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von Dr. Andreas Krumbein
Ein besonderer Wert, den eine Vielzahl der Meldungen bei SfA
für mich hat, ist die hohe Aktualität der Informationen sowie die Tatsache, dass
sie Ereignisse, Entwicklungen und Aspekte zum Inhalt haben, die für mich von
hohem Interesse sind oder meinen Wissens- oder Erkenntnishorizont erweitern.
Manche Nachricht hätte mich ansonsten nicht oder stark verspätet erreicht, und das Verdienst, diesen Zustand zu mildern, liegt in hohem
Masse bei Philip de Málaga.
Viele Details und Ansichten in den Ausführungen und Angaben
sind dabei nicht in meinem Sinne, vieles sehe und verstehe ich völlig anders, und
gerade solche Situationen sind für mich Anlass, bestimmte Überzeugungen und ein
bestimmtes Verständnis auf meiner Seite zu überprüfen und zu versuchen, mein
Verständnis prägnant in Worte zu fassen, auch wenn es mir häufig nur
unzulänglich gelingt.
Ohne die Meldungen bei SfA hätte ich den Artikel mit dem
Titel „El
Toro de la Vega – Blutiger Tag auf der Wiese“ von Leo Wieland, der am 15.09.2014
in der Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) erschienen ist, bisher nicht
gelesen. Der Inhalt dieses Artikels hat mich einerseits veranlasst, den Aufsatz
„Eine
Lanze für den Toro de la Vega“ zu schreiben und zu veröffentlichen.
Andererseits hatte ich das Bedürfnis, der F.A.Z. meine Bewertung des Inhalts
dieses Artikels in Form eines Leserbriefes zukommen zu lassen.
Fast immer, – Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen. – wenn in
deutschsprachigen Medien über die Stiere, seien es die corridas de toros oder die
volkstümlichen „Stierspiele“ berichtet wird, ist der Inhalt der Artikel
gekennzeichnet von Unkenntnis, fehlerhaften Details, vorgefasster Meinung und
mangelhafter Recherche. Das mag für jemanden, der nicht aus einem Land mit
Stierkampf-Hintergrund stammt, in der Natur der Dinge liegen. Für einen
Journalisten, der für eine renommierte, überregionale Tageszeitung schreibt,
gelten allerdings höhere Ansprüche. Dass häufig ganz offen oder hintergründig,
sei es mit Absicht oder unbewusst, Elemente des Versuchs der Manipulation des
Lesers in solche Artikel einfließen, kommt verschärfend hinzu. In dem hier
erwähnten Artikel erkenne ich eine Reihe der aufgezählten Elemente.
Es ist wichtig und notwendig, dass sich auch die deutschsprachigen aficionados in ihrer Medienlandschaft mit ihren Ansichten und ihrer Kritik zu
Wort melden. Das darf nicht nur über Online-Diskussionen erfolgen. Ich möchte
meine Bewertung des besagten Artikels der SfA-Leserschaft zur Kenntnis bringen:
El
Toro de la Vega – Blutiger Tag auf der Wiese, vom 15.09.2014
Leo
Wieland publizierte unlängst in der Rubrik „Gesellschaft“ der F.A.Z. den oben
genannten Artikel. So gelungen die Berichterstattungen und Analysen Herrn Wielands
als politischem Korrespondenten der F.A.Z. für die Iberische Halbinsel im
Hinblick auf die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in
Spanien, deren Verflechtungen im Hintergrund und deren Einordnung in die
gesamtgesellschaftliche Situation des Landes sind, so mangelhaft sind
gelegentlich seine Beiträge, die sich mit sozio-kulturellen und
gesellschaftspolitischen Aspekten in Spanien befassen. In dieser Hinsicht
stechen immer mal wieder Beiträge zum Spanischen Stierkampf und insbesondere
der oben genannte Artikel hervor.
Seit
vielen Jahren wird in Spanien über Aufrechterhaltung oder Abschaffung der in
weiten Teilen des Landes verbreiteten Stierspiele, von denen die corridas de toros eine besonders entwickelte Variante ist, gestritten. Was im Deutschen als
„Stierkampf“ bezeichnet wird, wird von einem großen Teil der spanischen
Bevölkerung lediglich „los toros“ genannt: die Stiere. „Ich gehe zu den Stieren“,
nicht: „Ich gehe zur corrida.“ Dass „die Stiere“ eine besondere Bedeutung für
Spanien, seine Entwicklung, auch als Nation, die Entwicklung seiner
Gesellschaft und der Mentalität der Bevölkerung haben, äussert sich u.a. in
einer Vielzahl von Begrifflichkeiten und Ausdrücken, die aus allem, was mit dem
Stierkampf zu tun hat, in die Umgangssprache übergegangen sind. Folgt man Äusserungen
des liberalen, spanischen Philosophen José Ortega y Gasset, wie: „Die Geschichte der Stierkämpfe enthüllt einige der
hintergründigsten Geheimnisse des spanischen Volkslebens seit fast drei
Jahrhunderten. Und es geht dabei nicht um schwammige Bewertungen, sondern
darum, dass man sonst die eigentümliche gesellschaftliche Struktur unseres
Volkes während dieser Jahrhunderte nicht mit Schärfe zu bestimmen vermag, eine
gesellschaftliche Struktur, die hinsichtlich sehr wichtiger Regeln dem Normalen
in den anderen Nationen in Europa genau entgegengesetzt ist.“ oder: „Die
Geschichte des Stierkampfes ist mit derjenigen Spaniens verknüpft, so sehr,
dass ohne die erste zu kennen, es sich als unmöglich erweist die zweite zu
begreifen.“, müssen sich Fragen auftun, wie:
Was bedeutet das rituelle Töten von Stieren, vielleicht sogar allgemeiner: von
Tieren, dem Spanier? Was hat es ihm früher bedeutet und was bedeutet es heute?
Was bedeutet eine Veränderung der Wichtigkeit und Akzeptanz dieser Riten für
die spanische Gesellschaft? In welchen Gesellschaftsschichten spielen sich
diese Veränderungen ab und warum? Wie ist die Auswirkung dieser Veränderungen
auf diejenigen Schichten, in denen sie nicht stattfinden? Wie stark sind
Einflüsse politischer Parteien, Akteure und Strömungen auf diese Veränderungen,
in welche Richtung gehen sie, welche möglichen Ziele sind damit verbunden, wem
nutzen und wem schaden sie?
Anstatt
einzuflechten, wie die Kinder von Papst Alexander VI. hiessen, sollte erläutert werden, was genau
„Freunden des regulären Stierkampfes“ beim Töten des Toro de la Vega „inzwischen peinlich“ ist und was damit eigentlich gemeint ist. Es ist ein
Missverständnis zu schreiben, das Erstechen des Stieres sei „unzeremoniell“
oder habe „so gar nichts nobles, elegantes, tapferes, sportliches oder
kulturelles“. Es ist nicht ausreichend, sich auf „Die Männer (…) erwarten ohne rotes Tuch den fast 600
Kilogramm schweren Kampfstier auf einer Wiese hinter der Brücke. Wer ihn
erlegt, hat das Recht, ihm die Hoden abzuschneiden und sie auf seiner Lanze zu
paradieren.“ zu beschränken. Das ist doch nicht alles. Was genau machen die
denn da? Und warum tun die das? Was hat es für sie für eine Bedeutung? Warum
tun die das auch heute noch?
Sind
die Spanier besonders grausam zu Tieren? Auf diese Frage des Online-Dienstes
„El Confidencial Digital“ wird die Antwort eben dieses Online-Dienstes „60.000
Tiere, darunter neben Stieren und Kälbern auch Pferde, Ziegen und sogar Gänse,
lassen nach seiner Hochrechnung jährlich bei spanischen Volksfesten ihr Leben.“
zitiert, ohne einen Hinweis darauf, mit wem oder womit hier implizit verglichen
wird. Im Vergleich zu welchen anderen Völkern sind die Spanier besonders
grausam zu Tieren? Oder: Welche anderen Völker sind genauso grausam zu Tieren
wie die Spanier? Stellt ein Online-Dienst solche Fragen nicht selbst, muss man
sie selber stellen. Hat „El Confidencial Digital“ es tatsächlich nicht getan,
ist es um dessen Seriosität nicht weit her, und dann gehören solche Zitate
nicht in einen Zeitungsartikel von Qualität.
Dass
im Abschluss des Artikels das rituelle Töten von bestimmten Tieren in scheinbar
direkten Zusammenhang mit der Vernachlässigung, dem Aussetzen, der Misshandlung
und dem Töten von Haustieren und Jagdhunden gebracht wird, ist ein besonderes
Ärgernis, denn beide Dinge haben nichts miteinander zu tun. Ob tatsächlich das
rituelle Töten von Tieren in einem Lebensbereich eines Volkes, nämlich bei
einer Festlichkeit, die oben genannten Handlungsweisen gegenüber Tieren in ganz
anderen Lebensbereichen begünstigt oder nicht, ob ein solch möglicher
Zusammenhang untersucht wurde und welche Ergebnisse dabei gewonnen wurden und
auch, warum die Spanier die offenbar in besonders großer Zahl ausgesetzten
Hunde und Katzen überhaupt kaufen und worauf dies beruht, wäre einen eigenen,
gut recherchierten Artikel wert.
Für
einen Artikel, der sich in der Rubrik
„Gesellschaft“ befindet und nicht eine „Herzblatt-Geschichte“ erzählt, ist
diese fehlende Tiefe nicht angemessen. Dass Herr Wieland zu einer profunderen
Diskussion der Verhältnisse und einer auch bei diesem Thema differenzierten
Analyse nicht imstande wäre, hat er in vielfältiger Weise bezüglich anderer
Themen widerlegt.
Dr.
Andreas Krumbein, Göttingen
Kein meinungsbildendes oder Informationsmedium ist gegen schlechte
oder Falschdarstellung gefeit, ganz gleich wie qualitativ hochwertig, seriös
und renommiert es im Prinzip in der Gesamtheit seiner Berichterstattung und
hinsichtlich seines journalistischen Anspruches ist. Erkennt man dies als
Konsument, ist Kritik und die Forderung nach Richtigstellung wichtig und
notwendig.
In Spanien werden die Verzagtheit, die Mutlosigkeit, das
Schweigen und die Untätigkeit weiter Teile der mundo taurino gegen Angriffe auf
die Stiere zu Recht beklagt – siehe dazu „Intoxicación informativa“ von Alfonso
Santiago, in der Zeitschrift 6 toros 6, No. 1.057, 30. Sep. 2014. In Spanien können und müssen
wohl die spanischen aficionados und die mundo taurino selbst die Verteidigung
der Stiere tragen und verantworten, ebenso das Scheitern in Falle des
Unterlassens. Im deutschsprachigen Raum können dies nur die deutschsprachigen aficionados. Und: sie müssen es tun.
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Siehe auch:
Stirbt der Stier? von Philip de Málaga, Andalusienforum, 30. 6. 2007: Wie sich selbst erfahrene deutsche Journalisten schwer tun mit der Thematik des Stierkampfs. Hier am Beispiel eines Artikels in der FAZ vom 26. Juni 2007 des Journalisten Leo Wieland.