Samstag, 20. April 2013

Ein Tag mit den Stieren (1.Teil)

Besuch der Stierzucht Cebado Gago in Andalusien
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von Colin Ernst 

Schon immer wollten wir mal ein campo bravo besuchen, aber abseits von Touristenführungen, wie es so angeboten wird. Bei unserem Abstecher nach Sevilla, drückte uns ein junger Mann einen Werbezettel in die Hand, das Übliche, Ausfüge in Gruppen ab 15 Personen, in die weißen Dörfer, in den Nationalpark Coto de Doñana, etc. Nun sah ich einen Stier auf dem Flyer und fragte den Verteiler, ob sie auch was hätten, wo man richtige toros zu sehen bekäme. Zuerst bot er die übliche Palette, die Weinprobe und "Besichtigung" an. Ich bohrte weiter, was Individuelles, wir wollten toros pur erleben. Doch..., es geht auch individual, auf irgendeiner finca,  er wisse den Namen aber nicht. Ich sollte doch en la oficina, im "Büro" mal anrufen... Nun, diese Schiene war ich schon die letzten Jahre im Januar gefahren und es hatte keine Resultate, sprich Besuche gegeben, noch nichtmal das ACAMPOBIERTO der ganadería  Alvaro Domecq war offen.
Genau dort wollten wir hin. Das wollten wir sehen. Ein campo bravo. Wo Stiere kämpfen.
(Foto: Dr. Andreas Krumbein)
Aber ich wollte es nochmal versuchen, also rief ich bei Naturanda an. Überrascht bekam ich auf meine Anfrage ein positives Echo. Kein Problem, man würde auch für zwei Personen was anrangieren, individuell, auch mit Essen, Transfer und allem. Morgen könne man los, abgeholt vor der Haustüre - ich war baff! Ich war verblüfft, denn der Name der ganadería war mir bekannt. Kurzdrauf eine Absage, das dort zur Zeit keine Besucher Zutritt hätten. ..., hätte mich auch schwer gewundert. Aber kein Problem, da wäre noch eine in der Provinz Cádiz, den Namen kannte ich nicht, dort könne man übermorgen hin. Wunderbar, bis es anfing zu regnen, wiedereinmal. Nächste Absage, man komme mit dem Wagen nicht durch den Schlamm... - Klasse! Etwas frustiert, erkundeten wir die Umgebung, mit Stops in El Puerto de Santamaría. Morgen sollte es losgehen, heute war die Sonne da, aber morgen, ich sah es in den Nachrichten, kommt wieder ein Guss. Man stelle sich vor, das man die ganze Nacht wachliegt und auf Regen horcht... sechs Uhr, kein Tropfen..., sieben Uhr, keinTropfen, obwohl fette Wolken da oben hängen ... ich mache Frühstück, und als der Kaffee fertig ist schüttet es wie aus Kübeln! "Nicht schon wieder!", denke ich, im Geiste schon am Telefon hängend, den Ausflug endgültig stornierend. Mein Mitstreiter kuckt auch verdrieslich in seine Kaffeetasse, selbst die doppelte Dosis, frisch gepresser Orangen, kann uns jetzt kein Lächeln entlocken. Wir haben nur noch drei Tage, oder besser gesagt zwei, dann ist es aus, mit Andalusien, adiós toros, adiós toreros. Um halb Neun hänge ich am Handy, berichte die Wettterlage, denn der Guide kommt ja aus Sevilla..., er sieht das auch so, dass es sich nicht lohnt. Letzter Versuch, der Tag vor unserer Abreise. Letzter Wettercheck online, sieht gut aus für die Region Medina Sidona. Auf welcher finca werden wir landen? Keine Ahnung, was wir zu sehen bekommen, nicht eine Idee. 

Am nächsten Morgen scheint die Sonne, der Begleiter trifft pünktlich  ein und los geht es, in die wunderschöne Landschaft, rund um Medina Sidona und Vejer de la Frontera. Unser Führer zu den Stieren ist sympathisch und bei der Beobachtung einiger Greifvögel, kommen wir ins Gespräch. Ein richtiger Fachmann, was Vögel und Reptilien angeht, ebenfalls in Geschichte hat er fundiertes Wissen. Auch er war noch nicht auf der finca, wo wir landen werden, denn er hat sich mit einem anderen Fachkundigen kurzgeschlossen, Jose Gautier, von Toro 4x4. Irgendwann biegen wir ab, nachdem wir staunend die riesigen Herden von toros bewundert haben, die bei Medina Sidona, quasi am Strassenrand grasen. Ein Pic-up wartet auf uns. Nun wird unser Führer also auch geführt, ich bin mal gespannt. Ob wir Lust hätten, das Verladen einiger Stiere zu sehen, werden wir gefragt - Klar wollen wir! Wir müssen ganz leise sein und auch die Kameras sollen bleiben wo sie sind, man darf dabei nicht unnötig stören, so Josés Order. Nun sehe ich zum erstenmal wo ich gelandet bin: CEBADA GAGO! Super, ich hab schon einige gute corridas mit diesen Stieren gesehen. Wir erklimmen die Stufen, wo es zur Umrandung des callejón geht. Ein torobreiter Gang, mit verschiedenen Türen, durch die der Stier, behutsam, in Richtung Transporter geleitet wird. Kaum ein Laut ist zu hören. Nur das Schnaufen der Rinder, die sich die fremden Gerüche erschnüffeln. Kein wütendes Gestampfe, kein Gebrüll von Seiten der Helfer. Alles geht gaaaanz ruhig von statten. Die zahmen Ochsen leisten Hilfestellung, bis zum letzten cajón. Danach geht es für sie wieder in die Freiheit. Als der letzte Stier verladen ist, entspannt sich die Gruppe, die direkt am Geschehen beteidigt war, sie atmen auf, Alles ist gut gegangen. Der majoral wird mit den toros mitfahren, diese hier gehen nach Arles in Frankreich. Ich frage José (der Mann weiß alles!) über das Thema Transport aus. Aus eigener Erfahrung, weiss ich, das Pferde und Rinder, beim Transport an Gewicht verlieren. Und so ein sanftes Verladen bei Rindern, habe ich noch nie gesehen. José steht mir Rede und Antwort. Da die Stiere für Arles sind, welches erst am 2. April stattfindet, wenn ich mich recht entsinne, wieso starten sie heute? Ich werde aufgeklärt: Pro einhundert Kilometer Entfernung, rechnet man einen Tag convalecencia, also die Zeit, die das Tier braucht, um wieder zu Kräften zu kommen. Ich denke an die Schlachtviehtransporte, quer durch Europa... Der majoral  also der verantwortliche Vorarbeiter für die ganadería wird die ganze Zeit bei seinen Stieren bleiben. Wie ich, wenn ich Rennpferde oder Turnierpferde betreut habe, man lässt sie nicht aus den Augen. Ich bin froh, denn nun kann ich wirklich, reinen Gewissens sagen, das ein Stier nicht leidet, wenn er in fachmännischen Händen ist. 
Auch andere Tiere gehören zum Bild einer ganadería
Ein begnadigter Stier als Zuchtbulle
Nun geht es wieder weiter, in einen anderen Teil der finca  und ich bin immer noch "Baff", schliesslich ist dieses ja keine No-Name-ganadería sondern Cebada Gago. Den Wegesrand säumen Opuntien und unzählige Kaninchen, ich staune. Dann treffen wir auf eine kleine Eselherde, eine geschützte Rasse, die der Besitzer von Cebada Gago erhalten will. Durch einen etwas verfallenen Hof gelangen wir zu unseren ersten Stieren, den Deckstieren, den sementales, den indultos. Sie stehen alle zusammen auf einem etwas abschüssigen Gelände, welches durch den Regen unten sehr matschig geworden ist. Wieso sie hier stehen, will ich wissen. Wenn sich das Wetter bessert, werden sie ihren Herden zugeordnet, hier werden sie vorher gefüttert, damit sie genug Kraft haben, ihren, aus bis zu fünfzig Kühen, bestehenden Deckeinsatz zu meistern. Dies ist wichtig, insofern, das man wirkliches Eingreifen von Menschen vermeidet. Das heißt, dass der Stier mit dreissig bis fünfzig Kühen auf ein campo losgelassen wird, wo sie sich ihr Futter weitestgehend selbst suchen müssen. Und der semental soll ja dabei die Damenwelt beglücken, das kostet Kraft. Der älteste toro zählt über dreissig Jahre, der jüngste indulto gerade mal fünf Jahre, einer von ihnen ist Marismeño. Nun lerne ich wieder etwas, nämlich, dass der ranghöchste Stier ganz oben auf dem Hügel des abfallenden Terrains steht. Daher die Wahl des corrals, für circa zwanzig Deckstiere. José erklärt, das die toros sich Nachts oft bekämpfen, mitunter bis aufs Blut. Mehr als einmal, fand man einen Stier, verblutet nach einer sogenannten "pelea". Auch Menschen lassen im campo ihr Leben, so berichtet er. Unvorsichtige Jäger, die Nachts den Rebhühnern oder den Kaninchen nachjagen, geraten auf einmal in eine Herde.... Und dann die jungen Möchtegernstierkämpfer, die sich nach wie vor auf die Weiden schleichen, um sich an einem novillo oder einer Kuh zu versuchen. Der matador de toros Enrique Ponce, so erzählt er uns, hatte einmal einen Stier, dem er nach dem ersten Nehmen mit der capa, auf den Kopf zusagte, das dieser Stier schon mit Menschen gekämpft habe... So dumm ist ein Stier, ein toro bravo nämlich nicht, er lernt recht schnell, wer sein Opfer ist.

Wir stehen kaum fünfzehn Meter entfernt von den Herren der Schöpfung, die uns kaum beachten, sie scheinen das zu kennen, obwohl, man geht bis heute nicht zu Fuß in diesen corral,  dass wäre Selbstmord.
Schön die Distanz wahren, alles andere wäre Selbstmord
Nun geht es zu den Stieren, novillos, welche schon vor einiger Zeit von empresarios der verschiedenen plaza de toros gekauft wurden, für novilladas con picadores. Kaum sind wir aus dem Jeep gestiegen, bemerke ich den Unterschied zu den Deckstieren. Sie haben sofort Witterung aufgenommen und sich in Position gestellt. Die komplette Herde schaut uns an! Dennoch, ich kanns nicht lassen, langsam gehe ich zum Tor um sie von Nahem zu beobachten - impressionante - beeindruckend! Was für schicke Brocken, wobei der Cebada Gago Stier nur durchschnittlich groß und auch keine Fahradlenkerhörner hat. Also nichts für Madrid, denke ich im Stillen. Diese hier, sind für novilladas con picadores bestimmt und einige toreros haben sich da auch toros zum Kampf hinter geschlossener Tür, reserviert. Die nächsten toros stehen vielleicht zwanzig Meter entfernt von mir, es ist faszinierend zu beobachten, wie sie einen wahrnehmen. Sie riechen mich und einer bewegt den breiten Kopf um mich zu sehen. Langsam gehe ich zurück, aber man spürt den Stier im Nacken. Das Sehfeld eines Stieres ist begrenzt, die Augen sitzen seitlich am Kopf, was nach hinten tote Winkel und nach vorne beschränkte Sicht zulässt, nicht umsonst wird jedem Stierkampflehrling beigebracht, das Auge des toros nicht aus den Augen zu lassen... 

Zurzeit verfügt Cebada Gago ungefähr über vierhundert toros  vier- bis fünfjährige Stiere, also 2008, oder 2009 geboren, großgezogene Kampfstiere. 2008 war hier noch ein gutes Jahr, die Krise noch nicht so heftig, man leistete sich viele Bedeckungen. Doch nun musste das Erzeugnis gefüttert und verarztet werden. Das ist ein Kostenfaktor, den man nicht ausser Acht lassen darf.

Hier werden die Stiere vom veterinario behandelt
Einmal im Jahr wird die ganze Zuchtherde geimpft und entwurmt. Wer jemals beim veterinario eine Rechnung zu begleichen hatte, weiß, was das kostet. Außer der Reihe gibt es immer wieder Hornverletzungen zu behandeln. Und dann das Futter. Auch die größte finca hat nicht immer genug Grünfütter oder Getreide angebaut, um über tausend Rinder zu füttern, also wird auch schonmal zugekauft. Besonders Mineralien sind teuer, aber notwendig, um dem jungen Rind einen guten Start ins Leben zu geben - Calcium, Phosphor, Eisen, etc., nicht alles wächst im Überfluss auf andalusischen Weiden. Die Mutterherden leben, weitestgehend von Grass, Stroh und Minerallecksteine liegen aus. Der Kampfstier, sowie der Deckstier, benötigen mehr Energie, sie bekommen ein Gemisch aus Hafer, Gerste, Mais, Erbsen und gemahlenes Trockenfutter. Wer sich in Zucht und Haltung von Sportpferden auskennt, sieht Parallelen. Der toro muss Muskeln aufbauen, die durch das tägliche Training und das eiweissreiche Futter entstehen. Füttert man einen Stier nur fett, sieht man die hässlichen Bilder in der Arena, wo der Stier nach dem ersten tercio der varas rapide, bis zur Unbeweglichkeit, abbaut. Er hat weder die Lungenkapazität, noch die Muskeln, um einen guten Kampf zu liefern. Das will aber weder ein verantwortungsvoller empresario, noch der ganadero und schon gar nicht der torero haben. Also investiert der Züchter in diese Grundlegenden Aufzuchtmittel viel Geld.

Vic-Fézensac im Mai 2013
(Foto: mundotoro
Dieses Jahr wird Cebada Gago elf corrida de toros und fünf novilladas bestreiten, je corrida sechs Stiere, man kann sich ausrechnen, das noch nicht alle verkauft sind.

Die nächste corrida de toros mit toros von Cebada Gago findet am 19. Mai in Vic-Fézensac (Frankreich) statt. Dort stehen sie den maestros Fernando Robleño, Fernando Cruz und David Mora gegenüber. Und wenn alles gut läuft können sich 6.000 Zuschauer in den tendidos der 1931 erbauten plaza de toros von der bravura der toros aus der ganadería Cebada Gago überzeugen. Denn die französische afición hatte schon immer einen besondern Blick für die toros.

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Links von Interesse:
ACAMPOABIERTO, Stierzucht von Álvaro Domecq
Naturanda: Anbieter von Ausflügen in die andalusische Natur, Mail: info@naturanda.com
Toro 4x4: Reiseveranstalter für die Begegnungen mit andalusischen Traditionen und Kulturen