Mittwoch, 23. Mai 2012

Ich wäre im Gefängnis oder tot!


"Meine Ängste und
meinen Hunger
verwalte ich selber!"
"Hätte ich mich nicht als torero behaupten können, ich wäre heute sicherlich im Gefängnis, wenn ich nicht schon an einer Überdosis gestorben wäre." Mit diesem eher dramatischen Bekenntnis beginnt eine ungewöhnliche Autobiografie des ehemaligen matador de toros José Miguel Arroyo Delgado, der afición als Joselito bekannt.

Der am 1. Mai 1969 in Madrid geborene torero erzählt von seiner alles andere als einfachen Kindheit, die sich zwischen Drogen und Junkies abspielte. Die Strasse wurde sein Zuhause und im Laufe der Zeit entwickelte er sich zu einem frühreifen Drogenhändler. "Ich kannte mich bestens aus, konnte ohne weiteres zwischen den verschiedenen Arten von Haschisch unterscheiden. Das Beste kam aus dem Libanon, ein Rötlicher, aber der Braune aus Marokko war auch ziemlich gut", erklärt er um sein angelerntes Fachwissen unter Beweis zu stellen. Su casa, sein Heim war eine Brutstätte für die Drogenszene. In der Küche, im Wohnzimmer, oder wo auch immer "había kilos y kilos de chocolate"; fast keine Schublade, wo nicht irgendwelche Drogen versteckt waren. Und als man dann seinen Vater wegen Kokainhandel verurteilte übernahm er die Geschäfte. "Aber ich habe mit Drogen nur gedealt und nie welche zu mir genommen. Ich habe nur Zigaretten geraucht."

Sein Vater war im Gefängnis
Die Wende kam, als er zum ersten Mal seinen Vater im Gefängnis besuchte. "Als ich ihn dort sah ist mir das Herz in die Hose gerutscht." Er begann zu erahnen, welche Folgen das alles haben könnte. Und es war sein Vater der ihm die Tür für eine neue Zukunft öffnete, indem er ihn in einer escuela taurina anmeldete.

Dort lernte er Martín Enrique Arranz und seine Frau Adela kennen, die ihn aufnahmen wie ihren eigenen Sohn. Und er begann schnell zu lernen, was ihm fehlte. "Ich gewann wieder Boden unter den Füssen und es gefiel mir von den Erwachsenen respektiert zu werden. Aber sie haben mir schnell die Leviten gelesen, wenn ich mal wieder Unsinn im Kopf hatte". Die beiden matadores de toros El Fundi und José Pedro Prados waren ihm treue Weggefährten. Und so verwandelte er sich in kurzer Zeit zu einem Musterschüler bis er am 21. Juli 1983 seinen ersten großen Auftritt in der größten Plaza de toros von Spanien hatte. Genau dort, begann die Geburt eines Idols der afición von Las Ventas, der größten Stierkampfarena von Europa. Und Joselito war gerade erst einmal vierzehn Jahre alt.

Wenn Joselito in Madrid auftritt füllten sich alle 24.000 Plätze.

Dabei geht der Autor nicht nur schonungslos mit seiner eigenen Vergangenheit um, sondern nicht weniger offen äussert er sich über seine Kollegen. Jesulin de Ubrique könne nicht erwarten respektiert zu werden, wenn er diesen Respekt noch nicht einmal sich selbst gegenüber erbringe. Ein Enrique Ponce sei eher kühl, denn er würde nie das fühlen können, in dessen höchsten Genuss er selbst gekommen sei und das Auftreten eines José Tomás wirke eher brutal denn stilistisch.

Seine Mutter liess die Familie im Stich.
Sehr offen spricht er über sein gestörtes Verhältnis mit seiner Mutter, die ihre Familie einfach verlassen hatte. "Ich weiss bis heute noch nicht, warum sie das getan hat". Danach hatte er sie nur noch bei drei Gelegenheiten gesehen. Das erste Mal beim Tod seines Vaters, dann, er war schon längst ein erfolgreicher matador de toros, nach einer Verletzung durch einen toro in Madrid besuchte sie ihn mit ihrem neuen Lebensgefährten im Krankenhaus.  "Dabei machte sie so auf fröhlich und tat so, als ob nichts geschehen wäre. Es war unerträglich". Schliesslich sah er sie bei einem Stierkampf in Alcalá zum dritten Mal, "und ich beschloss, dass es für mich besser sei, ihr aus dem Weg zu gehen. Danach habe ich keinen Vertrag in Alcalá mehr angenommen".

Nicht weniger ungewöhnlich die Tatsache, dass Joselito auch seine politischen Gedanken zum Besten gibt. Aus seiner leicht links orientierten Ader macht er keinen Hehl und soziale wie politische Ungerechtigkeit bringe ihn zum Verzweifeln. Am schlimmsten finde er diese arroganten und selbstherrlichen Señoritos, denen es in erster Linie nur um ihre eigene Machtposition gehe. Aber er bekenne sich zum spanischen Königshaus, vor allem zu Don Carlos. Trotzdem erklärt er, "Er sei ein wenig Republikaner, und ganz manchmal sogar antiklerikal". Ein linker Millionär, so wird er beschrieben und genau darin sieht er sein Dilemma. "Die Rechten weisen mich wegen meinen linken Neigungen zurück, und die Linken wollen nichts von mir wissen weil ich zu reich bin". Und schliesslich fügt er hinzu: "Ich habe halt die Seele und Gefühle eines Armen."

"Wer hätte diesem Zuhälter einmal vorausgesagt, jenem Gauner in Lederjacke, der ich mal war, der Uhren und Kassettenrekorder auf freiem Gelände klaute, dass man ihm eines Tages Visitenkarten vorlegen würde und ihn behandelt wie seine Exzellenz. Um ehrlich zu sein, ich weiss eigentlich immer noch nicht, wer von den beiden der wahre Joselito ist." ... die letzten Zeilen in einer spanischen Version vom Tellerwäscher zum Millionär, von Drogenhändler zum Caballero.

Ein solches Buch zu schreiben verlangt Mut. Den Mut eines toreros, der es versteht mit der Angst umzugehen. "Ich hatte Angst und es hat mich einiges an Überwindung gekostet. Es ist wie sich auszuziehen und ins Leere zu springen. Ich füllte mich so unheimlich schutzlos. Aber jetzt ist es vorbei."

TV-Interview in Antena 3
Dem spanischen TV-Sender Antena 3 verriet der die Gründe für sein Buch: "Zunächst einmal, weil mir danach war, zum zweiten diente es mir als Therapie und drittens, der für mich wichtigste Punkt, möchte ich diejenigen motivieren, die sich in einer ähnlichen Situation wie ich befinden. Ich möchte ihnen aufzeigen, wie schwer die Situation auch sein mag, sie sollen die Hoffnung nie aufgeben." 

José Miguel Arroyo begann mit Drogen und verliess als Joselito die Plaza de toros durch die puerta grande. Ein Leidensweg mit Happy End. Der Cossío, der spanische Brockhaus zum Thema Stierkampf, widmet ihm ganze fünfundvierzig Seiten und schliesst mit den Worten ab, "Joselito hat die Seelen der afición erobert". Und mit dieser Autobiographie, immerhin schon in der fünften Auflage, gewiss nicht nur die Seelen der afición.

Siehe auch: Adrian Neville: Joselito el Verdadero

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SPANISCHE BEGRIFFE SIND VERLINKT


Quellennachweise:
Mediengruppe VOCENTO
Entrevista a José Miguel Arroyo, Antena 3, 20.03.2012
Cossío, Band 11, Espasa Calpe, S.A., 2007
Joselito el verdadero, José Miguel Arroyo, Espasa Calpe, S.A., 2012 (nur in spanischer Sprache)