Fragt man in Europa nach, ob denn in Barcelona noch Stierkämpfe veranstaltet werden, erhält man meistens ein “Nein – ich glaube nicht” als Antwort. Das man so in Europa glaubt, in ganz Katalonien sei der Stierkampf abgeschafft lässt sich wohl auf eine einseitige Berichterstattung der internationalen Medien zurückführen, die immer nur dann hinschaut, wenn antitaurinos sich beeindruckend in Szene setzen. Zum Beispiel als Barcelona in einer geheimen Abstimmung im Jahr 2004 vom Rathaus zu einer “Barcelona antitaurina” gewählt wurde Und schliesslich gibt es da eine Liste mit 180.000 Unterschriften von Katalanen die eine sofortige abolición de la tauromaquia, eine Abschaffung von Stierkämpfen fordern.
Und es gibt doch Stierkämpfe in Barcelona
Doch wie sieht es in der Realität aus? Nach wie vor werden in der katalanischen Hauptstadt Stierkämpfe organisiert. Und nicht wenige sogar, in diesem Jahr sind es bis jetzt 18 corridas de toros. Das ist eine Steigerung zum Vorjahr von über 12 Prozent. Und es sind mehr als in den Stierkampfmetropolen wie Pamplona, Bilbao, Nîmes oder Málaga.
Am vergangenen 27. September trat der Superstar unter den toreros José Tomás in der Monumental von Barcelona an. ¡No hay billetes! Ausverkauft bis unter die Dachgiebel. Von nah und fern kamen sie angereist um diesen Event nicht zu verpassen. Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Kultur und der Filmbranche gaben sich ein Stelldichein und füllten die 19.582 Sitzplätze in den tendidos.
Antitaurinisches Spiessrutenlaufen
Und bei Prominenz stellt sich doch mal die Frage, wo bleiben da eigentlichen die antitaurinisch gesinnten Persönlichkeiten? Eine kleine Gruppe von an die 150 Personen mit Pappschildern und Plakaten bewaffnet glich eher einem Häufchen Verzweiflung denn aktiven Widerstand. Unter dem höhnischen Gelächter der afición glich deren Auftritt einem bemitleidenswerten Spiessrutenlaufen. Ein spanischer Journalist bringt es auf den Punkt: “Reine Potentialverschwendung. Sie ziehen mit 150 No-Names in eine Schlacht gegen eine 130-fache Übermacht gespickt mit Persönlichkeiten und vor allem mit Entscheidungsträgern”. Selbst die Stierkampfgegner erkennen dieses und auf einer deren Webseite ist zu lesen, dass solange in den ersten Reihen der Demonstrationen nicht Politiker, Journalisten, Schauspieler usw. stehen, wird man den spanischen Durchschnittsbürger nicht überzeugen können. Resigniert stellt man auf sos-galgos fest: “Für den Normalbürger sind wir nur ein Haufen Verrückter, Linker, Kommunisten, Terroristen, Separatisten, Marihuana rauchende Hippies und Grüne. Weiter nichts. Und so lange dieses Bild von uns rüberkommt, wird sich uns kein normaler Mensch anschließen”.
Und eigentlich lohnt es sich gar nicht mal
Finanziell gesehen fährt die Monumental mit ihren Stierkampfveranstaltungen nämlich rote Zahlen ein. Durchschnittlich werden die corridas in der katalanischen Metropole von 6.000 bis 8.000 Zuschauern besucht. Und rechnerisch muss der Veranstalter, die Familie Balañá, bei einer Belegung von nur 40 Prozent an die 20.000 Euros Verlust einstecken. Nur wenn die großen toreros anrücken klingelt es in der Kasse, Trotzdem hat sich die katalanische afición zusammengetan und setzt alles dran die tauromaquia auch in ihren Gefilden am Leben zu erhalten.
Wer entscheidet letztendlich darüber?
Was wir aus europäischen Zonen nicht nachvollziehen können ist wohl, wie geht das eigentlich? Da erklärt sich die Hauptstadt zu einer “Barcelona antitaurina”, und fünf Jahre danach werden immer noch Stierkämpfe organisiert. Und ein Ende scheint nicht in Sicht.
Die Erklärung ist einfach: Der Stierkampf in Spanien untersteht in erster Linie dem spanischen Staat, insbesondere dem Innen- und Justizministerium. Von ihm wird das Reglamento Taurino Nacional als königlicher Erlass herausgegeben, welches für das ganze spanische Territorium seine Gültigkeit hat, wobei es in einigen Regionen den traditionellen Gegebenheiten entsprechend abgewandelt oder angepasst werden kann – aber eben nicht abgeschafft. Da liegt der entscheidende Unterschied. Autonome oder lokale Entscheidungen dürfen und können staatliche Vorgaben nicht aufheben. Und so lange es im katalonischen Raum eine afición gibt, auch wenn sie in Barcelona nur 8.000 Personen zählt, wird der Staat das zu respektieren haben, denn durch Stierkämpfe kommen ja andere Bürger definitiv nicht zu Schaden.