Im Gegensatz zu den antitoristas haben zahlreiche matadores
vielen Stieren das Leben geschenkt.
__________________________________________________________________
von Colin Ernst
Das größte Glück für einen
torero ist es, einen
toro zu begnadigen. Das heißt, der Stier verlässt die
plaza de toros nach der
corrida lebend und kehrt, zur Freude seines Züchters, auf seine heimischen Weiden zurück. Im Fachjargon ist dieses Tier nun ein
indultado. Der
toro hat seine Tapferkeit, sein Durchhaltevermögen und seine Kampfeslust unter Beweiss gestellt. Wer sich näher mit Stieren befasst, weiß um ihre Gefährlichkeit. Er ist gut bewaffnet, mit seinen spitzen Hörnern und er weiss sie zu gebrauchen. Schon auf der
finca hat er sie benutzt, um seine Ranghöhe in der Herde von Jungstieren zu sichern. Nicht selten findet der Züchter morgens einen verletzten oder verblutenden Stier vor, der sich bei den nächtlichen
peleas, eine tötliche Hornwunde,
cornada, zuzog.
Die Hörner dienen nicht nur zum Kampf oder Verteidigung, mit ihnen kann er sich auch hervorragend das Fell kratzen oder Erde aufwühlen. Das Horn ist keine tote Materie, im Inneren befinden sich Blutbahnen und Nerven, dadurch kann er mit dem Horn fühlen. Führt man sich all dies vor Augen, addiert noch 500 bis 600 Kilo Kampfgewicht hinzu, erkennt man, das der
torero einem handfesten Gegner, in der Arena , gegenüber steht. Was ist nun gefährlicher? Das 70 Kilo schwere Männchen, eben der
torero, bewaffnet mit einem roten Tuch, das von einer Holzleiste (
palillo) gehalten wird und einem Trainingsdegen aus Holz oder Aluminium, welcher keineswegs zum Töten geeignet ist...? Der Degen aus Stahl, kommt nur im Moment der
estocada zum Einsatz. Oder was ist mit dem flinken Kerlchen, das ihm mit zwei angespitzten Holzstöckchen gegenübertritt und dessen Überleben nur von seinem Geschick und seiner Schnelligkeit abhängt... Auch mit dem
picador und seinem Pferd würde der Stier schnell fertig, wenn letzteres nicht durch den
peto geschützt wäre. Den Reiter würde der Stier gleich mit erledigen, denn mit seinem rechten Bein in einem Eisenschuh, ist er nicht grade beweglich. Wie kann es also sein, das ein paar Männer, mit nicht grade tauglichen Waffen, mit diesen gut bestückten 600 Kilo Tier, welches eine Antrittsgeschwindigkeit von ca. dreissig Stundenkilometer hat, fertig werden?
|
Der matador de toros Enrique Ponce begnadigt einen toro
der Zucht Juan Pedro Domecq
(Foto: mundotoro) |
Der
toro hat, auf Grund der, seitlich am Kopf stehenden Augen, einen beschränkten Blickwinkel. Dies hat der
torero gelernt zu nutzen. Mit dem Tuch, dessen äußerer Zipfel vor dem äußeren Auge des Tieres, bewegt wird, gaukelt man ihm den Gegner vor. Eine falsche Bewegung mit der
muleta entscheidet über Leben und Tod. Die Kunst, die sich daraus ergibt, das der
torero mit dem
toro einen wahrhaften Tanz vollführt, sieht man nicht immer. Denn ein Stier lernt schnell. Besonders die
Miura-Stiere sind deswegen gefürchtet. Sie scheinen recht schnell zu merken, das hinter dem Tuch kein fester Gegner steht und beginnen ihn mit den Hörnern regelrecht zu suchen. Grade bei
novilladas landen die noch unerfahrenen, jungen
toreros oft mit einer
cornada im Krankenhaus. Aber auch erfahrene
matadores werden oft schwerst verletzt, wie letztlich
El Juli, oder
El Nico.
Wie zu Anfang erwähnt, ist ein
indulto für den Züchter, sowie für den
torero das höchste Ziel. Es ist die Kunst des
toreros den Stier an sich zu binden, ihm durchweg vorzugaukeln, das dieser Tuchzipfel sein Wunschziel ist. Er muss ihn aus seiner
querencia, seinem bevorzugten Platz in im
ruedo herauslocken und ihn dann mit den schönsten
pases präsentieren. Wer schon mehrmals
corrida gesehen hat, hatte vielleicht das Glück, einen guten
torero mit einem guten
toro verschmelzen zu sehen, das Ganze unter den Klängen eines
paso doble. Ein harmonisches Schauspiel unter dem Aspekt seiner Gefährlichkeit. Der Zuschauer hält den Atem an, fasziniert ergibt er sich dem "
duende", mitunter reißt es ihn von seinem Sitz, unbemerkt hat sich ein "
Olé" aus seiner Kehle geschlichen - ein Schauspiel, von dem man nicht möchte das es zu Ende geht. Das Publikum fordert die Begnadigung - Zuschauer, Züchter und
torero halten den Atem an, alle Augen sind auf den Präsidenten gerichtet man wartet auf das orangene Tuch, mit welchen dies gewährt wird. Für den
matador ist dies zugleich der gefährlichste Moment. Mit der
muleta in der linken Hand, dirigiert er den Stier in die gleiche Stellung, wie sonst im letzten Akt. In der rechten Hand hat er keinen Degen, sondern er wird dem Stier, unbewaffnet wie er nun ist, in der gleichen Art wie er sonst den Degenstoß ausführt, mit der bloßen Hand die Stelle berühren, wo sonst der Degen eindringt. Zwischen den Hörnern durch, in die Mitte der Schulterblätter. Der Degenstoß im letzten Akt, ist schon oft Grund für den Aufenthalt des
toreros in der
enfermería gewesen... Der Jubel in der
plaza bei solchen, seltenen Schauspielen, wo die
faena exzellent, der Stier einen überdurchschnittlichen Kampf geliefert hat, ist unbeschreiblich. Die Freude des Publikums, des
ganaderos und des
toreros mit seiner
cuadrilla, ist fühlbar, die
plaza de toros vibriert. Der Name des
toros geht in die Geschichte ein, angesichts seinen Nachkommen wird man sich seiner erinnern, an den gloreichen Tag, an dem er die höchste Prüfung, die Mensch und Tier miteinander bestreiten können, mit Bravur bestanden hat.
____________________________________________________________
Anmerkung von SfA:
Das
indulto ist ebenfalls im
reglamento taurino, also dem Regelwerk für Stierkämpfe, festgelegt. Dieses sollte nur dann gewährt werden, wenn der
toro allen Manövern ohne zu zögern gefolgt ist und der
matador wie auch der
ganadero bzw. der verantwortliche
mayoral einem
indulto zustimmen.