Rückblick auf den Jour de Gloire - José Tomás in Nimés
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von Torodora Gorges
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Foto HJD |
13.500 Menschen, die am vergangenen Sonntag im Colosseum von
Nimes waren, stehen sicher noch genau wie ich unter dem Eindruck dessen, was sie als Augenzeugen miterleben konnten. Im Internet (ein unverzichtbarer Segen für die
aficionados, die nicht dabei sein konnten) sammeln sich zahllose enthusiastische Kommentare zu diesem magischen Sonntagvormittag, in Wort und Bild. Wir können die einmaligen, unbeschreiblichen Momente in Fotos und Videos abrufen und nacherleben. Wer das Glück hatte dabei zu sein, wird diese Stunden für immer in der Erinnerung festgeschrieben erhalten. Unvergesslich, unwiederholbar ist der Tag; Einigkeit in der Begeisterung innerhalb der spanischen und französischen Presse.
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"Und wenn ich noch hundert Jahre leben könnte,
würde sich so etwas Vergleichbares nie wiederholen."
Ein Journalist
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"Apotheose" und
"Apocalypse now dans arénes de Nimes" titelt die Tageszeitung
La Marseillaise, assoziiert Seligsprechung mit seiner Person:
"Tomás beatifié".
Auch die Sportzeitungen erweisen dem
torero und Fußballanhänger
José Tomás (kurz
JT) Referenz; mir gefällt besonders der kundige Beitrag in der MARCA:
"Como un emperador en el Coliseo".
Während der Rückreise nach Deutschland im TGV sammelte und notierte ich meine Gedanken zu dem großartigen Ereignis der matinée des Vortags. Auf den Besuch der
corrida am Sonntagnachmittag, die den Abschluss der
Feria de Vendimia bildete, verzichtete ich. Ich hätte mich nicht auf
El Juli und
Sebastian Castella konzentrieren können. Ich hätte ihre Leistung nicht würdigen können und ihnen Unrecht getan, weil
JT meine Fantasie und Gedankenwelt besetzt hielt.
Auch die zuvor besuchten
corridas der
Feria waren verblasst im Glanz des jetzt schon als historisch bewerteten Auftritts von
José Tomás - el torero de este siglo.
Hier meine spontanen Notizen dazu:
¡JT, 6 toros 6 en solitario!
Dank des heftigen Mistrals, der in den vergangenen Tagen geweht und den
toreros die Arbeit mit den Tüchern erschwert hatte, war das Wetter am Sonntagvormittag von kristalliner Brillanz, das Colosseum sonnenbeschienen; der Sand glänzte goldfarben. Die ideale Kulisse für den Auftritt des
toreros, den ich seit der
corrida des Abschieds von der
PlazaMonumental in
Barcelona vor fast genau einem Jahr nicht mehr gesehen hatte. Mein Platz:
Toril Bas B, Rang 3.
Große Aufregung, Unruhe, freudige Erwartung, Zeichen vorauseilender Nervosität in den Gesichtern der Besucher um mich herum, die während der drei vergangenen Nachmittage sympathische Nachbarn waren. Sie gehörten zur Internationale der
afición a los toros, es wurde nicht nur Französisch oder Spanisch gesprochen. - Mit meinem freundlichen Sitznachbarn aus Norwegen, der obsessiv fotografierte, tauschte ich mich noch über die
corrida des Vortags aus.
Morante hatte es wieder einmal geschafft, ein ihm gewogenes Publikum zu brüskieren. Die Enttäuschung hatte sich in gewaltiger
bronca entladen. Dennoch waren die überzeugten, "wahren"
Morantistas (wie ich und mein Freundin und der norwegische
aficionado) der Meinung, dass er mit den Details, die er zeigen konnte, viel Glanz in die Feria gebracht hatte.
Nun rückte der Zeiger der Uhr voran, es wurde stiller. Alle Blicke waren auf das Tor gerichtet, aus dem gleich
JT und seine
cuadrilla treten würde.
"Corrida de expectación - corrida de decepción?!" flüsterte mir meine Freundin U. zu. Wir erhofften den guten Ausgang. Der große Uhrzeiger sprang auf die sechs - 11 Uhr 30 - das weiße Taschentuch des Präsidenten hing über der Brüstung.
Der Einzug von
José Tomás löste gewaltig anschwellenden Begrüßungsapplaus aus. Dieser Mann wird verehrt und bewundert wie kein zweiter derzeit lebender
torero; egal, was heute passiert, er hat schon jetzt den Rang eines
Toreros de Epoca. Dass er die tödliche Verletzung in
Mexiko überlebt hat, grenzte an ein Wunder. Dass es ihm gelang, so weit zu gesunden, dass er sich der heutigen Herausforderung stellen konnte, empfand ich als großes Glück. (Welche Arbeit, wieviel Liebe wurde dafür eingesetzt!?) Diese und ähnliche Gedanken löste der
paseillo in mir aus.
Was in
JT vorgeht, was die messianischen Erwartungen seines Publikums in ihm auslösen, darüber erfährt man nichts. Zu keiner Zeit. Er redet in der Öffentlichkeit nicht. - Er nimmt die Ovationen mit Ernst, ohne Lächeln an. Ein Arzt (in
Las Ventas oder einer anderen
plaza?) verriet einmal, dass
José Tomás selbst unmittelbar nach einer schweren Verletzung keinen erhöhten Blutdruck habe. Ob das seine Gelassenheit unterstützt?
Wir jedenfalls, das Publikum, zeigten unsere Aufregung, richteten unsere Aufmerksamkeit auf den
toril, aus dem der erste Stier aus der
ganadería Victoriano del Río rannte. Es war ein Vergnügen, den
Maestro bei seiner
Capa-Arbeit zu beobachten. Die
capa glänzte auffallend, sie war mit Seide bespannt; wie später zu erfahren war, eine Sonderanfertigung für
JT. - Die
cuadrilla war in fantastischer Form, bestens aufeinander bezogen in allen Phasen. Eine ästhetische Choreographie! - Der Stier wurde dem Nimenser Publikum gewidmet, die
montera fiel auf die "glückverheißende" Seite - dankbarer Jubel.
Der Stier läuft,
José Tomás steht in gelassener Ruhe und lenkt ihn. Leichtigkeit, eine Art von Zärtlichkeit zwischen
torero und Stier. Der Tod durch den Degen - auch der ohne forcierte Gewaltsamkeit und dennoch effektiv gesetzt - geschieht ohne Qual und Leiden. Einen Todesstoß dieser Manier haben wir an diesem Vormittag noch bei vier anderen Stieren erlebt: gnädig, ohne brutale Anmutung! So könnte der Tod am Ende eines Lebens willkommen sein?!? In einer Tageszeitung bezeichnete man
JT als "
sacerdote"; ein Opferpriester, warum nicht?
José Tomás beeindruckte durch sein unerschöpfliches Repertoire und seine kreative Empathie! Für jeden der unterschiedlichen Stiere "erfand" er eine eigene Form des Umgangs. Der dritte
toro z.B. protestierte mit lautem, herzzereißenden Muhen gegen die Behandlung durch die
picadores und
banderilleros, ließ sich dann aber durch
JTs
muleta in den Bann ziehen und zum Angreifen provozieren und konnte seine Klasse zeigen.
Integrato
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Indulto für Integrato |
Der vierte Stier landete einen eigenen Überraschungscoup: Blitzschnell, die meisten Fotografen konnten nicht schnell genug ihr Objektiv darauf richten, sprang er in den
callejón und erschreckte die Menschen dort und in den Rängen. Ein Tor wurde geöffnet, er fand den Weg hinaus in das Rondell, niemand war verletzt worden. - "
Ingrato" aus der Zucht der
Domeq (
Parladé) erwies sich als ein echt wilder Stier, er "rang" mit seinem
torero, vergeblich, um die Herrschaft über die seidene
capote. Er zeigte
bravura und Angriffslust und lief immer wieder in die
muleta nach der Regie des Meisters. -
Ingrato gefiel mir, er kämpfte.
José Tomás erhob den Degen zum Todesstoß, er verharrte länger in dieser Stellung. Man hörte den Ruf "
indulto". Man sah die ersten Taschentücher in den Rängen.
JT setzte seine Pases mit dem Stier fort, schien einverstanden mit dem Wunsch der Zuschauer, die immer heftiger nach Begnadigung des Stiers verlangten. Der zunächst unnachgibige Präsident willigte ein, als die
bronca gegen ihn Orkanausmaße anzunehmen begann: das gelbe Tuch wurde über die Brüstung gelegt. - Erlöster Jubel und danach der simulierte Todesstoß,
JT begleitete
Ingrato zum
toril. Freudentaumel des Publikums. - Ich dachte an den Herbst 2008, den
indulto von
Idilico in
Barcelona, mein erstes Erlebnis der Begnadigung eines Stiers durch
JT. Es hatte mich damals stärker ergriffen, erschien mir einzigartiger. Über den heutigen
indulto wurde auch nachträglich polemisiert! Dennoch: Ich freute mich, dass dieser wild-tapfere Stier von
José Tomás ein zweites Leben geschenkt bekam.
Um mich herum sah ich Leute, die hüpften und tanzten und glücklich lachten und sich dessen versicherten, dass sie in ihrer Begeisterung nicht allein waren.
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"Johann Sebastian Bachs Kantate `Jauchzet - frohlocket!´
ging mir durch den Kopf"
Torodora Gorges
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Mein norwegischer Nachbar fürchtete, er könnte einem Herzinfarkt erliegen. Ich sollte ihn gegebenenfalls retten. Mon Dieu! Keine Frage! - Ich konnte seine Emotionen nachvollziehen!
Welchen Reichtum an Ideen entfaltete
JT, um Schönheit und Würde "seiner" Stiere zu unterstreichen?! - Wieder aufs Neue erlebte ich, dass er auf die begleitenden
Pasodobles zu verzichten in der Lage ist.
"La música callada del toreo" (
José Bergamín) - und
"concha y flamenca" mit einem Klarinettensolo - was unterstreicht den
toreo puro mehr in der aktuellen Situation?
"Mu-si-ca" wird gefordert!
JT braucht sie nicht, das weiß man schon lange. ER singt mit leiser Stimme - der eines Knaben - sein
"to-rooo"! Er bannt das Tier mit seinem liebevollen Singsang - in kleiner Terz:
"To - rooo"!
"Leise zieht durch mein Gemüt liebliches Geläute". Dass dieses deutsche Lied Assoziationen zu JT und der Fiesta de Toros beinhaltet, lässt sich kaum glauben.
Auch das Publikum im Coloseum von Nimes ließ sich zur Ruhe zähmen. José Tomás mit der fragilen Figur einer Statuette von Giacometti, bannt alle mit seiner mäßigenden Autorität zu einvernehmlicher Stille.
Dann der letzte - sechste - Stier, aus der Zucht
Victoriano del Río, drahtig, widerspenstig, "hässlich".
JT handhabte die
muleta so riskant, dass wir uns an die Zeiten erinnerten, wo er uns regelmäßig in Furcht und Schrecken versetzt hatte mit jeder seiner
actuaciones. Heftige Stiche der Angst erlebte ich, gegen die ich mich wehrte. Es raubte mir den Atem. Ich verstand dennoch, dass er diesen Stier nicht "einfach so" gehen lassen konnte. - Der Stier war extrem schwierig. Bisher waren wir im Colosseum der Tauro-Magie des
JT vertrauensvoll gefolgt. "Kurzen Prozess" zu machen, war nicht seine Art. Er wählte seinen Weg, indem er den Stier auf sanfte Art bezwang. In Anmut! - Killing him softly!
José Tomás lächelte. Er hatte uns während jeder Ehrenrunde ab dem dritten Stier sein Lächeln geschenkt.
JT - lächelt!
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Foto HJD |
Glück, Erlösung, Dankbarkeit - selige Fröhlichkeit - im Coloseum, in der ganzen Stadt
Nimes!!
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Foto HJD |
Gracias, José Tomás!
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Über die Autorin
TORODORA GORGES
Die deutsche Autorin lebt in Frankfurt am Main wo sie als Psychotherapeutin tätig ist. Sie ist die erste deutsche Schriftstellerin, die eine Biografie über einen spanischen matador de toros geschrieben hat. Als leidenschaftliche morantista hat sie ihre Gedanken und ihre Passion über "ihren" torero Morante de la Puebla in Worte gefasst. Dabei ist es ihr gelungen den embrujo von Morante übers Papier nach Deutschland zu tragen. Ihr Portrait eines spanischen Künstlers wurde 2010 in Deutschland und 2011 in Spanien veröffentlicht.
In dieser Lektüre begegnet der Leser erneut José Tomás, wo sie von dem oben erwähnten indulto in der Monumental von Barcelona aus dem Jahr 2008 erzählt.
Auch auf ihrer Internetpräsenz torodoro versteht sie es den embrujo dem Besucher zu übermitteln, wo besonders der Tod des toreros Ignacio Sánchez Mejías im Mittelpunkt steht.