Sonntag, 22. September 2013

Wenn die Stiere im Mittelpunkt stehen



von Colin Ernst
(Fotos: mundotoro)


Logroño, der zweite Tag, ein Wettbewerb der Stierzuchten
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Spannung pur in der halb vollen plaza von Logroño, dem coso La Ribera, so zumindest, hatte ich mir die Überschrift gewünscht. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, sechs verschiedene ganaderías, die alle auf der gleichen Zuchtbasis züchten, zu sehen. Und mit sechs verschiedenen toreros, von denen einige als Spezialisten bekannt sind. 

Wenn die toros im Mittelpunkt stehen
Misterio, 515 Kilo
Den ersten toro, Misterioso, 515 Kilo schwer, negro (entrepelado, bragado, meano, was heißt er ist schwarz mit weißen Stichelhaaren und weißen Flecken unter dem Bauch) aus der ganadería José Escolar, wurde dem matador de toros Luis Bolivar zugelost. Der Stier erfüllte alle Anforderungen im tercio de varas. Anfangs noch etwas suelto, mit erhobenem Kopf unruhig umherstreifend im Part der banderillas, bot er sich doch im letzten tercio dem matador an. Mit gutem Schwung und schönem Rhythmus ergab er sich seiner Aufgabe. Bolivar konnte besonders über die linke Seite eine schöne, in die Tiefe führende faena herausarbeiten. Ein guter Stier, trotz seiner züchterisch bedingten Eigenarten. Leider hatte der diestro Probleme mit dem Abschluss, was eine Trophäe ausschloss. Ovación für den toro der ganadería José Escolar, silencio für Luis Bolivar. Dieser Misterioso war mein Favorit und hätte die estocada gesessen, wäre ein oreja für Bolivar sicher gewesen. Ich erlaube mir sogar zu sagen, das dieser Stier für zwei Trophäen gut war. Toro bravo!

Pajarito, 468 Kilo
Pajarito, aus der ganadería La Quinta, cárdeno (grau) war mit 468 Kilo der der leichteste in der corrida und der matador de toros Paco Ureña hatte es nicht immer einfach, typisch für diese encaste. Am Pferd machte sich der toro ausnehmend gut, während er bei der faena mit der muleta nicht immer mitspielte. Die teilweise wütenden Attacken ließ der erfahrene Ureña über sich ergehen, sicher führte er den Stier und tötete recibiendo. Auch wenn der Stier etwas soso war,  kommt Unverständnis auf wenn man die Bewertung dieses Paares sieht. Silencio für toro und torero. Ein geiziges Publikum. Paco Ureña hätte sein oreja mehr als verdient, denn der Stier senkte nicht allzu demütig das Haupt, sondern agierte in der Mehrzahl der faena mit halbhohem Kopf. Um dann trotzdem so eine gediegene Vorstellung abzuliefern erfordert es Intelligenz, Wissen und Können. Obendrein das Risiko, recibiendo zu töten, bei solch einem Exemplar … oreja de ley, meines achtens, für diesen bemerkenswerten torero.

Mercedario, 563 Kilo
Mercedario aus der ganadería Flor de Jara, mit 563 Kilos der schwerste toro aus der ganadería Flor de Jara machte es dem Mexikaner Joselito Adame nicht einfach. Wie beinahe alle toros, die auf dieser Basis gezüchtet werden (Santa Coloma-Albaserrada), bestand er die Prüfung des picadores ohne Probleme, allerdings ließ sein Eifer bald nach. Auf der rechten Seite gelangen Adame einige schöne aber kurze muletazos, aber die Chemie schien nicht zu stimmen, was keine Höhepunkte bescherte. Gute estocada.  Silencio für toro und torero  Das Ganze wirkte etwas abgehackt und langweilig. Es wäre ein halbherziges oreja gewesen.

Madrono, 513 Kilo
Madronocárdeno aus der Zucht Adolfo Martín, war der 513 Kilo schwere Gegner von Rubén Pinar. Ein komplizierter Vertreter seiner Zucht. Dieser Stier hinterfragte alles. Dies erfordert große Erfahrung. Auch ließ er sich leicht ablenken, was bei diesen wachen Gesellen typisch ist. Auch Madrono zeigte seine ganze Stärke im tercio de varas  aber es war ersichtlich das Pinar mit diesem Exemplar wenig anzufangen wusste. Jede Wette, ein El Cid hätte ihm ein oreja abgetrotzt. So gab es silencio für beide Protagonisten.

Huesino, 548 Kilo
Huesino, der toro für Antonio Nazaré aus Sevilla, gezüchtet von Ana Romero, bot ein beeindruckendes Schauspiel am Pferd, aber dann war der 548 Kilo Stier auch schon geschafft. Nazaré bot wirklich sein ganzes Können auf, aber es war einfach kein Weg zu finden, den toro zu animieren. Auch dieses Paar wurde durch Schweigen gestraft.

Ein derechazo von Esaú Fernández
Barrabasillo, 527 Kilo
Barrabasillo, 527 Kilo, negro aus der ganadería Juan Luis Fraile war der letzte toro des Nachmittags. Esaú Fernández, der für Martin Escudero einsprang, hatte sich wohl vorgenommen diese Chance zu nutzen. Gestärkt durch die gute Erfahrung mit dem Victorino den er vor kurzem indultiert hat, verstand er es, Tier und Publikum zu berühren. Empfing vertrauensvoll den Fraile Stier mit der porta gayola, auf den Knien vor dem Tor des torils. Esaú Fernández verstand den toro vorzüglich. Nach zwei picotazos des picadores, war Barrabasillos Mütchen etwas gekühlt und der junge torero belohnte ihn mit weichen, nach vorne führenden muletazos, die dem Stier wieder Vertrauen einflößten und so die faena zu einem flüssigen toreo machte. Auch dieser toro trug den Kopf meist hoch erhoben, was die Trophäe, welche das strenge Publikum am Ende gewährte, noch wertvoller macht. Eine Demonstration des „suerte“, denn Esaú Fernández vertrat Escribano, der bestimmt auch gut ausgesehen hätte mit diesem guten Exemplar de Frailschen Zucht. Ein torero der, wie sich zeigt viel Verständnis für diese schwierige encaste hat, sensibel mit dem Stier umzugehen weiß. Und auch kein Risiko scheut, wie er bewiesen hat. En hora buena – Glückwunsch!

Oreja für Esaú Fernández
Fazit: Für aficionados wie mich, die sich sehr für Stiere und deren Zucht interessieren, ein interessanter Event. Für toreistas nicht unbedingt ein künstlerischer Hochgenuss, eher gediegene Arbeit. Aber grade diese Arbeit fordert vom torero ein hohes Maß an Sensibilität, Einfühlungsvermögen Intelligenz, Flexibilität und Konzentration. Nicht jeder torero verfügt über diese Qualitäten, manche machen es sich mit den sogenannten Designerstieren zu einfach. Wenn sie dann mal einem toro bravo gegenüber stehen, geben sie mitunter ein trauriges Bild ab. Die ganaderos, die Züchter dieser speziellen Zuchtlinien, die sich heute präsentierten, dürfen auch ohne großen Applaus zufrieden sein. Was nämlich fehlt, sind toreros  die mit diesen toros umzugehen wissen. Diese Stiere wurden seit Jahrhunderten selektiert, ähnlich wie die Rennpferdezucht. Es ist etwas Besonderes, Erhaltenswertes. Vor allem haben sie trotz aller Selektion durch den Menschen nicht ihre Ursprünglichkeit verloren, ihre Angriffslust und Härte, wie sich besonders im tercio de varas zeigt. Und sie sind intelligenter geworden – sie gehen nicht grundlos auf alles los, sie wägen ab, bevor sie ihren Gegner attackieren. Sie geben nicht demütig auf, nein, die meisten tragen den Kopf hoch, das Maul geschlossen, bis zum Ende. Für mich war der toro der ganadería Escolar der Beste und der Name Esaú Fernández wird in meinem Gedächtnis bleiben.