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von Stephan Billinger
Der gebürtige Schweizer Stephan Billinger ist in Frankreich aufgewachsen und trotzdem nie der tauromaquia so richtig begegnet. Gehört und gelesen hat er viel davon, aber eher als neutraler und interessierter Beobachter. Doch in diesem Jahr sollte die Begegnung mit der mundo de los toros stattfinden. Nicht nur auf dem Papier oder am Bildschirm, sondern es auch in einer Plaza de Toros in Andalucía miterleben. Das erste Mal in seinem Leben, wo er dem vorgeführten wie ausgeführten Tod selbst begegnet.
Seine Wahl fiel auf Fuengirola, westlich der südspanischen Metropole Málaga. Diese 65.000 Seelen-Gemeinde versteht sich als sehr taurino, kommen von und leben dort viel toreros, wie die der Clan der rejoneadores und ganaderos Galan, der bekannte matador de toros Miguel Márquez oder aktuell der ehemalige espada, aktuell der Direktor der escuela taurina von der La Malagueta, Fernando Cámera. An einem recht heissen tarde de toros traten vor 4.000 Zuschauern im coso von Fuengirola zur letzten grossen corrida de toros in der laufenden temporada in der Provinz Málaga, die maestros Finito de Córdoba (silencio, palmas), Juan José Padilla (dos orejas, oreja) und El Fandi (dos orejas, oreja) an. Für den Piraten, Juan José Padilla, war es der vorletzte Auftritt in Spanien in seiner temporada de despedida, wo er sich hiermit auch von der südandalusischen afición verabschiedete.
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Es ist schon erstaunlich, dass ich es während meiner ganzen Zeit, immerhin schon über fünf Jahre, in Frankreich nicht schaffte einmal zu den toros zu gehen. Na ja, nicht schaffen wollte, denn das hatte allerdings einen Grund. Obwohl es ja corridas nur in einigen Städten im Süden gibt, soll es aber laut den Medien in Frankreich mehr aficionados a los toros geben als im spanischen Nachbarland. Trotzdem konnte ich mich nicht damit anfreunden, wohl wegen der Sprache, denn sich auf Französisch über die toros zu unterhalten passte irgendwie nicht in meine Vorstellung von Stierkampf. So musste mein erster Besuch einer corrida de toros bis zu meiner nächsten Spanienreise warten. Jedoch bekam ich einiges im TV zu sehen, und Toros para Todos (👍) war jeden Sonntag natürlich Pflichtprogramm. Auch SfA hat viel dazu beigetragen, mein Wissen zu vergrössern. Vielen Dank dafür.
Plaza de Toros in Fuengirola (Málaga) |
Und nun war es soweit. Bei einer Andalusien-Rundreise bekamen wir die Möglichkeit in Fuengirola nicht nur irgendeine corrida zu sehen, sondern ein cartel, das es in sich hatte. Vor allem wohl wegen der Abschiedsvorstellung von dem Piraten, wie sie den matador Juan José Padilla nennen, weil er auf tragische Weise bei einem Stierkampf ein Auge verloren hatte, und statt sich zurückzuziehen mutig sich weiterhin und noch mutiger den toros stellt. Irgendwo hatte ich gelesen, dass sich der wahre Mut eines toreros erst nach seiner ersten schweren Verwundung durch einen Stier zeigt.
Erstaunlicherweise war die corrida nicht ganz ausverkauft, trotz des Auftrittes des Piraten, aber eine unheimlich freundschaftliche Stimmung erwartete uns in der Plaza de Toros. Wir leisteten uns für 90 Euro sehr gute Plätze, denn beim Erwerb fragten wir nach der ersten Reihe, also barrera, und zwar dort im sombra, dort wo sich die toreros im Zwischengang aufhalten. Die neben uns sassen gaben uns aus ihrer bota einen köstlichen Tropfen süssen Weins aus Málaga zu trinken, und erklärten den "Neueinsteigern", also uns, ein wenig über den Ablauf einer corrida de toros und über den Piraten.
Und dann ging es los. Die Fanfaren ertönten. Ich beobachtete die toreros wie sie gespannt an der hölzernen Wand in das Rund schauten und auf den Stier warteten. Was sie wohl dachten? Wie fühlt man sich, gleich der Gefahr zu begegnen? Hat man Angst? Auch ich hatte ein mulmiges Gefühl, saß ich doch gleich neben dem ruedo an der barrera. Die toreros kaum von uns entfernt. Unser Blick folgte dem ihren, direkt zum Tor, wo der Stier das Geschehen betreten sollte. Hoffentlich bleibt der Stier auch im Rund und springt nicht zu uns in das Publikum.
Und noch etwas ging mir durch den Kopf. Es war jetzt das erste Mal in meinem Leben, wo ich bewusst dem Tod begegnete. Vor meinen, unseren Augen soll getötet werden. Wer wen auch immer, ob der torero den toro oder vielleicht sogar umgekehrt. Man nimmt Blut in Kauf. Mitleid kommt auf, oder auch nur schlechtes Gewissen, weil man die Tiere noch lebend sieht, was man vielleicht später auf dem Teller hat. Will man das wirklich sehen? Warum? Lieber doch aufstehen und gehen? Oder ...
... keine Zeit, schon rast ein vierbeiniges Koloss von fast einer halben Tonne durch ein kleines Tor ins ruedo. Auf den ersten zwanzig Metern soll ein Stier schneller sein, als ein Rennpferd und schon kracht der toro ins burladero, der hölzernen Umrundung der Stierkampfarena. Holzsplitter fliegen durch die Luft, keine fünf Meter von uns entfernt. Und schon ist es verschwunden, das Mitgefühl für den Stier. Man empfindet keine Reue mehr hier zu sein, eher denkt man an das eigene heile Davonkommen und an den torero, der jetzt seinen ganzen Mut aufbringen muß, um sich vor die hölzerne Wand zu begeben um sich dem Stier zu stellen.
Der erste matador, Finito de Córdoba, hatte wohl Pech mit seinen Stieren, und kam über ein aplausos nicht hinaus. Aber dann kam er, der Pirat, Juan José Padilla. Mit Augenklappe und schwarzer Kopfbinde eines Piraten. Alle im Publikum kamen hauptsächlich wegen ihm und genau ihn wollten alle triumphieren sehen.
Und wie zu erwarten, konnte Padilla mit seinem Stier glänzen. Obwohl der toro eher etwas schwächlich wirkte, wirbelte der torero wie ein nicht zu bremsender Tornado durch das ruedo und es gelang ihm den Stier zum Angriff zu bewegen. Man sah, der Pirat wollte etwas erreichen, er wollte Beute, koste es was es wolle. "Que lío está formando!" (Was für ein Chaos er da anrichtet!) sagte lachend unser Nachar. Und das Chaos gefiel dem Publikum. Padilla setzte selbst unter tosendem Applaus die banderillas und als er dann zum letzten Drittel überschritt schien er sich selbst zu übertreffen.
Furchtlos stand er in der Mitte des Platzes, forderte den Stier auf und wich selbst dem angreifenden Stier keinen Zentimeter aus. Eleganz, Kunst und Mut in einem. Eine perfekt inszenierter Todesstoss mit dem Degen sorgte für einen krönenden Abschluss, rauschenden Beifall, viele weißen geschwenkte Taschentücher und dos orejas.
Und wenn man nun die ersten beiden Auftritte vergleicht, erkennt man die Gegensätze. Beim ersten mit Finito de Córdoba waren wenige Emotionen im Spiel. Wir fragten uns im Laufe der Darbietung, ob dieses Spektakel seine Rechtfertigung finden könnte. War das einen Eintritt von neunzig Euro wert? Mehr noch, war es dafür gerechtfertigt, dass ein Tier leiden musste. Denn das es in einer gewissen Form leidet, davon bin ich überzeugt, aber ich empfand es nicht als Tierquälerei. Ich sah darin ehe eine provozierende, das Tier ärgernde Aktivität. Den Umgang mit den Instinkten. Und genau das beeindruckte mich.
Als schließlich dann der Pirat kam, war alles anders. Da mischten sich lautstarke Ränge ins Spiel mit ein. Stimmungen, Emotionen, Olé-Rufe, Gefühlsaufwallungen der Zuschauer, unser Nachbar rief nach jedem Manöver "Bién",und Empfindungen, welcher der torero in die tendidos übertragen konnte. Das überzeugte und bestätigte, dass es eine gute Idee war hier und jetzt eine corrida de toros zu besuchen.
Fortsetzung folgt
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Quellennachweise:
Fotos: mundotoro, Vocento, Andres López
Und noch etwas ging mir durch den Kopf. Es war jetzt das erste Mal in meinem Leben, wo ich bewusst dem Tod begegnete. Vor meinen, unseren Augen soll getötet werden. Wer wen auch immer, ob der torero den toro oder vielleicht sogar umgekehrt. Man nimmt Blut in Kauf. Mitleid kommt auf, oder auch nur schlechtes Gewissen, weil man die Tiere noch lebend sieht, was man vielleicht später auf dem Teller hat. Will man das wirklich sehen? Warum? Lieber doch aufstehen und gehen? Oder ...
Der erste toro betritt die Bühne. |
Der erste matador, Finito de Córdoba, hatte wohl Pech mit seinen Stieren, und kam über ein aplausos nicht hinaus. Aber dann kam er, der Pirat, Juan José Padilla. Mit Augenklappe und schwarzer Kopfbinde eines Piraten. Alle im Publikum kamen hauptsächlich wegen ihm und genau ihn wollten alle triumphieren sehen.
Erst wartet das Publikum auf den Piraten, dann wartet der Pirat auf den Stier. |
Der matador de toros, der Pirat, Juan José Padilla mit einem derechazo. |
Und wenn man nun die ersten beiden Auftritte vergleicht, erkennt man die Gegensätze. Beim ersten mit Finito de Córdoba waren wenige Emotionen im Spiel. Wir fragten uns im Laufe der Darbietung, ob dieses Spektakel seine Rechtfertigung finden könnte. War das einen Eintritt von neunzig Euro wert? Mehr noch, war es dafür gerechtfertigt, dass ein Tier leiden musste. Denn das es in einer gewissen Form leidet, davon bin ich überzeugt, aber ich empfand es nicht als Tierquälerei. Ich sah darin ehe eine provozierende, das Tier ärgernde Aktivität. Den Umgang mit den Instinkten. Und genau das beeindruckte mich.
Als schließlich dann der Pirat kam, war alles anders. Da mischten sich lautstarke Ränge ins Spiel mit ein. Stimmungen, Emotionen, Olé-Rufe, Gefühlsaufwallungen der Zuschauer, unser Nachbar rief nach jedem Manöver "Bién",und Empfindungen, welcher der torero in die tendidos übertragen konnte. Das überzeugte und bestätigte, dass es eine gute Idee war hier und jetzt eine corrida de toros zu besuchen.
Fortsetzung folgt
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Quellennachweise:
Fotos: mundotoro, Vocento, Andres López