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von Torodora Gorges
Ich vertrete die Ansicht, dass Europa durch ein Verbot des Stierkampfs an kultureller
Vielfalt verliert. Wie der französische Romancier Henry de Montherlant 1926
argwöhnt: „Man hat es darauf abgesehen, durch die Vernichtung des Stierkampfs
die Einheit der spanischen Seele zu vernichten“, so fürchten die Anhänger der fiesta nacional immer wieder, dass mit der Zerstörung der Tauromachie die Kultur
Spaniens zerfallen könnte. Seitens der Befürworter bemüht man sich in jüngerer
Zeit um die Anerkennung der Tauromachie als Bestandteil des Weltkulturerbes.
Für sie ist die fiesta de toros von der Kultur des Landes nicht zu
trennen. Ginge es nach den Vorstellungen der Vertreter „politischer
Korrektheit“, so wäre sie innerhalb der Europäischen Union vermutlich längst
verboten worden, und Europa hätte an kultureller Vielfalt und Diversität verloren.
Jahr für Jahr werden
wissenschaftliche oder literarische Werke auf dem Gebiet der „Welt der Stiere“
neu verlegt. Schon Ernest Hemingway sprach von mehr als zweitausend spanischen
Büchern und Broschüren, auf die er sich bei der Veröffentlichung seines inzwischen
klassischen Werkes „Tod am Nachmittag“, 1932,beziehen konnte. Unter diesem
Titel eroberte Hemingways Buch den englischsprachigen Raum. Seine Übersetzung
in viele Sprachen verschaffte der Kunst der Tauromachie globale Verbreitung und
Bedeutung. Auch im Deutschen wurde Hemingways „Tod am Nachmittag“ zum Synonym
für das Ritual des Stierkampfs. Die Übersetzung erschien 1957, also in einer
Zeit, als der deutsche Spanien-Tourismus seinen Aufschwung nahm.
von Torodora Gorges
Wer das Thema, ob nun
Stierkampf oder corrida de toros genannt, grundsätzlich ablehnt, braucht
nicht weiter zu lesen. Kein Gegner soll für den Stierkampf gewonnen oder in seiner
gegnerischen Position erschüttert werden. Es geht nicht darum, ihn gegen seine
Kritiker zu verteidigen und zu rechtfertigen.
Nach der antiken Mythologie
ist die Gestalt Europas mit dem Stier verbunden. Im kollektiven Unbewussten
stellen der Stier und Europa eine Einheit dar, die sich über die darstellenden
Künste vermittelt hat. Ich möchte mit
dem Buch Morante de la Puebla - Torero dafür eintreten, dass der Stierkampf in den Regionen
Europas erhalten wird, wo er traditionell schon immer beheimatet war, aber
jetzt vom Verbot bedroht ist.
Die wachsende Einheit des
modernen Europa in Form der Europäischen Union könnte – so sieht es derzeit aus
- die zunehmende Trennung der mythologisch-symbolischen Verbindung zwischen
Europa und dem Stier zur Folge
haben: Das moderne Europa, den Vorstellungen „politischer Korrektheit“ verpflichtet,
ist dabei, sich zu entmythologisieren und sieht sich zum Verzicht auf den
Stier-Kampf genötigt, gleichzeitig aber – und nicht bedacht - zum Verzicht auf
den Kampf-Stier.
Henry de Montherlant |
Das umstrittene Thema lässt keine
vorurteilsfreie Diskussion zu. Abgründe trennen die Gegenspieler. Die ewig
gleiche Wiederholung altbekannter Argumente macht sie für die Kontrahenten
nicht überzeugender! Wer in der Tauromachie nur sadistische Tierquälerei und
Brutalität zu sehen bereit ist, bleibt verschlossen für andere Meinungen. Mit
griffigen Slogans proklamieren die Gegner die für sie unversöhnlichen
Widersprüche der Tauromachie: „La tortura no es arte ni cultura!“ (Die Tortur ist weder Kunst noch Kultur) oder „Si
la tauromaquia es arte, el canibalismo es gastronomía!“ (Wenn die Tauromachie Kunst ist, dann ist Kannibalismus Gastronomie!).
Tierschützer machen sich zunehmend
in den traditionellen europäischen „Stierkampfländern“ Spanien, Frankreich,
Portugal, ebenso wie in den Ländern Mittel- und Südamerikas gegen den Stierkampf
stark. Bislang ohne Erfolg. Durch eine in Brüssel Anfang Juni 2008 getroffene
Entscheidung ist der Erhalt der fiesta de toros in den Ländern Europas
mit Stierkampftradition vorläufig gesichert.
Einige katalanische Orte hatten sich
bereits in den vergangenen Jahren zu „stierkampffreien Zonen“ deklariert, ohne
nennenswerte Kontroversen damit auszulösen. Gegen das Ende der fiesta de toros in Barcelona, der Stadt mit der zweitgrößten plaza de toros,
erheben sich gegenwärtig jedoch heftige Proteste. Das antitaurinische Klima Kataloniens
entspreche nicht einer größeren Tierliebe, meinen die spanischen Befürworter
der corrida de toros. Zu verstehen sei deren Ablehnung nur im
Zusammenhang mit der separatistischen Politik der Katalanen und ihrem Argwohn
gegenüber dem traditionalistischen „zentralistischen Spanien“.
Verteidigt wird die fiesta nacional zunehmend seitens einer „Internationale“ von europäischen und
außereuropäischen Anhängern der Tauromachie. In den vergangenen Monaten (Stand
März 2010) erfuhr die spanische „Welt der
Stiere“ mediale Unterstützung zum Beispiel seitens der „New York Times“ und „La
Repubblica“, die sich detailliert mit der innerspanischen Kontroverse
beschäftigten und für den Erhalt der fiesta de toros eintraten. Auch die Artikel der deutschen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“
tragen in der Regel durch ihre objektive und unpolemische Berichterstattung zur
Aufklärung ihrer Leser bei.
Die deutsche Autorin dieser Zeilen zählt sich zu dieser „Internationale“ der afición a lostoros und betont mit Nachdruck, dass es keineswegs ihr Anliegen ist,
Stierkampfgegnern – antitaurinos – die
eigene befürwortende Position verständlich zu machen oder nahe zu bringen. Genauso
wenig will sie neugierige Leser, die sich an diese Lektüre heranwagen, zu
Anhängern der fiesta de toros bekehren.
Ernest Hemingway und der Stierkampf |
Aber schon davor, im
ausgehenden 19. und frühen 20.Jahrhundert hatten sich Reisende in Spanien für die fiesta de toros interessiert,
sich entweder von den „blutigen Volksfesten“ abgestoßen oder vom exotischen
Reiz angezogen gefühlt. Als „Stiergefechte“ bezeichnete man um diese Zeit noch
die Konfrontation von Mensch und Tier. Kulturkritiker setzten sich mit dem
„anstößigen“ Thema
auseinander. Literaten,
Musiker und Maler ließen sich in ihren Kunstwerken sowohl vom folkloristischen
Element wie vom tödlichen Mythos inspirieren. „Carmen“, nach Prosper Mérimées
Novelle von Georges Bizet vertont, ist eines der bekanntesten Beispiele.
Der Stier als Symbol fand
Eingang in die Sprache des Alltags und wurde zum Sinnbild dunkler Kräfte in
kulturellen und politischen Auseinandersetzungen. Für die einen repräsentierte
er ungebundene Lebenskraft und Leidenschaft,
für die anderen dagegen eine den Zivilisationsprozess bedrohende Macht. Ich gehe davon aus,
dass ihre potentiellen Leser sich mit einem gewissen Bestand an Vorbehalten dem
„prekären“ Thema nähern. Unvoreingenommenheit oder gar Neutralität sind nicht vorauszusetzen, wissbegierige
Neugier einem befremdenden kulturellen Phänomen gegenüber schon eher. Bei den
meisten Menschen, die sich nicht von vornherein einem möglichen inneren Konflikt
durch totale Abwehr verschließen, bleibt der Zugang zur Welt der Tauromachie
solange ein theoretischer, ein intellektueller, bis sie zum ersten Mal mit
dieser Welt, dem mundo de los toros, in unmittelbaren Kontakt kommen.
Sei es, dass sie als Zuschauer direkt an einer corrida de toros teilnehmen
– oder indirekt an deren medialen Übertragung.
Die Erschütterung über das,
was gesehen und erlebt wird, greift tief ins Unbewusste, man kann sich ihrer
nicht erwehren. Viele Menschen treffen daraufhin die Entscheidung, sich von
dieser als grausam empfundenen Welt in Zukunft fern zu halten; sie wählen die Eindeutigkeit.
Andere, trotz ihrer ebenso tiefen Erschütterung, vermeiden eine prinzipielle
Tabuisierung dieser Welt. Das Befremdende, das Unverstandene in Form des
Archaischen hat sie erfasst und beschäftigt sie innerlich weiter. Diejenigen,
die sich von dem Geschehen einfangen und berühren lassen, fühlen sich in einen Zustand
innerer Zerrissenheit versetzt.
„Eine Barbarei!“, so schreibt
Kurt Tucholsky nach dem Besuch einer corrida in Südfrankreich. „Aber wenn sie
morgen wieder ist: ich gehe wieder hin“. Die Ambivalenz, die Tucholsky 1927 in
seinem Pyrenäenbuch kurz und handfest auf den Begriff bringt, wird von allen
geteilt, die sich dem kultischen Charakter der Interaktion zwischen Mensch und
Stier nicht verschließen, die sich affizieren lassen. Obwohl die
ambivalenten Gefühle den meisten Stierkampfanhängern weitgehend unbewusst
bleiben, spielt der abgewehrte Zwiespalt zwischen ethischen Überzeugungen und
dem mystischen und irrationalen
Reiz des archaischen Todesrituals immer wieder eine Rolle im Erleben der aficionadosa los toros.
Das spanische Wort afición beinhaltet
mehr als Affinität, es ist mit Zuneigung und Liebe zu übersetzen. Die afición a los toros ist dieLiebe zu den Stieren. Die aficionados wenden
sich dem Objekt ihrer Liebe immer
wieder neu zu, können nicht davon lassen, folgen einer Art von
Wiederholungszwang. Manche Beobachter gehen noch weiter in ihrer Beurteilung:
„Die Liebenden wie die aficionados sind keine Gelegenheitskonsumenten,
sondern Süchtige“, heißt es in einer 1986 erschienenen
kulturanalytischen Interpretation der corrida de toros, auf die in meinem Buch über die Biografie von Morante de la Puebla noch näher eingegangen wird.
Phänomene der Sucht lassen
sich bei allen Menschen beobachten, die sich mit Leidenschaft
einer Sache, einer „Liebhaberei“ hingeben. Die sich zu ihrer afición bekennende
Verfasserin nahm die beschriebenen Gefühle der Ambivalenz ebenso wie die zuletzt
erwähnten „süchtigen Anteile“ staunend an der eigenen Person wahr. Sie
beschreibt ihre ganz persönliche Annäherung an die spanische fiesta de toros,
ihre neugierigen Versuche, eine komplexe fremde Welt zu durchdringen und sich
allmählich anzueignen. Sie setzt an konkreten Erfahrungen an und vermeidet eine
abstrakte Diskussion.
„Material“ ihrer Überlegungen liefern
zum einen ihre eigenen, subjektiven Erfahrungen, und zum anderen ihre
Konzentration vor allem auf den exemplarischen Lebenslauf eines toreros, der
mit seiner Karriere seit über einer Dekade den „mundo taurino“ in Atem
hält: José Antonio Morante Camacho „Morante de la
Puebla“
Dass die Autorin gerade diesen torero in den Fokus ihrer Abhandlung stellt, ist weniger in der „Berühmtheit“,
der Prominenz, dieser faszinierenden Figur begründet. Seiner Kunst, seinem
irrationalen Zauber – dem „embrujo“ - liegen die „morantistas“ zu
Füßen, zu denen sich auch die Autorin zählt. Die besondere Aufmerksamkeit, die
sie dem sensiblen Künstler-Torero widmet, ist seiner biographischen Entwicklung
geschuldet, die stärker als vergleichbare professionelle Werdegänge Einblick in
die Psychodynamik einer Torero-Persönlichkeit bietet. Sein einzigartiger
Werdegang steht im Fokus der Reflexionen der Autorin, die mit hinreichender
Distanz auf
psychoanalytischem Hintergrund
Bewunderung und Respekt für die „fiesta más culta“am Beispiel Morante de
la Pueblas zum Ausdruck bringt.
Die Autorin ist überzeugt: Im
Stierkampf wird ein Drama inszeniert, das sich in seiner Irrrationalität jeder
rationalen Erklärung entzieht. Einer durchrationalisierten Gesellschaft muss
dieses kulturelle Phänomen daher zunehmend zum
Ärgernis werden. Man könnte sagen: Unsere Gesellschaft
ist dabei, sich zu Tode aufzuklären.
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Quellennachweise:
Morante de la Puebla - Torero, Torodora Gorges, Vorwort, Frankfurt 2010
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Quellennachweise:
Morante de la Puebla - Torero, Torodora Gorges, Vorwort, Frankfurt 2010
Gunzelin Schmid
Noerr/Annelinde Eggert, Aufsatz aus: Kultur-Analysen, Frankfurt, 1986