Dienstag, 29. Dezember 2015

Unser Stier (1. Teil)

Die grundlegende Situation
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von Dr. Andreas Krumbein


Ist das jetzt unser Stier?“ - Die Frage irritierte mich und mir lag schon eine so banale Antwort wie „Das wird schon einer der sechs von gestern gewesen sein.“ auf den Lippen, als sich meine Tochter ein enormes Stück Fleisch in den Mund steckte und kauend mit sehr vollem Munde sprach: „Das schmeckt wirklich sehr gut, wirklich sehr, sehr gut!“ In der Tat, das Fleisch war hervorragend, zart und sehr saftig, die geschmackliche Note „Rind“ deutlich, doch unaufdringlich, ein ganz wenig Fett am Rand, innen rosig, einige Stücke konnte man mit der Zunge am Gaumen zerdrücken; als Zutaten Olivenöl, Pfeffer, Salz, Knoblauch. Ich hatte alles richtig gemacht, vor allem hatte ich das korrekte Grundmaterial eingekauft: solomillo, nachdem man mir eingeschärft hatte: „Und kaufe auf keinen Fall wieder Suppenfleisch!“ Ja, Frau, ja! Auch ich kann noch lernen, eingedenk der tagelang schmerzenden Kieferknochen, nachdem ich beim letzten Mal mit der Sparsamkeit der Schwäbischen Hausfrau carne de tercera gekauft und es sich in der Pfanne in ein Brett verwandelt hatte. Damals dachte ich beim kauen unentwegt an den Stier, verachtete die Schwächlichkeit meiner Kiefer, und so schmeckte es mir dennoch. Doch diesmal war es noch besser.

Der gute Stierkampf ist alter Wein, lautet ein Ausspruch, doch kann man weder immer alten Wein trinken, noch will man manchmal darauf warten, dass der Wein gut wird und lange genug gereift ist. Manchmal will man Einfaches in vollen Zügen geniessen, den Mund vollnehmen, dass es einem die Backen bläht, laut schmatzen und sich das Hemd bekleckern, ohne dass man sich selbst oder ein anderer daran stört. So etwas kann man nicht an vielen Orten tun. Aber in Huelva, da kann man es.

Huelva, Provinz der faustgrossen Erdbeeren ohne Geschmack, die man nach Mittel-Europa exportiert, und Heimat der Leperos, die, was das Witzemachen in Spanien anbelangt, das Schicksal der Ostfriesen teilen. Huelva, Stadt ohne Gesicht zwischen Río Tinto und Río Odiel, inmitten von marismas und chemischer Industrie.

Einer der sommerlichen Höhepunkte in Huelva sind die Fiestas Colombinas, die zu Ehren von Cristóbal Colón (Christoph Kolumbus) und seinem Aufbruch nach Indien so benannten, grossen Feierlichkeiten der Stadt: die feria.


Das recinto ferial, direkt am Río Tinto in Sichtweite des von Gustave Eiffel konstruierten, nieten-eisernen Verladepiers, der weit in den Fluss hineinragt, beherbergt eine mittelgrosse, familiäre Kirmes mit vielen, offenen casetas für jedermann, von denen manche für geringes Geld ausgehungerten, deutschen Touristen, die fast alles falsch gemacht hatten, Speis und Trank mit so grosser Freundlichkeit, Schnelligkeit und Unkompliziertheit servierten, dass schnell alle Fehler vergessen waren. Zumindest vorerst.


Während der Colombinas gibt es auch Stiere, diesmal an fünf Tagen im August 2011. Unser Zugpferd war der matador de toros José Tomás, der in seiner zweiten corrida nach der schweren cornada in Aguascalientes (Mexico) im Frühling des Jahres 2010 hier in Huelva antreten sollte.

Die Plaza de Toros de la Merced ist in rot und ocker-gelb gehalten, später an das alte Mauerwerk angesetzte Anbauten wurden in Beton ausgeführt und farblich angeglichen. In das Gebäude integriert und von aussen zugänglich sind eine Hähnchenbraterei und ein kleiner Lebensmittelladen. In 100 Meter Entfernung mündet die Avenida Costa de la Luz, die einen Grossteil des Autoverkehrs der Autovía Huelva - Punta Umbría über den Río Tinto ins Stadtinnere führt, in die Avenida de Cristobal Colón, die wiederum direkt vor der plaza in den Paseo de la Independencia (Promenade der Unabhängigkeit) übergeht. 


Die Geschehen um die plaza ist auch an normalen Tagen von hoher Lebendigkeit und viel Autoverkehr mit Staus an roten Ampeln, viel Huperei und allerlei Abgasen geprägt.


Die entradas waren online bestellt, die Abholung so unkompliziert und ich selbst so glücklich (José Tomás!), dass alles glatt gelaufen war, dass mir erst sehr viel später Zweifel kamen, was denn wohl geschehen wäre, wenn ich nicht ich, sondern ein anderer gewesen wäre, der die Karten abgeholt hätte, denn meine Identität hatte niemand überprüfen wollen. Nun denn, es war ja alles gut gegangen, und ich hatte heute meine Karten und morgen meinen Star (José Tomás!). Also: drauf gepfiffen!

Fehleinschätzung Nr. 1: „Wir finden schon was!“

Will man eine corrida de toros bewusst geniessen, empfiehlt es sich ausgeschlafen zu sein. Dafür ist eine angemessene Schlafstatt hilfreich. Für den Touristen könnte das ein Zelt auf einem Campingplatz sein, als junge Familie (Vater, Mutter, Kind) ziehen wir gemietete Betten vor. Man benötigt nun noch jemanden, der einem freie Betten für drei Personen vermietet. Und das war gar nicht so einfach. Jedenfalls nicht, wenn man in Huelva zur feria ist, morgen José Tomás (José Tomás!) kämpft, man sich um nichts gekümmert hat (ausser um José Tomás) und sich in der Stadt nicht auskennt. Ausfindig machen konnten wir sieben Hotels und eine Pension innerhalb des Stadtgebietes. Die Pension zwei Nächte) und eines der Hotel (eine Nacht) konnten uns unterbringen, für die restlichen zwei Nächte waren ausgedehnte Fahrten in die weitere Umgebung von Huelva nötig. Natürlich: es ist alles eine Frage des Preises. Wir hätten sofort in einem der Sieben ein Zimmer für 300,00 EURO pro Nacht bekommen. Doch so weit bin ich noch nicht.

Die bisher gut geprüfte Formel für Spanien „Wir finden schon was!“, die uns nie im Stich gelassen hatte, gilt zwar noch heute, doch sieht sie mittlerweile ein wenig abgegriffen und schmuddelig aus. Und teuer werden kann sie auch. Den Krankenhaus-Charme unserer Pensionsbetten hätte ich allerdings um keinen Preis missen wollen.


Nur gut ausgeruht zu José Tomás: am besten in ehrlichen, einfachen Betten

F o r t s e t z u n g    f o l g t !