Sind antitaurinos bessere Menschen?
Das ein Meinungsaustausch in Sachen Stierkampf keine einfache Angelegenheit ist, dürfte allen Lesern bekannt sein. Jedoch sollte bei einem Dialog stets das Wissen des Andersdenkenden an eine verständliche Oberfläche gebracht werden und auch an dem nötigen Respekt jener Person gegenüber darf es nicht fehlen. Aber gerade bei der tauromaquia entwickeln sich solche verbalen Konflikte in emotionale Dialoge, geradezu zu einem antitaurinischem Drama.
So ist es wohl Caroline Waggershauser ergangen, als sie Ende September zu den 150 Demonstranten (siehe Barcelona: Zwischen Polemik und Afición) in der katalanischen Metropole gehörte. Ich bezeichnete dieses als “Antitaurinisches Spiessrutenlaufen”. In einem bei SOS-Galgos erschienen Erfahrungsbericht bezeichnete sie ihre Gruppe als “eine handvoll Verrückter” und beobachtete das Geschehen: “Im Festgewand schritten die Taurinos mit teils mitleidigem, teils höhnischen Blick an uns vorbei…” Und weiter ist zu lesen: “Man schoss sogar Erinnerungsfotos von uns. Einige der “Unseren” preschten vor und beschimpften sie. Sie ernteten nur fröhliches Gelächter. Das Herz tat mir weh. Obendrein sind wir für die nur so etwas wie eine Kirmesattraktion.” Wir? Auch darauf hat sie eine Antwort: “Pensionäre, sehr viele einfache Hausfrauen, ein paar Hippies und Punkies”. Ein armseliges Häuflein nennt sie es. Aber, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Doch das Echo war niederschmetternd. Denn die Reaktionen der afición arteten nicht in wüsten Beschimpfungen aus, nein der Schmach sass viel tiefer, denn die antitaurinos ernteten nur fröhliches Gelächter. Und wenn man diese Zeilen so zur Kenntnis nimmt, stellt sich in der Tat ein sentimentales Gefühl von Mitempfindung ein. Das haben sie nicht verdient! Nein wirklich nicht.
Doch dann wird Tacheles geredet, dem tief sitzendem emotionalen Frust Freiraum geschaffen: “Wir kochen verständlicherweise innerlich, würden uns diesen Taurinos am liebsten mit Krallen entgegenwerfen, haben die dunkelsten Vorstellungen von dem, was wir gerne mal in einem dunklen Verlies mit einem Torero anstellen würden.” Das klingt ja nun schon ganz anders, und so gar nicht nett. Die wenigen Sympathiepunkte sind reduziert. Aber schnell erkennt auch sie “so etwas darf niemals nach aussen dringen. Wir müssen immer die Contenance bewahren.” Antitaurinisches Fingerspitzengefühl? Ist ja grundsätzlich nichts dagegen zu sagen und fördert gewiss einen jeden Dialog bis diese tierschutzgerechte Diplomatie doch etwas mehr in verbalen Urteilen sich äussert und nun auch das spanische Volk sein Fett abbekommt: “Der Spanier ist ignorant, desinteressiert und unengagiert, der glücklich ist, wenn er sein Gläschen Wein in der Hand hat und seine Stiere am Sonntagnachmittag. Er ist nicht kritisch, er hinterfragt nicht.” Eine erstaunliche Feststellung für jemand, der in Spanien lebt.
Und schliesslich bringt es die Autorin auf den Punkt: “Wir müssen denen und aller Welt zeigen, dass wir die besseren Menschen sind.” Aha, denkt man sich, wenn man sich für die abolición de la tauromaquia einsetzt wird man ein besserer Mensch? Reicht der Einsatz, oder findet jene menschliche Aufwertung erst mit der endgültigen Abschaffung von Stierkämpfen statt? Überhaupt, wer sind eigentlich die besseren Menschen? Vegetarier oder Veganer, Frauen oder Männer, Christen, Moslems oder Ungläubige, Gebildete, Sportler oder was weiss ich … wer in solchen Kategorien denkt, ist weit entfernt von einem jeglichen Dialog zum wahren Meinungsaustausch.
Zum Schluss noch ein Zitat von Nietzsche, welches in dieser knappen Form auch auf die tauromaquía zutreffen könnte: “Bessere Menschen! — Man sagt mir, unsere Kunst wende sich an die gierigen, unersättlichen, ungebändigten, verekelten, zerquälten Menschen der Gegenwart und zeige ihnen ein Bild von Seligkeit, Höhe und Entweltlichung neben dem Bilde ihrer Wüstheit.”
Quellennachweise: SOS Galgos vom 07.10.2009: "Im Festgewand ins Schlachthaus"
Friedrich Nietzsche, 1873, Morgenröte, Buch 3, Seite 149