Dieser, von mir im September 2008 verfasste Beitrag zeigt auf welches Interesse an dieser Thematik besteht. Allein im Andalusienforum gab es dazu 30.000 Klicks und 260 Kommentare. Dabei ist zu erkennen wie schwierig der Umgang mit dem Thema der Tauromquia ist und wie differenziert dieser von einem jeden bewertet wird. Die Palette emotionaler Bekundungen reicht von Zustimmung bis Ablehnung, von Begeisterung bis Empörung, von Sachlichkeit bis zur Unsachlichkeit und schliesslich von der Erkenntnis bis hin zur Uneinsichtigkeit. Hier nun der Beitrag in einer den aktuellen Gegebenheiten angepassten Version:
_____________________________________________________________
Hart und alles andere als herzlich
Die verschiedenen Foren im Internet verstehen sich als eine kommunikative Plattform bei der viele Informationen ausgetauscht werden. Dabei herrscht ein durchaus freundschaftliches, teilweise gar gross-familiäres Klima. Auch sind die Foristas in der Regel jederzeit gerne bereit, und vollkommen uneigennützig, fremde Anfragen zu beantworten und Hinweise jeder Art oder sonstige Hilfestellungen zu geben.
Bei einem Thema jedoch scheint die oben genannte Freundlichkeit ein jähes Ende zu erfahren. Emotionen schwappen über, Beleidigungen werden geäussert, Kompetenzen in Frage gestellt, bis hin zur Drohung eines Forumssauschlusses. Im schlimmsten Fall wird einem sogar das „Recht auf Menschsein“ abgesprochen. Grenzen eines jeden Taktgefühles werden nicht mehr gewahrt und der Respekt der menschlichen Würde verdammt zur Nichtbeachtung. "Recht haben" wird vor die "Erkenntnis" gestellt. Wir reden vom Stierkampf!
Da fragt sich doch ein jeder „normal“ denkende Mensch, muss dass denn so sein? Warum verlieren die Beteiligten dermassen die Beherrschung, wie eigentlich bei keinem anderen Thema? Woher kommt das völlige Desinteresse, einfach mal ehrlich nur die Wahrheit zu suchen? Wie lässt es sich erklären, dass die Verteidigung der eigenen Standpunkte, von wem auch immer, wichtiger scheint als die simple Suche nach der Einsicht - und nicht selten um jeden Preis verbaler Entgleisungen.
Viele Fragen, und so liegt es nahe, sich einmal auf die Suche nach dem Urknall zu begeben. Wo liegt eigentlich der Auslöser von so vielen emotionalen Erdbeben. Fangen wir doch mal von vorne an.
Javier Arenas und Mariano Rajoy |
Zwei Tatsachen bilden dabei das Fundament: Zum einen ist der Stierkampf in seiner gegenwärtigen Form wohl die einzig legale Veranstaltung, wo der vorgeführte Tod im Mittelpunkt des Geschehens steht. Im Zeitalter der modernen Evolution scheint es durchaus gerechtfertigt dieses zu hinterfragen, und den Anspruch auf Legalität anzuzweifeln. Dabei irritiert nicht der Tod selber, sondern der Weg dorthin. Und dies noch nicht einmal in seiner Gesamtheit. Denn schliesslich diskutieren wir hier von den letzten 0,0008 Prozent aus dem Leben eines Stieres. Die anfänglichen über 99 Prozent verbringt der toro bravo in einer zwei- bis fünfjährigen Freiheit. Eine Freiheit, von der seine fleischlichen Brüder auf den Speisetellern nur träumen können. Der FAZ-Kulturkorrespondent Paul Ingendaay geht sogar noch weiter und behauptet dass es den Stieren „… auch besser als vielen Hausfrauen, Sozialhilfeempfängern und marokkanischen Emigranten“ geht (1).
Die zweite Tatsache bringt eine gewaltige Erkenntnis zu Tage. In der konservativen Tageszeitung ABC erinnerte der PP-Abgeordnete Juan Manuel Albendea Pabón im Februar 2008 daran, das im Jahr 2006 die Stierkämpfe in Spanien 45 Millionen Zuschauer zählten (2). Statistisch gesehen bedeutet das 100 Prozent, nämlich dass jeder Spanier einmal im Jahr einen Stierkampf besucht. Was für eine Zahl! Eine Zahl die die Tierschützer in einen Schockzustand versetzte, während die antitaurinos der Ohnmacht nahe waren. Zum Vergleich: Des Deutschen liebstes Kind, die Bundesliga kommt in einer Saison etwa an die 13 Millionen Besucher. Das wären keine 15 Prozent! Gewiss, es gibt da weniger Spiele, aber die Stadien sind da auch um ein vielfaches größer. Noch eine Gegenüberstellung: Die deutschen Theater-, Orchester- und Festspielunternehmen kamen laut des Deutschen Bühnenvereins in der Spielzeit 2004/2005 auf rund 33,2 Millionen Besucher (3). Auch hier liegen wir unter 40 Prozent.
Sicherlich, so gewaltig die Besucherzahl auch sein mag, sie rechtfertig deswegen noch lange nicht den moralischen und kulturellen Anspruch der Corrida de toros. Jedoch kann es nicht von der Hand gewiesen werden, welchen reellen Einfluß solche statistischen Erfassungen haben.
Politik
In Spanien zählt es zwei große politische Lager. Das sich die konservative Partei Partido Popular für die Wahrung traditioneller Werte, wie auch den Stierkampf ausspricht ist allgemein bekannt. Gerade in diesen Tagen eröffnete der Spitzenkandidat besagter Partei Mariano Rajoy in Begleitung seines andalusischen Oppostionsführers Javier Arenas in Almería eine Ausstellung zur Ehrung des Stierkämpfers Curro Romero und am Nachmittag besuchten sie eine Corrida de toros (4).
Wer aber genau hinschaut erkennt, dass es hier eigentlich garnicht um Tradtion geht. Denn hinter diesen vielen Zuschauern versteckt sich ein gewaltiges Wählerpotential. Und bei der knappen politischen Lage kann es sich eigentlich keine Partei erlauben auf sie zu verzichten. Das erkannte auch der spanische Regierungspräsident Rodriguez Zapatero der im Jahr 2008 seine Umweltministerin Cristina Narbona gleich zweil Mal zurückpfeifen musste, weil diese öffentlich gegen den Stierkampf wetterte. Da dieses auch einige Genossen empörte verkündete Zapatero nur einen Monat später, dass der Staat no tiene ninguna intención de hacer nada contra los toros, also nicht die Absicht hat, gegen den Stierkampf vorzugehen (2).
Und da gibt es für den Ministerpräsidenten noch ein Handicap aus den eigenen Reihen: Das die sozialistische Landesregierung in Andalusien den Stierkampf nicht nur befürwortet sondern ihn auch noch finanziell subventioniert, zum Beispiel in Form von Nachwuchsstierkämpfen (gerade heute wird einer live im Fernsehen übertragen), sorgt unter den Genossen mit sozialistischer Gesinnung eher für Irritationen als für Zustimmung.
Das Leiden des Stieres
Man kann solche verbalen Auseinandersetzungen drehen wie man möchte, sie enden stets an dem selben Punkt: An dem Leiden des Stieres. Dass er leidet steht wohl außer Frage. Das weiss auch die afición. Und es scheint nur verständlich, dass die Anhänger von Stierkämpfen mit ihrem Wissen nicht hausieren gehen, um den Tierschützern nicht noch mehr Angriffsfläche zu bieten.
Das Leiden findet sich in der Bedrohung, der aufkommenden Angst und einem gewissen Maas an Schmerzen. Der Stier wird aus seiner gewohnten Umgebung geholt mit der eindeutigen Zielvorgabe in der Plaza de toros zu sterben. Erstmal im ruedo, dem Rund der Arena angekommen spürt er die Bedrohung, und seinem Instinkt zufolge greift er an. Und was viele nicht wissen, es liegt in seinem Wesen einer körperlichen Konfrontation nicht aus dem Wege zu gehen. So ist es keine Seltenheit ihn im campo, auf den Weiden der Stierzuchten mit anderen toros kämpfen zu sehen – im wahrsten Sinne des Wortes, ein richtiger Stierkampf.
Kommen wir zu den Schmerzen. Es klingt lapidar, aber wir können nun mal den Stier dazu nicht befragen. Jedoch es gibt wissenschaftliche Studien, die nachweisen wollen, dass das Empfinden von Schmerzen durch die zugefügten Wunden weitaus geringer sei, als man es bisher vermutet hat. Da nun aber solch akademische Feststellungen eher einen nüchternen Charakter haben, sind sie schwer einzuschätzen. Überhaupt wird es einem nicht gerade leicht gemacht, sich ein passendes Bild über das wahre Geschehen zu machen. Während zum Beispiel der französische Stierkampfkritiker Jean Pierre Darracq das Empfinden der Schmerzen gleich einer Knieverletzung eines beim Fußball spielen fallenden Kindes gleichsetzt, dass seine Verwundung erst am Ende bemerkt (5), so scheint bei Tierschützern die Menge des fliessenden Blutes allein schon eine Rechtfertigung zur Durchsetzung ihrer Forderungen zu sein. Was der Stier nun wirklich an Schmerzen empfindet, werden wir wohl nie erfahren. Das ist die traurige Einsicht und es bleibt vorerst der bittere Beigeschmack der Unkenntnis. So ist es einem jeden aficionado selbst überlassen sich bezüglich der Empfindungen des Stieres zu positionieren.
Zwar sind die eingefleischten Befürworter ziemlich überzeugt, dass eben jene Schmerzempfindung relativ niedrig anzusetzen ist, aber wie auch immer, sie nehmen es mit einer gewissen Kompromisslosigkeit in Kauf. Dabei kommt der Vorwurf von Lust am Quälen des Tieres nicht zum tragen. Denn es ist definitiv nicht der Sadismus der die afición in die Plaza de toros treibt. Das erkannte schon der spanische Schriftsteller und ambitionierte Stierkampfgegner Rafael Sánchez Ferlosio: „Bei aller Grausamkeit erfreue man sich auf keinen Fall an dem Leiden des Stieres" (6).
Tierschützer und Stierkampfgegner
Der Vorwurf an die Tierschützer popularistische Vermarktung für die Durchsetzung ihrer Forderungen zu betreiben ist wohl naheliegend. So reichen in Pamplona nicht mehr die Nacktdemonstrationen aus, nein, mit viel roter Farbe werden die Teilnehmer bespritzt um Blut zu simulieren, und schließlich stellt man, alle auf dem Boden liegend, ein Massaker nach. Denn mit blutüberströmten Bildern lässt sich eine breite Masse in totaler Unwissenheit einfach besser für die eigene Marketingpolitik einspannen. Provokant aber ethisch durchaus auch ein wenig fragwürdig.
Dass der Stierkampf in der Prioritätenliste bei den Tierschutzorganisationen wohl einer der letzten Stellen einnimmt, spielt dabei keine Rolle. Zeigt aber sehr wohl, wie kontrovers dieses Thema auch in den eigenen Reihen gesehen wird. So bei der letzten schriftlichen Erklärung der EU wo immerhin 49 Prozent der europäischen Tierschützer einem europaweitem Verbot von Stierkämpfen nicht zustimmten (7). Der Buchautor Lorenz Rollhäuser sieht es so: „Die leidenschaftliche Erregung ist in Überdruss umgeschlagen" (8).
Die afición
Auffallend ist zu beobachten, dass spanische aficionados fast kein Interesse zeigen, über das "Für" und "Wider" von Stierkämpfen zu diskutieren. Schon gar nicht wollen sie ihre Leidenschaft rechtfertigen oder sie sich gar verbieten lassen. Und noch weniger von Fremden. Auf dem deutschen Internetportal La Tauromaquia war zu lesen: „Ich habe den Verdacht, dass in Spanien die Meinung herrscht, dass die Pyrenäen hoch genug seien, damit kein Brüsseler Gesetz 'drüberweg kommt..." (9) Andere Meinungen interessieren sie einfach nicht. „Entweder man geht hin, oder man lässt es bleiben" (8).
Und zu welcher Erkenntnis sind wir jetzt gekommen?
Für überzeugte Tierschützer kann es nicht tröstlich sein. Sie könnten diskutieren so viel sie wollten, solange die Zuschauer nicht ausbleiben, wird keine spanische Institution, sei es die Regierung, die Monarchie oder die Kirche sich für ein mögliches Verbot einsetzen. Diese Erkenntnis kann die Gegner nicht erbauen, spiegelt sie doch die Sinnlosigkeit ihres Unterfangens wieder wie kein anderes Beispiel. Ein Faktum über welches man eigentlich nicht mehr diskutieren gar streiten muss.
Solange Organisationen wie PETA das „Recht zu leben“ allein den Veganern zuschreiben, wird es eine Annäherung nie geben. Mit Vegetariern zu diskutieren scheint logischerweise schon im Vorfeld zum Scheitern verurteilt. Zumal sie eigentlich diesbezüglich den Dialog gar nicht suchen. Ihre puristische Grundhaltung verpflichtet sie ausnahmslos sich für ein Ende der Stierkämpfe einzusetzen. Da gehört Meinungsaustausch einfach nicht zum Programm.
Tierschutz ist ohne Frage wichtig und gerade auf der Iberischen Halbinsel auch notwendig. Noch bis vor kurzem waren die Tiere in Spanien eine Art Freiwild, mit denen jeder machen konnte was er wollte. Diese Zeiten befinden sich Gott sei Dank im Umbruch. Auf der anderen Seite wird von Tierschützern Respekt gegenüber den Tieren verlangt und sie nennen es ethischen Umgang. Doch was ist mit den Menschen? Wenn Tierschutz über Menschenrecht gestellt wird, haben sicherlich so einige ihre Bedenken.
Was den Rest der diskutierenden Runde angeht, so wird es stets einem Unentschieden gleichkommen, denn die einzige offene Frage nach dem wahren Leiden des Stieres wird in seiner endgültigen Wahrheitsfindung wohl auf Ewigkeit unbeantwortet bleiben. Es sei denn, die Tiere fangen an zu sprechen. Doch von einem „Planeten der Tiere“ sind wir wohl weit entfernt.
___________________________________________________________
Quellennachweise:(1) Paul Ingendaay, „Gebrauchsanweisung für Spanien“, Piper Verlag, München 2002
(2) Mediengruppe Vocento - Diario SUR, ABC
(3) Heim:Spiel Medien GmbH & Co. KG, Deutscher Bühnenverein
(4) mundotoro, spanisches Internetportal
(5) Jean Pierre Darracq „Afición“ , 1980
(6) Rafael Sánchez Ferlosio in einem Leserbrief in El Páis, 25.06.1985(7) Informationsbüro der Europäischen Union für Deutschland
(8) Lorenz Rollhäuser, „Toros, Toreros“, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbeck bei Hamburg 1990
(9) La Tauromaquia, deutsches Internetportal über Stierkampf