Mittwoch, 8. Juli 2015

Das betrogene Gedächtnis

In Barcelona gab es mehr toros als auf der ganzen Welt!
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von José Carlos Arévalo


Übertragen aus dem Spanischen von Dr. Andreas Krumbein

Ohne die anderen, ländlicheren Stierspiele zu berücksichtigen, sind in Barcelona Stierkämpfe seit dem 16. Jahrhundert bekannt. Fest umbaute Stierkampfarenen, die eigens für die Ausführung den Kampfes gedacht waren, wurden erst später gebaut. Ihre Ausbreitung erfolgte von Süden nach Norden, so wie der Stierkampf selbst. Die erste Stierkampfarena von Barcelona, die der Barceloneta, wurde im Jahre 1834 errichtet. Offensichtlich tat dies ein Katalane, der Architekt Josep Fonsere i Domenech. Es war eine Arena von Bedeutung. Hier wurde zum ersten Male Musik gespielt, zu einer faena des berühmten matadores Lagartijo; später verbreitete sich dieser Brauch in ganz Spanien.

Das erste Mal das ein Paso Doble bei einer faena in Spanien ertönt:
 Beim matador de toros Largatijo in Barcelona

Der picador Agujetas
Und hier wurde der letzte picador der Romantik verabschiedet, und das schon in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, Agujetas, ein picador aus Tarragona, der in Madrid bei einer corrida zur Feier der ersten Hochzeit König Alfonsos XII. sein Debut gab. Diese Stierkampfarena, die plaza de toros de El Torín de la Barceloneta, die alle großen Stierkämpfer des 19. Jahrhunderts versammelte, machte zunächst der plaza de toros Las Arenas, gebaut im Jahre 1900 von Augusto Font Carreras, den Weg frei, die sich bald, im Jahre 1914, der plaza de toros del Sport unterordnete, auf der man im Jahre 1916 die plaza de toros La Monumental hochzog. Der Bauträger, Pedro Milá, vermietete sie an Pedro Balañá Ende der 20er Jahre und schließlich verkaufte seine Witwe die Arena Anfang der 40er.

Mit den Anfängen des vergangenen Jahrhunderts nahmen die mexikanischen matadores die Gewohnheit an, eine erfolgreiche Stierkampfsaison von Barcelona aus zu beginnen; nur Gaona und Arruza starteten von Madrid aus. Und seit jeher wurde die katalanische Plaza Monumental von vielen großen matadores als ein Glücksbringer angesehen: Domingo Ortega, Manolete, Julio Aparicio, Joaquín Bernadó, Chamaco und José Tomás sind Hauptakteure in der Gunst der Stierkampfbegeisterten von Barcelona. Nur der matador Bombita, der in Barcelona heiratete und dort starb, hatte ein schlechtes Verhältnis zur Stierkampfpassion in der Hauptstadt der Grafschaft von Barcelona. Darüber hinaus hatte er paradoxerweise so viele Anhänger, dass diese Schiffe charterten, um ihn in Mallorca zu sehen, oder Züge nach Castellón oder Valencia.

Barcelona 1951: Und man sagt, da habe es keine afición taurina gegeben!
Die katalanische afición, die Stierkampfbegeisterung, war immer eine ganz eigene; von alters her strebte sie danach, neue Werte zu fördern. Vielleicht war der matador Dámaso González der letzte, für den elf aufeinanderfolgende Jungstierkämpfe veranstaltet wurden. Die aficionados der La Monumental taten sich durch ihre Vielseitigkeit hervor. Zusammengesetzt aus Katalanen und Emigranten, die aus unterschiedlichen Regionen eingewandert waren, zeigte sich das Publikum der Monumental als antidogmatische Gemeinschaft, die der klassischen Stierkampfkunst ebenso anhing wie jenen matadores, die mit Althergebrachtem brachen. Durch nichts liess sie sich in ihrem Urteil beeinflussen, weder von der Kritik, noch von dem fast heiligen Ansehen der Kult-matadores. Und in Barcelona hörte und hört man das echteste Olé, das in einer plaza de toros erschallen kann.

Ich lebte Ende der sechziger Jahre in Barcelona. Und ich wurde dort Zeuge einer abnormen Situation. Es gab viele corridas, manchmal zwei pro Woche, und man verzeichnete sehr hohe Besucherzahlen in der Arena. Jedoch konnte man am darauffolgenden Tag kaum etwas von dem, was sich ereignet hatte, in den Zeitungen lesen. Damals dachte ich, dass dieses Schweigen der Medien am Ende die Abkehr von Teilen der katalanischen Gesellschaft von den corridas de toros befördern werde. Und so war es. Gleichwohl hat die neue Geschäftsführung, nachdem Pedro Balañá Espinós verstorben war, dieser Entwicklung Schützenhilfe geleistet. Im Durcheinander der Touristenwelle jener Zeiten, sank die Qualität der für die Monumental verpflichteten Akteure, die einstmals auf höchstem Niveau gewesen war, in der gleichen Weise wie die Preise stiegen, mit Freuden bezahlt von einem ausländischen Publikum. Deswegen sind Katalanen sowie aus den süd-spanischen Provinzen Eingewanderte und soeben Eingetroffene weggelaufen.

Später erfolgte der eigentliche Gnadenstoss durch das Verbot der transportablen plaza de toros, die leicht auf- und abgebaut werden können, ein Verbot, das die Stierkampfprofis Kataloniens kaputtgemacht hat, banderilleros, picadores und Schwertburschen, deren Anzahl ebenso gross ist, wie die derjenigen Bevölkerungsanteile in Madrid und Sevilla, die sich dort für die Stiere interessieren. Das Medienschweigen, das zu Gleichgültigkeit geführt hat, tat den Rest. Zum Schluss blieb nur die Erinnerung, eingeschlossen in Zeitungsarchive, in denen keiner nachschlägt, die tausendundeins Stierkampfzeitschriften, die in Barcelona herausgegeben wurden, unter ihnen Fiesta Brava, eine der besten des 20. Jahrhunderts, und Bücher, die keiner liest, Bücher über Geschichten und die Geschichte der fiesta in Katalonien und über wie viele tausend aficionados, konvertiert in Taufbewerber für die Stierkampfkunst, die sich wohl daran erinnern, was Barcelona war, die Stadt der drei plazas, und an ihren Fürsprecher, das Tarragona von Moyita.

Der matador de toros José Tomás bei seinem letzten Auftritt in Barcelona
Alle glaubten, auch ich, dass die Explosion von José Tomás den Fluss in sein Bett zurückwerfen würde. Aber seine Triumphe, die die Rückkehr der aficionados von früher und das Hinzukommen anderer, sehr neuer auslösten, ereigneten sich in einem anderen Barcelona, keiner offenen Stadt mehr, sondern einer, die auf sich selbst bezogen ist, keiner europäischen mehr und auch keiner katalanischen, sondern einer katalanistischen. In der nur die nationalistische Sprache gesprochen wird, angesichts der mehrheitlichen Gleichgültigkeit, oder Machtlosigkeit, der Bevölkerung.

Wen interessiert es, zum Beispiel, sich daran zu erinnern, dass es in den 20er Jahren mehr als 125 Flamenco-Bühnen in Barcelona gab?
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Wer will wissen, 
dass in Barcelona während des 20. Jahrhunderts 
an Zahl und Qualität mehr corridas de toros gefeiert wurden 
als im Rest der Städte auf der Welt? 
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Wer ist bereit, die afición von katalanischen Politikern, Schriftstellern und Künstlern von Gestern und Heute anzuerkennen? Selbstverständlich nicht die Nationalisten, die sich hinter dem Vorwand des Tierschutzes verschanzt haben, die in den Stieren ein spanisches Fest sehen und die es nicht wollen oder denen es nicht behagt, sich daran zu erinnern, dass es katalanisch ist seit dem Mittelalter.

Das, was man im Parlament Kataloniens "demokratisch" begangen hat, ist ein unglaublicher Akt des Kultur-Terrorismus. Mit welchem Recht hält eine Mehrheit eine Minderheit - wenn es so ist, dass es sich um eine Minderheit handelt - davon ab, derjenigen Freizeitbeschäftigung zu frönen, die ihr gefällt? Wie, im Namen welcher Prinzipien, kann man Kunst verbieten, selbst wenn es sich um die umstrittene Kunst des Stierkämpfens und -tötens, des toreo, handelt?

In der Monumental von Barcelona für 19.582 Zuschauer gibt es keine toros mehr.
Wenn dies das "vielfältige Spanien" ist, das Zapatero vorschlägt und das Montilla in Katalonien in die Tat umsetzt, steige ich aus.

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Quellennachweis:

La memoria traicionada, aus 6 toros 6,  Semanario de Actualidad Taurina, No 840, 
3. August 2010, Seite 3: Rubrik: La opinión del director