Donnerstag, 5. Oktober 2017

Stiere ≠ Stiere - Toros keine Stiere?

Stiere sollen nicht gleich Stiere sein?
Das scheint einigen wohl eher unverständlich
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von Philip de Málaga

Toros ≠ toros! Stiere ≠ Stiere? Stiere sind nicht gleich Stiere? Muss man das verstehen? Auf den ersten Blick erscheint diese Formulierung eher erstaunlich, gar widersprüchlich, doch gerade an dieser Beobachtung wird deutlich, wie Nichtkenner der mundo de los toros doch eher im verbalen Nirwana untergehen zu drohen. Hier wird sehr wohl erkenntlich warum viele versuchen über die toros mitzureden aber keine Ahnung haben, von was sie da eigentlich sprechen.


Reinhard Haneld
Der Literaturwissenschaftler Reinhard Haneld (1952 - 2016) hat auf dem Internetportal La Tauromaquia im Sommer 2008 einen längeren Beitrag über die Taurosophie veröffentlicht. Ein deutscher Philosoph auf den Spuren der Tauromachie. Im dritten Kapitel, wo es um den Zwiespalt zwischen Gefühlen, Gedanken bezüglich des toros geht, schreibt er: 

"So sehr wird das Opfertier geliebt. Auf eine noch durchaus ähnliche Ambivalenz geprägte Weise  lieben die Spanier, und besonders die aficionados unter ihnen, die Stiere. Bei Aussenstehenden erregt dies immer wieder Unverstand: Ihnen fällt nicht auf, dass sich die Anhänger aficionados de toros und nicht aficionados de toreros nennen. Es sind Liebhaber, Kenner, die sich in der Passion für die Stiere vereinen."

Wer sich ein wenig im spanischen Vokabular der mundo taurino auskennt, welche nebenbei bemerkt auch die Grundlage in Frankreich bildet, dem scheint diese Erkenntnis durchaus einleuchtend. Wir sprechen von einem aficionado de toros. Ein aficionado ist ein Liebhaber, ein Fan, jemand der für etwas eine intensive Leidenschaft entwickelt hat. Und ein aficionado de toros interessiert sich in erster Linie eben für die toros, für die Stiere. Für das Geschehen auf dem Land wie im Rund eine Plaza de Toros. Und im Zentrum steht er, der Stier, der toro. Denn ohne den toro bravo gäbe es keine tauromaquia, keine dehesas, keine corrida de toros, keine encierros, eben keine mundo de los toros.
Er ist das Fundament der tauromaquia: (Foto: Dr. Andreas Krumbein)
Ein toro ist ein Stier, ein Kampfstier, ein Tier, welches in erster Linie für den Auftritt im ruedo einer Plaza de Toros gezüchtet wird. Auf großen Weiden geniesst er bis zu fünf Jahre lang ein herrliches Leben in absoluter Freiheit. Menschen ist es dabei verboten ihn zu stören. Nur die Züchter dürfen die Stiere auf ihren Mut, ihre bravura hin testen. 
Beschleunigt schneller als ein Rennpferd, der toro bravo.

Es ist ein Tier welches auf der Weide lernt sich zu verteidigen, anzugreifen um alles zu beseitigen was eben im Weg steht. Immerhin, so ein gewaltiger Stier, der es bis zu 600 Kilo und mehr schaffen kann, beschleunigt schneller als ein Rennpferd. Geballte Kraft im ruedo. Und gelingt es einem toro seine inneren Zweifel und eventuellen Ängste zu bezwingen, hat er die Möglichkeit, wenn er den provozierenden Einladungen der toreros nicht ausweicht und voller Tatendrang versucht den picador zu bezwingen, sein Leben auf der Weide nach einem erteilten indulto fortzuführen. Ein Privileg von dem ein jeder Ochse, der auf den europäischen Tellern landet nur träumen kann.

Aber wie war das noch mit den toros? Im Wort toros findet sich zunächst rein grammatikalisch gesehen die Pluralisierung wieder. Ein Stier, viele Stiere. Wir reden von muchos toros. Folglich ist ein aficionado de toros wohl ein Liebhaber von zahlreichen Stieren. Und es stimmt natürlich. Denn es lässt sich nicht verleugnen, die toros stehen nun mal im Mittelpunkt eines jeden festejo taurino. Und bei einer klassischen corrida de toros sind es in der Regel 6toros6, sechs toros, plus eventueller Ersatz.

Wir vergleichen. Wenn wir zu einem Fussballspiel gehen, kommen wir nicht auf die Idee zu sagen, wir gehen jetzt zu den Fussballern. Auch im spanischen Jargon geschieht das nicht. Aber bei den toros verhält es sich anders.

Bei so viel Euphorie denkt man gleich an den Ausspruch vamos a los toros. Gehen wir zu den Stieren. Doch da stellt sich die Frage, wohin gehen wir eigentlich? Auf die Weide, zur dehesa, oder in den Stall um die toros zu besuchen? Ja, das könnte es bedeuten. Aber eben nicht nur! Denn wer einen Blick in den spanischen Brockhaus für Stierkämpfe, den bekannten Cossío wirft, findet unter dem Begriff toros nicht etwa die Mehrzahl von einem toro im Angebot sondern eine Beschreibung mit lediglich elf Wörtern, wo es zwar um die Stiere geht, und sie auch im Mittelpunkt stehen, aber es geht hier um viel mehr:
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so nennt man die fiesta

El Cossío 2007, Band 1, Seite 360
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Die toros eine fiesta? Man bedenke, mit fiesta ist selbstredend die fiesta nacional gemeint, sozusagen der Oberbegriff für die Welt des Stierkampfs. In diesem "Nationalen Fest" reflektiert sich auch die spanischen Identifikation mit der mundo taurino. Mit anderen Worten, toros steht als Hyperonym in erster Linie für die mundo de los toros. Und wer genau hinschaut, wird feststellen, dass in jenem Begriff sich keine Andeutungen wie Kampf, Gefecht oder Ähnliches reflektieren, welches wir fälschlicherweise in ausländischen Übersetzungen wie zum Beispiel dem deutschen Stierkampf oder englischen bullfight vorfinden. Und so sind Aussenstehende schon im Vorfeld dazu verurteilt, etwas in die toros hineinzuinterpretieren, was es nicht ist. Es ist kein Wettkampf.

Die Erklärung für toros ist aber nicht nur den aficionados vorbehalten. Denn auch im Wörterbuch der Spanischen Sprache der Real Academia Española findet sich eine entsprechende Definition. Ähnlich dem Cossío lesen wir unter Punkt 3 eine Erklärung für die pluralisierte Version des Wortes toro:





Und selbstverständlich weiss auch der Cossío alemán die richtigen Worte dafür zu finden.

"Vamos a los toros" sagen die aficionados de toros in einer Bar, nachdem sie ein paar Weine verköstigt hatten und begaben sich zur Plaza de Toros um einen tarde de toros zu erleben.

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Quellennachweise:
Reinhard Haneld, Taurosophie, Teil IIILa Tauromaquia, 28.07.2008
COSSÍO, Band I, Seite 360, Espasa Calpe S.A., 2007
Real Academia Española, Diccionario de la lengua española, edición 22
Cossío alemán, Das deutschsprachige Lexikon des Stierkampfs