"
(1841 - 1900
Im Gegensatz zu einem Ausspruch von Rafael Molina Sánchez «Lagartijo»: „ …, und entweder gehst Du aus dem Weg oder der Stier räumt Dich aus dem Weg.“ soll Belmonte gesagt haben: „ …, und weder gehst Du aus dem Weg, noch räumt Dich der Stier aus dem Weg, wenn Du wirklich weisst, was torear bedeutet.“

Diese drei fundamentalen cánones sind: parar, templar y mandar.

Die Erläuterungen bei José Luis Acquaroni (Der Stierkampf, Editorial Noguer, S.A., Barcelona, 1959) lesen sich fast musisch:

"Der Stierkampf" von José Luis Acquaroni
„Die drei Grundlagen, auf denen die Arbeit mit der muleta - und jegliches Stierkämpfen - beruht sind: parar (ruhig stehen), templar (ausgleichen) und mandar (beherrschen).

Ruhig stehen (parar) heißt nicht einfach nur still dastehen, wenn man den Stier zum Angriff reizt. Ruhig stehen heisst, den eigenen Boden in keinem der drei Momente, die zu einer vollständigen Figur gehören, zu verbessern, also weder beim Reizen, noch beim Zusammentreffen und auch nicht dann, wenn man die Figur beendet. Ruhig stehen bedeutet, vom eigenen Boden keine Zugeständnisse zu machen, auch wenn der Stier mehrere Male vorbeiläuft, und selbst, wenn es sich um eine abgeschlossene Figur handelt.

Diesen statischen Begriff des Stierkämpfens verdankt man dem Juan Belmonte. Da es ihm an den notwendigen Kräften in den Beinen fehlte, blieb ihm nichts anderes übrig, als die ihm auferlegte Unbeweglichkeit, durch einen starken, geistesgegenwärtigen und beherrschenden Kampf mit den Armen auszugleichen. Von diesem Umstand lässt sich das ganze moderne Stierkämpfen ableiten.

Ausgleichen (templar) heißt hier, den heftigen Angriff eines Stieres auf den Rhythmus abzustimmen, in dem der torero mit der muleta oder der capa arbeiten will. Es geht darum, eine vollkommene Entsprechung zwischen der Bewegung der muleta und der Bewegung des Stieres zu erreichen und während einer ganzen Figur beizubehalten. Dazu muss man den Lauf des Tieres, sobald es zum Angriff losstürzt, anfachen oder bremsen. Man muss den Stier mit der muleta geschmeidig lenken und ihn immer in der gleichen Entfernung halten, bis zum Ende der Figur.

Beherrschen (mandar) schließlich heisst, den Stier zum Verfolgen eines bestimmten Weges zu zwingen. In jedem Augenblick muss das Tier vom Willen des Kämpfers abhängig sein.

Diese drei Grundlagen finden ihre Ergänzung in der Fähigkeit, die einzelnen Figuren richtig zu beenden und miteinander zu verbinden. Bei der Arbeit mit der muleta dürfen die verschiedenen Figuren nicht voneinander getrennt sein. Sie müssen vielmehr miteinander verbunden und verflochten werden. Um diese Verkettung zu erreichen, muss man den Stier nach jeder Figur so lenken, dass er sich in der entsprechenden Lage, also wieder an einer bestimmten Stelle befindet, um eine neue Figur zu ermöglichen, ohne den jeweiligen Standort verbessern oder verändern zu müssen.“

Diese Erläuterungen seinen ein erster Anfang, wenn man sich mit den cánones del toreo eingehender befassen will. Ein erster Anfang deswegen, weil (wichtige) Details, die in diesen Erläuterungen auftauchen, ganz anders aufgefasst und erklärt werden, wenn man die Interpretationen und Bedeutungen der Begriffe bei anderen nachliest. Desweiteren werden im Text weitere elementare Aspekte der Ausführung von suertes, die man ebenfalls als cánones ansieht, angesprochen – das „Reizen“, das „Zusammentreffen“, die richtige Beendigung der Figur, das Verbinden von Figuren, seinen Standort nicht verbessern müssen – ohne dass es deutlich kenntlich gemacht wird oder weiter ausgeführt würde.

"How to Watch a Bullfight" von Tristan Wood
Bei Tristan Wood in How to Watch a Bullfight liest man:

Parar – Heutzutage wird jegliche Bewegung der Füsse des matadores weg vom Stier, wenn sie während eines der grundlegenden pases mit der muleta getan wird, als Mangel angesehen und als Rückzugsbewegung vom Tier. Eine Herausbildung neueren Datums von parar (ruhig stehen) bedeutet, am Ende eines pase seine Stellung zu behaupten und den vorbeigelaufenen Stier an exakt derselben Stelle wie beim pase zuvor erneut in Empfang zu nehmen.

Dies ist in verkürzter Form der Inhalt der Erläuterungen von Acquaroni. An manch anderer Stelle liest man hingegen: Parar (in der Bedeutung wie sie bis 1796 zurückreichend bei «Pepe Hillo» in seiner ‘La Tauromaquia o Arte de Torear‘ vorkommt) bedeutet: still dastehen, die Füsse nicht bewegen, sobald man eine bestimmte Stellung eingenommen hat und der Stier in den „Einzugsbereich“ (jurisdicción) des lockenden Tuches eingetreten ist.

Hier wird vom matador weit weniger verlangt, als wenn man das neuere Verständnis von parar zugrundelegt, das parar auch dann erfordert, wenn der Stier vorbeigelaufen ist und die jurisdicción des Tuches verlassen hat, umdreht und sich erneut auf den matador zubewegt.

Templar – Der zweite Kanon, templar (mässigen, zügeln, abbremsen), beinhaltet, dass sich der torero auf den Rhythmus des Stieres einstellt. Ohne die Fähigkeit das Tuch im selben Tempo zu bewegen wie der Stier angreift, wird es schwierig sein einen einzelnen pase zustande zu bringen, wobei das Verwirklichen einer Serie unmöglich ist. pases, bei denen die Hörner des Stieres das Tuch erreichen, sowie solche, die das Tier verleiten sich im Tuch zu verhaken, sind als unästhetisch verpönt. Ein pase templado kann langsam oder schnell sein, abhängig vom natürlichen Rhythmus des Stieres, aber in besonderer Weise werden solche Momente wertgeschätzt, in denen das Tier vom Tuch so hypnotisiert zu sein scheint, dass der Mensch seinen Angriff durch die Handhabung des Tuches zu verlangsamen scheint.

Acquaroni beschreibt eine Anpassung des Verhaltens des Tieres, nämlich die Geschwindigkeit seines Vorwärtsdranges, an die Geschwindigkeit, mit der der matador meint, das Tuch führen zu wollen. In der Beschreibung bei Wood ist es umgekehrt: der matador muss sich der Geschwindigkeit des Stieres in korrekter Weise anpassen.

Dazu findet man auch: Üblicherweise wird templar verstanden als das Anpassen des Tempos der muleta an die Geschwindigkeit des Stieres. Es gibt Gelehrte, die argumentieren, templar bedeute auch das Mässigen der Schnelligkeit des Stieres, denn man könne sie dadurch verringern, dass man das Tuch absenkt und dadurch den Kopf des Tieres senkt und es somit langsamer werden lässt. Obwohl diese Behauptung manchen Vorzug hat, wird sie allgemein als etwas esoterisch-akademisch angesehen.

Muleta templada von Domingo Ortega und Iván Fandiño
Ob die muleta tatsächlich templada war, lässt sich natürlich nur beurteilen, 
wenn man den Bewegungsablauf direkt verfolgen würde.
(Fotos: Tauromaquias.comIván Fandiño)
Mandar – Der dritte Kanon, mandar (beherrschen, gebieten, kommandieren), bezieht sich auf die Wichtigkeit, den Stier mit dem Tuch als Köder zu kontrollieren, idealerweise von dem Moment an, in dem der Stier zum Angriff bewegt wird. Viele aficionados sehen folglich einen pase, der mit einer Vorwärtsbewegung der muleta in Richtung des Stieres begonnen wurde, als verdienstvoller an, als einen, bei dem das Tuch neben oder hinter dem Körper des Mannes gehalten wird, wegen der Länge der Zeitspanne, während der der Stier durch den matador kontrolliert wird, und das obwohl man argumentieren kann, dass diese anderen Methoden riskanter und gefährlicher sind, da bis zu demjenigen Moment, in dem der Stier seinen Kopf vollständig in das Tuch versenkt hat, immer das Risiko besteht, dass sich das Tier entscheidet den Mann statt den Köder anzugreifen.
Damit mandar tatsächlich möglich wird, muss der matador seinen Gegner verstehen und beherrschen. Obwohl man gute faenas sehen kann ausgeführt von toreros, die nicht in der Lage sind ihren Gegner zu beherrschen, sondern die lediglich das Glück haben, einem eifrigen und folgsamen Stier gegenüberzustehen, werden solche faenas, in denen der matador seinen Verstand und das Meistern des toro bravo unter Beweis stellen muss, um erfolgreich zu sein, als rühmlicher und lobenswerter angesehen.      

In sehr kompakter Form und ebenfalls in Übereinstimmung mit Acquaroni liest man auch: Mandar bedeutet, den Stier von Beginn bis Abschluss eines pase zu kontrollieren, ihn dazu zu bringen, dem Weg, der ihm vom torero mit dem Köder vorgegeben wird, zu folgen. 

Kurz vor Schluss sei noch einmal ein Schritt zurück an den Anfang getan, zum ersten Kanon: parar. Man findet auch eine deutlich andere, zusätzliche Erklärung und Interpretation des Begriffes parar:

Parar bedeutet, dem unkontrollierten Angreifen des Stieres Einhalt zu gebieten und damit zu beginnen ihn unter Kontrolle zu bringen, was eines der wesentlichen Merkmale der lidia darstellt. Hierbei ist das Wirksamwerden von parar vom Mann auf den Stier gerichtet, während es im üblichen Verständnis auf den Mann selbst gerichtet ist, der sein eigenes Verhalten zu steuern hat.
Diesem anderen Verständnis von parar entspricht im Deutschen das Wort parieren, nämlich das Abwehren eines Angriffes oder ein Gegenangriff in den Kampf- oder Fechtkünsten oder in Ballsportarten (z.B. Parade des Torwarts) oder beim Reiten das zum Stehen oder in eine andere Gangart bringen eines Pferdes.    

Es ist schon angeklungen, dass die drei fundamentalen cánones parartemplar y mandar nur der Anfang sind und es noch weitere cánones gibt, einige sehr wichtige, andere die – mir zumindest – weniger wichtig erscheinen. Ein weiterer wesentlicher Kanon, der zu überbordenden Diskussionen an vielen Stellen geführt hat und aktuell immer noch führt, sei hier nur namentlich genannt: cargar la suerte. Doch davon mehr in einem kommenden Beitrag.


Für mich ist klar, dass man die Güte der Beachtung und Ausführung der cánones nur in Filmaufnahmen, nie aber in stehenden Bildern beurteilen kann. Als Beispiel für die hohe Güte ihrer Ausführung sei der folgende Link angegeben: Signes du Toro - Spéciale José Tomás