Mittwoch, 26. September 2018

Kreuzen oder nicht kreuzen (1. Teil)

Wenn sich der Matador vor die Hörner des Stieres begibt
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übertragen aus dem Englischen 
von Dr. Andreas Krumbein

Vor längerer Zeit habe ich auf Stierkampf für Alle den Beitrag Parar, templar y mandar, in dem es um einige canones del torero geht, veröffentlicht. Das Thema der canones möchte ich an dieser Stelle wieder aufnehmen mit dem cruzarse. In dem hier vorliegenden Beitrag, von José Luis Ramón, Journalist und derzeitig Chefredakteur des Wochenmagazins 6toros6, wird das "Kreuzen mit dem Stier" erläutert und diskutiert und seine Stellung innerhalb der canones del torero beleuchtet. In seinem Buch El toreo fundamental gibt Ramón folgende Definition:

"Kreuzen (cruzarse) beim Zitieren beruht darauf, entweder mittig zwischen den Hörnern des Stieres zu stehen, oder ein wenig weiter in Richtung des pitón contrario des Tieres vorgerückt zu sein. Beim Kreuzen dringt der torero in das Gebiet des Stieres ein und zwingt in dadurch zum angreifen. Colocarse al hilo o en la pala del pitón ist genau das Gegenteil: sich beim Zitieren parallel (oder auch nach aussen hin) zum Horn stellen, auf der selben Seite auf der man eine pase ausführen wird (zum Beispiel, linke Hand, linkes Horn, d. h. in der gewöhnlichen Angriffslinie (línea regular) des Stieres)."

In dem Beitrag wird deutlich intensiver und detaillierter als im Buch dargestellt, wie, wann und warum man in bestimmten Situationen zu kreuzen habe oder auch nicht.

Im Text befinden sich unterschiedliche Arten von Klammern, die die folgende Bedeutung haben: (in runde Klammern gesetzt sind Passagen aus dem Originaltext von José Luis Ramón). [In eckigen Klammern befinden sich Textteile, die Tristan Wood in seinen übersetzten Text als Erläuterung einzelner Aspekte hinzugefügt hat]. {In geschweiften Klammern befinden sich Hinzufügungen, die ich selbst vorgenommen habe}.
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Kreuzen oder nicht kreuzen (1. Teil)










von José Luis Ramón

Eines der großen Mantras eines Teils der afición der plaza de toros in Madrid ist die Forderung, die Bahn des Stiers zu kreuzen, cruzarse con los toros. Man sollte hinzufügen, dass dies für alle Stiere und alle Phasen ihres Kampfes {lidia} gefordert wird, bei media verónicas, zwischen einem pase und einem anderen und auch bei einem remate einer Serie von muletazos. Es gibt keine faena (insbesondere wenn die figuras auftreten), die nicht gestört oder unterbrochen wird von Stimmen, die fordern, dass der torero sich quer bewegen solle und gegenüber dem pitón contrario [d.h. das rechte Horn des Stiers, wenn der torero einen pase mit den linken Hand ausführt und umgekehrt] stehen solle. Ich kenne keine andere plaza de toros – nun ja, ich kenne sie nicht alle – , in der das passiert, so dass man fast sicher sagen kann, dass diese Forderung eine Besonderheit für Las Ventas ist. 
Las Ventas: Mit knapp 24.000 Zuschauern die grösste Plaza de Toros von Europa.
Nichtsdestotrotz ist dies eine relativ neue Anforderung, die ihren Ursprung (mehr symbolisch als reell) in einem torero und einer einzelnen faena hat, wie wir ein wenig später sehen werden, einer faena und einem torero die zu ihrer Zeit perfekt verstanden wurden, die im Verlauf der Jahre seither jedoch schlecht interpretiert wurden. Sicherlich, der Umstand, den ich hier behandele, tritt eher mit Stieren ein, die stillstehen oder anhalten, als mit solchen, die wiederholt und eifrig angreifen, aus dem einfachen Grunde dass, wenn toreros pases verbinden {ligar}, die faenas sich gut entwickeln und dann keine Zeit verfügbar ist, nach der eigenen Positionierung in Bezug auf den Stier zu achten. Der Rhythmus beim Stierkampf {toreo} ist fundamental, sogar in Madrid.

Zitieren aus einer gekreuzten Position
Die Bahn des Stiers zu kreuzen ist ein elementares Konzept der Vorgehensweise beim toreo obligatorisch beim Zitieren {citar, el cite} aller Stiere und notwendig bei denen, die zum Stehen kommen oder die sich an eine ungewünschte Position begeben, wenn sie aus einem pase mit der muleta herauskommen: Stiere, die nur dann ihren Angriff wiederholen, wenn der torero sie zwingt vorwärts zu gehen, und zwar dadurch, dass er sie an ihrer Position erneut auf dem pitón contrario anlockt. Wenn man es mit solchen Tieren zu tun hat und der torero auf der Seite desjenigen Horns stehenbleibt, das ihm am nächsten ist (colocado al hilo), nimmt er ein höheres Risiko in Kauf, möglicherweise unfreiwillig. Denn in diesem Falle ist es so, dass der Stier ihn in dieser Position sehen kann und zwischen zwei Wegen wählen kann: 
  1. Wenn er angreift, kann er entweder auf die muleta gehen 
  2. oder auf den Körper des matador
Anders gesagt, je mehr cruzado der torero ist, desto angenehmer wird es für ihn vor dem Stier sein, da er sich weniger stark ausgesetzt (oder vielleicht genauer: weniger gesehen) fühlen wird. Bei einer suerte, die keineswegs neu ist (allerdings ist sie derzeit in ausordentlichem Maße wiederbelebt worden), kann man in perfekter Weise den Unterschied zwischen kreuzen und nicht kreuzen betrachten. Ich spreche vom circular invertido por la espalda
Der französische matador de toros Sebastian Castella mit einem circular
Sehr häufig kommt es vor, dass, wenn ein Stier stehengeblieben ist, sich der torero als Folge davon am falschen Platz für den pase befindet. In dieser Stellung hat der torero im wesentlichen vier Möglichkeiten: 

  1. Er kann hartnäckig einen cite machen (womit dieses Kritik heraufbeschwören würde), 
  2. er kann einen Schritt quer auf das pitón contrario zu machen (d.h. er kann cruzarse), 
  3. er kann vom Stier weggehen 
  4. oder er kann sich umdrehen um torear por la espalda
Bei dieser letzten Vorgehensweise werden die Gebiete {von Stier und torero} gegeneinander vertauscht und, was einen Moment davor ein cite neben dem Horn war, ist jetzt umgewandelt in eine Stellung, in der man vollständig cruzado ist, in einer Weise, dass der Stier immer – fast ohne Ausnahme  – angreift. Für beide, Stier und Mann, ist es angenehmer geworden, ein Wunder, erreicht durch die Gunst des Kreuzens hin zum pitón contrario. Ja, Kreuzen, obwohl es nicht so scheinen mag. Und es sieht nicht so aus, denn es hat sich nicht der torero bewegt, sondern vielmehr wurde der Stier gezwungen seine horizontale Position zu verändern, seine Position in Bezug auf die Vertikalachse, die von der muleta und vom Körper des matador gebildet wird. 
Hier wird deutlich gekreuzt: 
Der matador der toros José Tomás steht zwischen den Hörnern.

Fortsetzung folgt.
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Text entnommen aus La Divisa, Club Taurino of London Number 233 - November/December 2016, S. 61-63
Übersetzt aus dem Spanischen von Tristan Wood