Der maestro "Joselito" |
Für viele aficionados war und ist der matador de toros José Miguel Arroyo Delgado "Joselito" einer der pursten Vertreter der tauromaquia. Mit seinem Stil verkörpert er das toreo mit einer Reinheit, mit überzeugender pureza und mit elegant einfach anmutenden Manövern bringt er das duende in die tendidos, und selbst wenn die toros nicht mitspielten, das Publikum erlebt stets die verdad des toreos. Hinzu kommt seine arte mit dem estoque. Kaum ein anderer matador de toros beherrschte die Kunst des Tötens so wie er. Fast immer mit der ersten estocada gelang es ihm Herr über den momento de la verdad zu werden.
Leider hat sich der maestro der capa und der estocada für die afición viel zu früh zurückgezogen. Doch am Sonntag den 15. Juni 2014 schaute die Afición nach Istres in Frankreich. SfA-Mitarbeiterin Torodora Gorges war im vorletzten Jahr dabei. Die nun hier erscheinende Reportage von ihr ist eine Stück für Stück aus ihren Notizen zusammengefasste Reflexion jenes tarde der corrida de toros im südlichen Frankreich, wo viele aficionados mit einem gewissen Neid darauf blickten, nicht dabei sein zu können. Denn schon nach kurzer Zeit gab es keine entradas mehr. Das No hay billetes gesichert und glücklich jene, die dabei sein durften. Eine Erinnerung für die Ewigkeit. Und wir von SfA dürfen daran teilhaben:
Tarde de toros im französischen Istres mit Joselito
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von Torodora Gorges
von Torodora Gorges
Ich habe von dem Ort Istres zum ersten Mal vor jetzt
gut einem Jahr gehört. Von der Pfingstferia in
Nîmes 2013 war ich wegen des
Wettertiefs, das die Feiertage dort beeinträchtigt hatte, enttäuscht nach Deutschland zurückgefahren. Vor allem
ärgerte ich mich, dass ausgerechnet am Tag von Morantes Auftritt sintflutartige Regenfälle und schwere
Orkanstürme die Stadt heimgesucht hatten. Diese corrida war komplett ins Wasser
gefallen.
Wenige Tage später las ich, dass Morante de la Puebla in der plaza von Marseille, als solche wurde der Name des südfranzösischen
Städtchens „Istres“ bezeichnet, einen grossartigen
Triumph gefeiert habe. Ich war neidisch auf das dortige Publikum. Istres, in der Nähe von
Marseille! Ich wunderte mich über meine Unkenntnis als alte aficionada
und Kennerin der taurinischen Szene.
Im Februar - oder sogar schon um den Jahreswechsel herum? - kam das Gerücht auf, dass Morante den seit mehr als einer Dekade retirierten torero Joselito dazu „überredet“ hätte, gemeinsam mit ihm in Istres während der diesjährigen Juni-Feria an einem Nachmittag
aufzutreten. Die afición war elektrisiert; das Gerücht wurde bestätigt, die
Nachricht schlug wie eine Bombe ein.
Bevor der Internetverkauf der entradas gestartet wurde,
schien es mir sinnvoll, mich über die Internet-Agenturen rechtzeitig über das
(bescheidene) Angebot an Hotels in
dem kleinen Ort zu informieren. Zu moderatem Preis buchte ich ein Hotel mit Garten und Pool am Rande von Istres in der Hoffnung, als Nicht
–Autofahrer ein Transportmittel zur Plaza „Arénes Le Palio“ zu finden.
Am 17. Februar konnte ich unsere Prä-Entradas ausdrucken
(Tribüne B, 8. Reihe). Zwei Wochen später war die plaza ausverkauft; aber auch
die Unterkunftsangebote in und um
Istres herum waren knapp geworden, die Preise hatten sich für die
Übernachtungen während der Feriazeit verdoppelt oder gar mehr als
verdreifacht. Es hiess schliesslich, dass mindestens vierzig Prozent der abonos von Spaniern gekauft worden waren.
Der Grund hierfür ist sicher nicht nur, dass der spanischen afición die PlazaMonumental de Barcelona verloren gegangen ist. Die Hauptattraktion für diese feria war JOSELITO, der seit seinem Rückzug aus den ruedos immer mehr zur
Legende mutierte. Seine vor drei Jahren erschienene Autobiographie, „Joselito – el
verdadero“, eigentlich ein klassischer Entwicklungsroman, spannend, intelligent
und kultiviert, hatte sicher dazu beigetragen. Meine taurinischen Freunde und
ich hatten das Buch mit Begeisterung „verschlungen“. Nun also konnte ich Joselito, der inzwischen als Landwirt und vor allem Züchter tapferer Stiere in Erscheinung getreten
war, wieder im Lichterkleid auftreten sehen. Er wollte sich diesen Luxus, dieses Vergnügen gönnen dank
Morantes freundschaftlichem Vorschlag.
Beide zusammen hatte ich zuletzt am 1. April 2006 anlässlich der grossen Benefizveranstaltung
in Las Ventas für Rafael de Paula gesehen. Zu diesem denkwürdigen Ereignis war
ich mit meinem inzwischen verstorbenen Freund Uli (Anmerkung von SfA: Gründer der bekannten Seite La Tauromaquia, welches über Jahre lang das wichtigste deutschsprachige Portal in Sachen Tauromachie war), einem begeisterten
Joselito-Anhänger, nach Madrid geflogen. Was für ein aufregender Tag! Um Las Ventas herum vibrierte das
taurinische Leben. Uli und ich wurden vom Team der Fernsehsendung Tendido Cero
interviewt, als wir das Szene-Lokal "Puerta Grande" aufsuchten. Deutsche aficionados galten damals noch
als exotische Minderheit. Im
Publikum befand sich auch Adrian Brody, der in einem Film mit Penelope Cruz den torero Manolete darstellte. Soweit
ich weiss, hat es der Film nicht einmal
in spanische, geschweige
denn in deutsche Kinos geschafft.
Morante de la Puebla und Joselito |
Nun also ging ich wieder auf die Reise zu einem gemeinsamen
Auftritt von Joselito und Morante. Kein mano a mano diesmal! Ein dritter
Akteur, der novillero Cayetano
Ortiz stand auf dem cartel mit der Ankündigung seiner alternativa. Um es
vorwegzunehmen: Ich hatte den Eindruck, dass dessen Mitwirkung vom Publikum
quasi "in Kauf genommen" wurde, obwohl der talentierte junge torero sich ebenso mutig wie anmutig ins Zeug legte und den aficionados durchaus etwas
zu bieten hatte.
Insbesondere wegen Joselito waren die Zuschauer aus
Frankreich, Spanien und ganz Europa nach Istres angereist. Sein Auftritt mit
Morante am Sonntagnachmittag bildete den Höhepunkt dieser drei Tage dauernden feria die in der Zeitschrift AplausoS vom 16. Juni 2014 als "una feria
con magia" betitelt wurde. Der Zauber dieses Nachmittags stellte sich zeitverzögert
ein.
Er begann mit Regen und einem Stier, der wegen eines
defekten Horns ausgewechselt werden musste. Das dauerte länger und stellte Geduld und Können des
Novizen Gayetano Ortiz auf die Probe, bevor er Gelegenheit bekam, seine Talente
zu zeigen. Er erwarb sich mit seinem ersten Sier eine Trophäe, ein oreja.
Wäre Morante mit dem Degen sicherer gewesen, hätte er bei seinem zweiten Stier
durchaus eine weitere Trophäe erhalten. Man kennt das schon! Wir Morantistas
leiden immer wieder mit unserem "Genio-Torero" über diese Einbussen,
sind aber dennoch in der Lage, uns
an den unnachahmlichen einzelnen
Details zu erfreuen. Sein
persönlicher Stil vermittelt uns barocke Sinnlichkeit in der Weichheit der
Bewegungen, neben introvertierter
Melancholie zeigt sich dionysische Lebensfreude! Er führt den Stier in symbiotisch anmutender, liebevoll-zärtlicher Nähe an seinen Körper und überlässt dabei seinen inneren seelischen
Raum dem duende. "Se torea como se es!" (Belmonte)
Dieser Nachmittag aber gehörte Joselito! Wir genossen seinen
einzigartigen und einmalig gebliebenen
Auftritt in Istres. In reifer Gelassenheit und Ausgeglichenheit
beherrscht er den Stier. Selbstsicher, mit ruhiger Eleganz und natürlicher
Autorität scheint er aus einem intellektuellen Potential Inspiration zu
schöpfen, Kreativität aus sublimierter Energie. Auch sein überzeugendes Können
löst Fantasien zu Künstlern auf anderen Gebieten aus. Ich verglich
Joselito mit Martha Argerich, der grossen Pianistin,
die bei höchster technischer Meisterschaft mit mentaler Überlegenheit und Reflektiertheit ihr Publikum
fasziniert und begeistert.
Während ich noch dabei war, mir vorzustellen, welche -
klassische - Musik Joselitos Stil gerecht würde (eine Klavier-Partita oder
eine Cello-Suite von J.S.Bach?), überraschten bei seiner ersten faena die Musiker der plaza von Istres das Publikum mit Edith Piafs
"Hymne an die Liebe". - Sentiment, Sentimentaliät, Emotion! Gebannte
Stille, nicht wenige Zuschauer schienen zu Tränen gerührt. Auch für die Arbeit mit seinem zweiten
Stier hatten sich die Musiker etwas Besonderes einfallen lassen: El Concierto de Aranjuez, das in
Südfrankreichs Plazas de Toros gerne gespielt wird, so zum Beispiel vor einigen Jahren
in Nîmes während einer grandiosen faena von Morante. (Ich allerdings, könnte
ich etwas in der Welt der Stiere "bestimmen", würde mir den Traum
erfüllen, Morantes faenas mit der Musik von Franz Schubert zu unterlegen.)
Die digitale taurinische Presse (mundotoro und burladero)
titelte "Joselito desata la
locura, cuatro orejas y rabo. Brillante reaparición" (Joselito entfacht den Wahnsinn. Brillante Rückkehr) und fuhr fort:
"Joselito vuelve - y se queda?" (im Sinne von: Joselito kehrt zurück
- wird er bleiben?)
Fünf Trophäen - der Künstler und sein Publikum gleichermassen
dankbar und glücklich. Dos orejas und dos orejas y rabo sorgten für die puerta grande. Wer gehofft hatte, dass dieser grandiose Erfolg Joselito zu weiteren Auftritten
motivieren würde, sah sich enttäuscht. Joselito ist sich treu geblieben. Es
gibt kein "Come-Back"!
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Ich wäre im Gefängnis oder tot, SfA Reportage vom 23. Mai 2012