Freitag, 27. Januar 2012

Der digitalisierte Stier

Antonio
El niño de la albóndiga
Für viele ist er einer jener Kellner von denen man sich gerne bedienen lässt. Stets froh gelaunt behandelt er einen jeden Gast so, wie man sich vielerorts nur erträumen kann. Eigentlich wollte er torero werden. Hatte sogar schon einen Kampfnamen: El niño de la albóndiga. Der Kerl einer Frikadelle, das junge Fleischkpflanzerl oder einfach nur das Bulettenkind. Wie auch immer, auf jeden Fall waren ihm die toros doch eine Nummer zu gross, zu schnell, zu gewichtig, mit bedrohlich langen und spitzen Hörnern, kurz, viel zu gefährlich um sich in den Rund einer Plaza de toros zu wagen.

Es war kalt, der Himmel blau und die ersten Sonnenstrahlen erwärmten den grossen Platz am Hafen in Málaga. Ich schlenderte vorbei am Plaza, als Antonio, jener vorweg gepriesene Kellner auf mich zukam, warte Philip ich habe da etwas für dich. Es passte mir gut, denn es war gerade an der Zeit sich einen café con leche zu genehmigen und einen Blick in die Tageszeitung zu werfen. Der Kaffee kam, die Zeitung auch und ein strahlender Antonio stand vor mir. Er habe etwas in seinen Schubladen entdeckt, dass mir gefallen könnte. Nichts besonderes, aber bevor es im basura, im Mülleimer landete, wollte er dem Objekt noch eine Überlebenschance geben. Und die lag bei mir.

Genau genommen waren es zwei Artikel. Da waren Aufkleber mit Stierkampfmotiven und eine Postkarte.  Letzteres fiel mit gleich ins Auge. Da ist ein schwarzer toro von einem Videospiel fasziniert, während de r torero schon von Motten angefressen und Spinnweben umgeben eine eher traurige Figur abgibt. Und das nur, weil ein digitalisierter Stier das Interesse am roten Tuch verloren hat. Welch eine Wonne für einen jeden antitaurino.

Los Toros visto por Ozelui
Ein Blick auf die Rückseite verrät das Alter von diesem Kunstwerk. 1981, vor dreissig Jahren ist es entstanden und will schon damals wissen, welche Bedeutung die Digitalisierung für die tauromaquia haben könnte.

Da kann man sich doch mal fragen wie sieht das überhaupt aus mit dem Zusammenprall dieser Welten. Welchen Einfluss hat das digitale Zeitalter auf die tauromaquia? Gewiss, man kauft sich die entradas mittlerweile online, auch auch die wichtigsten Medien befinden sich im World Wide Web und Liveübertragungen von Stierkämpfen aus Amerika verfolgt man ebenfalls im Netz. 

Doch wie sieht es in den Plaza de toros aus? Welche Rolle spielen technische Neuerrungenschaften bei einer corrida de toros? Nicht eine! Im Gegenteil, technischer Firlefanz scheint verpönt. Seien es Grossleinwände in den tendidos, wo der Zuschauer die Manöver noch einmal in Zeitlupe verfolgen kann, gar als Bewertungsgrundlage für die möglichen Auszeichnungen, oder Messgeräte, um die Abstände zwischen torero und toro festzuhalten, oder elektronische Werbetafeln, ähnlich wie in Fussballstadien, nein, so etwas ist gänzlich unerwünscht. 

Die Welt der toros lebt von den einzelnen Momenten. Momente der Natürlichkeit. Jeder für sich eine Sekunde der Wahrheit. Jene Erlebnisse nach denen sich ein jeder aficionado sehnt. Nicht am Fernseher, auch nicht auf der Grossbildwand, und schon gar nicht mit digitalisierter Bestätigung wie die Hundertstelsekunden beim Sport, nein live, gefühlt und miterlebt. Genau das sind die Momente, und auch wenn diese nur einige wenige Minuten im Leben eines aficionados ausmachen, es sind jene Augenblicke die man nie vergessen möchte.