SfA bei einer der berühmtesten Stierzuchten von Spanien
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von Colin Ernst
Auf diesen Augenblick habe ich lange gewartet, einmal Stiere in der freien Natur zu sehen. Um neun Uhr geht es los, mit
Jesus, auf die
Finca Las Tiesas. Die Landschaft ist wunderschön, kleine Burgen zieren die Bergkuppen, Wildblumen, Raubvögel, Natur pur. Das Gelände der mehrere tausend Hektar großen Zuchtstätte endet an einem großen See, malerisch. Beim Durchfahren der Zufahrtsstrasse, wird mir bewusst, das die linke Seite ganz anders aussieht als die Rechte. Hier ordendliche Weideflächen mit schattenspendenen Bäumen, links verrottetes Unterholz, zugewachsene Büsche, verdorrtes Wildgras. Am Zaun prangt das bekannte Schild: "
Coto de caza" Jagtgebiet.
Jesus klärt mich auf, das die linke Seite zu einer anderen
finca gehört, bei den
Victorinos wird nicht gejagt. Alles soll möglichst der Natur überlassen werden. Und so sind die sensiblen Wildtiere, aus dem Jagtrevier zur friedlichen
ganadería gewechselt. Muss so sein, ich sehe eine schlafende Eule in einem Baum sitzen - so lässt es sich leben.
Als erstes besuchen wir das Museum. Das private Museum des
maestros Galloso in
El Puerto war dem
toreroleben gewidmet, hier ist der Stier der Protagonist. Beim Betrachten der zahlreichen, gepflegten Stierköpfe, fallen mir imense Unterschiede auf. Dann wird mir klar, das ich hier gewissermaßen die Entwicklung der Stierzucht präsentiert bekomme. Der Stier vor fünfzig und mehr Jahren, sah ganz anders aus, als die heutigen
Victorinos - es scheint als habe der
Victorino an Gesicht gewonnen. Das älteste Exemplar dieser Rasse hatte einen kleinen Kopf und Hörner
cornicorto, heißt kleinere nach innen zeigende Hörner. Der moderne
Victorino hat eher die Form
achucarado, heißt, vom seitlichen Kopf weg nach vorne zeigend, und von durchschnittlicher Länge. Das Museum erzählt Geschichten, alte wertvolle Bücher über die Zucht, zahlreiche Ehrenpreise und Fotos mit bekannten
figuras, aber immer im Fokus - der
toro bravo aus der Zucht
Don Victorinos und seiner Familie. Leider ist die Zeit knapp, ein paar Stunden könnte ich hier schon verweilen. Ich bekomme den Festsaal zu sehen, die blitzblanke Küche, wo für die Gäste gekocht wird, alles sauber und gepflegt.
Endlich gehts ins Herz der
ganadería. Ich stehe in der kleinen Arena, schwinge kurz eine Übungs
capa und stelle mir vor, wie der Züchter in dem Raum sitzt und durch das Fenster die zu selektierenden Tiere beurteilt, sich Notizen macht über ihre Veranlagung zur Zucht. Vor kurzem hat der
matador de toros Talavante hier mit
vacas geübt, um sich auf
Madrid vorzubereiten. Er soll sehr gut gewesen sein... tja,
Madrid is different.
Nun geht es endlich mit dem Jeep ins Gelände. Rund um die Installationen wie Arena, Scheunen und kleinen Häuschen der Mitarbeiter sind die
corrales gelegen. Alle sehr großzügig gestaltet und gepflegt. Nett wie ich nun mal bin, biete ich mich an das erste Gatter zu öffnen und bemerke ein weiteres Detail, der Torverschluss ist sorgfältig geölt, schnelles öffnen und schließen ist gewährleistet. In dem riesigen
corral sind nur drei oder vier Stiere, es ist der Platz, wo die
toros für
Las Ventas gehalten wurden und die Stiere die jetzt hier faul im Gras liegen, sind die Ersatzstiere, die am Ende nicht nach Madrid transportiert wurden. Ein besonders schönes Exemplar fällt mir auf, das muss
Venenoso sein, der sich vor der Abfahrt verletzt hatte und so die Reise nicht antrat. Er hat ein wunderschönes Gesicht. Beim öffnen des nächsten Gatters, zögere ich einen Moment. Weniger als zehn Meter vom Tor entfernt, steht ein echter
toro, der uns interessiert betrachtet. Soll ich es wirklich wagen? Ich bin mir bewusst, das der Stier schneller bei mir ist, als ich wieder im Wagen. Aber ich weiß auch, das, wenn ich mich dezent und ruhig bewege nichts passiert. Ich muss ihn nur im Auge behalten. Einmal tief durchgeatmet, öffne ich möglichst geräuschlos die Wagentür, bewege mich ruhig und öffne das Tor. Der Jeep passiert langsam und beim Schließen des Tores sind es circa sieben Meter die mich und "meinen ersten
toro bravo" trennen. Welch ein Erlebnis! Weiter geht es auf immer größere freie Flächen, wo einige Stiere bei den überdachten, schattenspendenden Futtertrögen stehen. Sie behalten den Jeep im Auge. Als wir uns bis auf zwei bis drei Meter nähern geht ein
novillo in Angriffstellung, man sieht ihm an, das er wütent ist. Seine ganze Haltung signalisiert : "Noch einen Centimeter näher und es knallt"! Selbstbewusst und unverkennbar sauer über unser Eindringen in sein Revier. Man muss wissen, das jeder Stier eine Art unsichtbaren Bannkreis,
querencia, um sich herum errichtet, und wehe dem, der diese Linie unwissend überschreitet.
Faszinierend zu beobachten, wie unterschiedlich die Tiere auf unsere Anwesenheit reagieren. Ein Exemplar hält Mittagsschäfchen. Wir halten direkt neben ihm und er blinzelt nur ein wenig. Dann bewegt
Jesus, mein Führer, Fahrer und Experte, den Jeep ein bisschen vor.- und rückwärts, schon ist er auf den Beinen - blitzschnell! Ich fürchte mich kein bisschen, denn
Jesus weiß was er tut, er ist quasi mit den Stieren aufgewachsen und kennt jedes Tier mit Namen. Es geht durchs nächste Gatter, aufs feie Feld, wo eine Herde
vacas mit ihrem Nachwuchs grast, ein Deckstier ist bei der 25 köpfigen Herde. In einiger Entfernung sind Mitarbeiter der
ganadería dabei Irgendetwas auszubessern, der Zuchtbetrieb wird sorgfälltig in Schuß gehalten. Der
semental liegt unter einem Baum, seine Herde steht etwas entfernt, aber er hat Sie im Blick. Als wir uns nähern ist auch er sofort auf den Beinen. Wachsam verfolgt er unsere Bewegungen, jederzeit bereit seine Familie zu verteidigen. Ich kann beobachten, das sich die Gruppe zu einem goßen Kreis formiert hat, wie die Elfantenherden in Afrika. Eine vollkommen natürliche Reaktion, angesichts einer möglichen Bedrohung. Das Vatertier hat wohlgeformte Hörner, die Muttertiere haben eine andere Hornform, das
pitón zeigt gen Himmel,
pitón corniverde genannt. Durch die korrekte Hornform des Vatertieres, lässt sich dieser Defekt bei den Nachkommen ausgleichen.
Ich lerne etwas über die Stierzucht im Allgemeinen. Der Zuchtberieb ist eine
ganadería cerrada - heißt, das Erbgut wird nicht durch Einführung von fremden Blutlienen gekreuzt.
Saltillo pur. Daher hat dieser Stier auch nur eine kleine Herde von fünfundzwanzig Kühen zu beglücken und man muss sehr gewissenhaft mit dem Erbgut umgehen, um es nicht mit der Inzucht zu übertreiben, denn dies kann zu schweren Erbschäden führen. Bei einem Bestand von gut 1.500 Rindern bestimmt keine leichte Aufgabe.
Wieder geht es zum Gatter, diesmal, stehe ich einem ganz anderem Typ
toro gegenüber. Die
Victorinos haben eine grauschwarze Fellfarbe,
cárdeno oscuro oder
claro (dunkel oder hell), je nach Farbtiefe. Hier stehen bunte, braun oder schwarzweiße Tiere, deren Körperbau, Hornform und Gesicht ganz anders beschaffen ist. Die Familie
Victorino hat diese Zucht vor Jahren gekauft, um den Fortbestand einer ehemals bekannten Blutlinie zu sichern. Es sind rund 500 Tiere, die erheblich weniger
corridas bestreiten, als die
Victorinos selbst. (
Monteviejo,
encaste Vega Villar -
Santa Coloma und
Urcola - Linien der
Vistahermosa).
Mein Blick schweift über die enormen Weideflächen, an derem Fuß der See liegt, eine unglaublich schöne Landschaft, mit gesunder, sauberer Luft. Ein paar Meter weiter, direkt vor unserer Nase, stürzt ein roter Milan zu Boden, blitzschnell hat er einen kleinen Nager gegriffen und macht sich mit seiner Beute davon. So etwas aus nächster Nähe zu erleben, ist wunderbar. Wir machen uns auf den Rückweg zu den Wirtschaftsgebäuden, nun hat der Züchter selbst, Zeit für mich und will mir seine Pferdezucht zeigen, die
Lusitanos. In einer großen Scheune sind ein paar Pferdeboxen, hier stehen ein paar junge
Lusitanos und
Lusiaraber (
Lusitano x
Araber). Schicke Burschen, mit wachem Temperament. Die
Lusitanos werden für die Dressur gezüchtet, die
Lusiaraber sind für die Arbeit auf der
finca bestimmt. Sie werden nur ein paar Stunden am Tag aufgestallt, ansonsten leben sie frei und fröhlich, auf den Weiden der Farm. Ein hübscher Brauner sticht mir ins Auge, er ist noch etwas scheu. Was nicht verwunderlich ist, denn bis auf die jährlichen Impfungen haben sie eigentlich kaum menschlichen Kontakt, das ist auf der iberischen Halbinsel meisst so üblich.
Neben den Boxen ist ein geräumiger Pferch, ein "Mini
toro" steht dort, die Mutter hat ihn nicht angenommen, so wird er mit der Flasche großgezogen. Das Kälbchen ist ganz zutraulich, schnuppert an meinen Händen und Gesicht, lässt sich den Rücken kraulen. Kleine Hörnchen wachsen seitlich aus dem Köpfchen. Ich muss unbedingt etwas ausprobieren... Wie der
torero mit der
muleta, führe ich langsam meine Hand zum äußeren Horn und bewege sie dann weiter zur Seite und zurück. Es funktioniert, das Köpfchen folgt genau den Bewegungen meiner "
muleta-Hand". Das Ergebnis jahrhundertelanger Selektion ist demonstriert. Wie ein Hütehund oder ein Rennpferd zu einem bestimmten Zweck gezüchtet, zeigt mir dieses Kerlchen, das es schon im zarten Kindesalter das macht, wozu es gezüchtet wurde, der Bewegung auf diese bestimmte Weise, zu folgen. Natürlich wird dieses Kalb nicht die Arena sehen, es hatte Menschenkontakt, ausgeschlossen, das es gegen Menschen antritt.
Aber zurück zu den Pferden, den
Lusitanos, die eigentlich eine portugisische Rasse sind. Einst haben die Portugesen mit dem spanischen PRE veredelt, mitlerweile sind sie um einiges besser als ein PRE. Warum? Nun, ihr Bewegungsablauf ist nicht durch Bügeln oder hohe Knieaktion geprägt, sie können es mit einem Sportpferd jeder Rasse aufnehmen. Sie sind sitzbequem und menschenbezogen. Dazu kommt ihre hohe Veranlagung zu Piaffe und Passage, Seitengänge zeigen sie spielend. Braucht ein Warmblutpferd normalerweise eine längere Lehrzeit und will auch länger warmgeritten werden, zeigt mir der
Lusitano schon nach kurzer Zeit Ergebnisse. Durch sein Exerieur ist er wie geschaffen für hohe Schule, Zirkuslektionen oder
Doma vaquera. Auch der Charakter dieser Rasse ist bemerkenswert. Sie lernen schnell und vergessen das Gelernte nicht. Sind die jungen drei bis vier jährigen Exemplare noch etwas grün und ungestüm, ist ein älterer
Lusitano, ein echter Kamerad und Gentleman. Nervenstark und zuverlässig. Bei den
rejoneos sieht man diese Rasse häufig, beliebt wegen ihrer hohen Beweglichkeit, Eleganz, Rittigkeit und Nervenstärke. Nachdem ich mir die Stallschönheiten angesehen habe, alle übrigends aus den besten Blutlinien gezogen, geht es in den Arbeitshof, wo man extra für mich ein paar Stuten mit Fohlen, im großzügigen Freilaufplatz, eingestellt hat. Eine kleine Herde, mit einem Araberhengst, einem schicken Kerl in weißer Jacke, der seine Stuten auf ganz natürliche Art und Weise deckt. Die Mutterstuten sind
Lusitanos, die Nachkommen sind die
Lusiarabes, sehr beliebt bei
Vaqueroreitern. Hier kann ich mir den Nachwuchs ansehen. Überaus schöne Fohlen, noch in dunkler Jacke, die mit zunehmenden Alter von Grau nach Weiss wechseln wird. Stolze Haltung und ein vielversprechender Bewegungsablauf, "mit viel Gummi" wie die Fachleute sagen. Die Rasse hat einen sehr harmonischen Körperbau, nicht zu lang und nicht zu kurz, schön abgerundet, schräger Schulter, tragfestem Rücken und Genickfreiheit, gut angesetzte Halsung und korrekte Stellung, schicke lange Mähnen, machen es einem leicht, sein Herz zu verlieren. Im Stockmaß liegen die
Lusitanos im mittleren Bereich bei 1,65 / 1,70 Metern, letzteres eher selten. Aber sie machen sich groß, was ein harmonisches Gesamtbild unter dem Reiter zeigt, wie ich nun sehen kann. Wir sind zu dem Reitstall gefahren, wo zur Zeit die Ausbildungspferde stehen. Einige in geräumigen Außenboxen, direkter Kontakt zum Nachbarn garantiert.
César, der Bereiter, muss sich sputen, einen der jungen Hengste für uns zu satteln und vorzustellen, unser Besuch war nicht angekündigt. Der junge Hengst aus allerbester Familie, zeigt einen guten, raumgreifenden Schritt, der Trab ist locker und vielversprechend, die Galopade schwungvoll und taktrein. In der Trabverstärkung beginnt der Reiter zu schwärmen, bei Piaffe und Passageansätzen, kann man nur staunen, mit wieviel Leichtigkeit er diese Lektionen präsentiert. Seitengänge wurden ihm in die Wiege gelegt. Ich bin überrascht, denn keine der Übungen hat einen hohen, körperlichen Einsatz des Reiters gefordert. Kurze leichte Hilfen und das Pferd spielt mit, einfach nur schön. Eine Pferderasse, die begeistert. Meine Zeit neigt sich dem Ende zu.
Auf dem Weg zum Mittagessen, gegen fünfzehn Uhr, sehe ich im Vorbeifahren die Herdenverbände der
Lusitanos und der Stiere, weit verstreut im
campo bravo. "
Schöner gehts nicht", denke ich, Tiere die in absoluter Freiheit aufwachsen, Natur pur. Als ich mit
Victorino Martin und dessen Tochter
Pilar, wie ihr Vater, Veterinärin am Tisch sitze, bekomme ich vor lauter Fragerei kaum einen Bissen runter, ein interessantes Gespräch über Stier.- und Pferdezucht, Vererbung und Tradition. Diese Tradition bewirkt auch, das die Angestellten der
ganadería nun schon seit drei Generationen bei den
Victorinos in Lohn und Brot stehen. Fast alle wohnen auf den Fincas, wie in alten Zeiten, eine große Familie. Tradition heißt auch, das hier die Stiere auf alt hergebrachte Weise umgeweidet und trainiert werden, also mit Pferd, Reiter und Hund. Die Verantwortung, die nun auf den Schultern
Victorinos und seiner Tochter
Pilar lastet, ist enorm. Nicht nur der Erhalt der
toros bravos, Erhalt der Arbeitsplätze, Fortbestand diese Naturparadieses, mit ihren freilebenden Tieren, Erhalt eines natürlichen Ecosysthems, und viele Details mehr, verlangt einen großen Einsatz der Familie
Victorino Martin. Aber wir alle, ob reiner Naturliebhaber, Pferdefreund oder
aficionado, können etwas dazu beitragen, das all dies erhalten bleibt. Die
ganadería wird in Zukunft das Seine dazu tun, die Zuchtstätte wird ihre Pforten dem Publikum öffnen. Bis September wird ein Programm ausgearbeitet sein, das reale Ausflüge in die Welt der
taurinos gestattet, Kultur und Gastronomie wird nicht fehlen. Ein Jeder ist eingeladen, die Stiere und Pferde in ihrer ursprünglichen Umgebung kennen zu lernen.. Mein Besuch hier ist nun zu Ende, ich trenne mich nur schweren Herzens, von all dem hier, es hat mir den
mundo taurino noch näher gebracht. Aber es wird nicht der letzte Besuch bei den
Victorinos sein, ich habe Freunde gewonnen, neue Kontakte geknüpft, was in Zukunft hoffendlich "Stoff" für weitere Berichte und Interviews liefert. Mein persönlicher Dank gilt
Pilar Victorino und Ihrem Vater
Victorino Martin und
Marlen Fernández, ihrem Mann
Jose Luis Carabias, ihrem Freund und Fotografen
Ivan Lopez Matito,
Jesus,
César, und all den Anderen die sich die Zeit genommen haben, meine Fragen zu beantworten und mich echte taurinische Luft schnuppern ließen.
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