Sonntag, 15. Mai 2016

War der König wirklich so königlich?





von Philip de Málaga


Madrid: Roca Rey öffnet die puerta grande
______________________________________________________________

Keine Frage, es war eine tarde de toros inolvidable. Unvergesslich. Ein königlicher Tod am Nachmittag in Las Ventas von Madrid. Zum einen, weil das spanische Königshaus mit Don Juan Carlos und Prinzessin Doña Elena präsent war, und auch weil sich die 23.798 Zuschauer fassende plaza de toros komplett hasta la bandera füllte. No hay billetes in der capital del toreo! Ein gutes Fundament für eine corrida buena, die Stimmung war gut, und das Publikum in den tendidos erwartete voller Freude die beide figuras importantes Sebastián Castella (triunfador von San Isidro 2015) und Alejandro Talavante, welche die alternativa des jungen matadores de toros Roca Rey in der spanischen Hauptstadt mit ein confirmación bestätigen sollten und es auch taten.
Die matadores de toros Sebastián Castella, Alejandro Talavante und Roca Rey.
Noch etwas fällt einem zu diesem cartel ein. Es zeigt auf, wie international die tauromaquia ist. Bei der confirmación war der padrino ein Franzose, der testigo ein Spanier und der Neuling kam aus Peru. Das festejo taurino konnte beginnen und viele waren von dem Ergebnis, dem Erlebten begeistert. Sei es die spanische Fachpresse, zahlreiche Medien und auch den deutschen aficionados schien es zu gefallen. War es wirklich so? Haben alle es so gesehen? Werfen wir einen Blick auf das Geschehene.
Königlicher Besuch in Las Ventas: Don Juan Carlos und Doña Elena
Und was bekam das Publikum zu sehen. Zunächst einmal eine ovación für die confirmación und dann folgten drei silencios. Ein Grund zur emotionalen Welle? Wohl kaum. Gut, kann passieren, wenn die anderen noch verbliebenen zwei toros mehr zulassen und die toreros dementsprechend agieren. Nun die toros waren schwierig, machten die lidia nicht gerade einfach. Doch die Erfahrung des "hombres" Alejandro Talavante brachte die erste emoción in die tendidos und belohnt ihn mit einem oreja. Der tarde war gerettet, wenigstens etwas, aber es sollte noch besser werden.


Und wie bei einer jeden corrida, stets hofft das Publikum auf den letzten toro. Und es kam, was man erwartet, erhofft hatte. So beschrieb es die spanische Tageszeitung EL MUNDO, es kam das peruanische Erdbeben. Und wieder machte es der toro dem 19-jährigen "Niño" Roca Rey nicht einfach. Doch der junge torero aus Peru stellte sich im furchtlos entgegen. Eine quite und fünf gaoneras liessen die Herzen der aficionados erfreuen. Das könnte etwas werden. Die faena begann, der brindis gehörte dem Publikum, und alle fieberten mit ihm. Und gleich zu Beginn hielten alle die Luft an, passierte der toro den Rey dermassen knapp am Rücken, man sah ihn schon zu Boden geschleudert. Ein Aufschrei in den tendidos. Der toro visierte öfters den König an (Rey heisst übersetzt König), fand ihn spannender als den engaño. Aber "El Niño" stand seinen Mann, liess sich dadurch nicht beeindrucken, nahm sein Herz in die Hand, führte die muleta, die Emotionen brodelten, und alles ganz dicht am Stier. Gänsehaut in den Rängen, so etwas bekam man in Las Ventas schon seit längerem nicht mehr zu sehen. Da riskiert ein matador alles um beim Publikum anzukommen. Wie heisst es? Jugarse la cornada, so nah am toro zu stehen, um Gefahr zu laufen, von diesem erwischt zu werden um mit einer cornada abgestraft zu werden. Se juega la vida, er spielt mit dem Leben. Puerta grande o enfermería, Triumph oder Niederlage, nur noch darum ging es. Und beim Publikum kam es an. Estocada, muerte del toro und dann stehende Ovationen auf vibrierenden Tribünen. Las Ventas droht auseinander zu brechen und der junge Mann aus Peru wird mit dos orejas und dem triumphalen Auszug durch die puerta grande belohnt.

Die Prämie für einen mutigen torero.
Beginnt so ein Traum langsam in Erfüllung zu gehen? EL MUNDO sieht hier den Mut eines Rocas und den Glauben einer figura für die Zukunft. Andere sehen es genauso. Alle scheinen sich einig zu sein. Alle? Sind es wirklich alle? Da konnte man zum Beispiel in der grössten Tageszeitung Spaniens EL PAÍS (und die kann man wirklich nicht mit der deutschen BILD vergleichen) folgendes lesen:


Weiter heisst es: 
Die dos orejas mit denen der junge Roca Rey ausgezeichnet worden ist, sind absolut übertrieben, typisch für diese Epoche der unbegrenzten Grosszügigkeit, wenn ein torero einem schwierigen toro einige Manöver abverlangen kann. Der torero aus Peru ist übermutig, der in der Lage ist, sich harmlos einer cornada entgegenzustellen und dieses in die tendidos überträgt; aber torear, so wie man es sagt torear de verdad, ist ihm eigentlich bis jetzt noch nicht so richtig gelungen. Er weiss sehr wohl seine technischen und artistischen Mängel durch auffälligen Wagemut zu ersetzen, von dem Moment an wo der toro kommt bis hin zum arrastre. Und darin liegt sein Leistung. Natürlich, aber sicher. Jedoch von diesem Punkt an bis zur puerta grande, das ist noch ein langer Weg.
Der Autor kritisiert aber nicht nur Roca Rey sondern die corrida in ihrer Gesamtheit, toros, toreros  wie die empresa sich ein wenig lächerlich präsentierten. Dem Betrachter wurde einfach nur etwas vorgespielt, was es nicht sei. Wo figuras antreten, da könne man auch etwas erwarten, bzw. müssen die Verantwortlichen auch etwas bieten. Und nicht nur Show. 

Andere Medien hielten sich da etwas zurück. In EL MUNDO deuten sie lediglich an, dass das zweite oreja wohl ein wenig übertrieben gewesen sei. Auch die grösste Mediengruppe Vocento mit ihren grossen Tageszeitungen ABC oder DiarioSur (Málaga) verhält sich ebenfalls neutral, fragt aber an, wo denn bei so vielem peruanischem Erfolg der ebenfalls aus Peru stammende Nobelpreisträger der Literatur und aficionado de torosMario Vargas Llosa denn gewesen sei? Denn schliesslich sei er nicht nur ein grosser Befürworter sondern auch ein aktiver Verteidiger der fiesta nacional.
Er wurde vermisst: Der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa
Und mit der Verteidigung der toros sind wir beim letzten Punkt. In einem Kommentar im Internetportal Aplausos konnte man dazu folgendes lesen:
Solange es den toro bravo und Männer wie Talavante und Roca Rey gibt, weder alle antitaurinos der Welt, weder die Politiker antitaurinos, noch überhaupt jemand könnte diese fiesta verbieten, denn so gross und wahrhaftig wie sie, gibt es keine andere.
Wie man es auch immer sehen mag, es war ein grosser tarde de toros, der zahlreichen aficionados viel Freude bereitet hatte. Aber deswegen sollten wir uns hüten, voller Blindheit zu beginnen, die fiesta de los toros zu einseitig zu sehen, sie mit falschen oder ungerechtfertigten Emotionen hoch zu jubeln, aber genauso sollte man sich an einer corrida erfreuen können, wo einfach nur der bewundernswerte Mut eines jungen Mannes die Gemüter in den tendidos erhitzen konnte. Die fiesta hat eben viele Facetten, und auch an so vielen wie möglich sollten wir unsere Freude haben können.