Dienstag, 19. Juli 2016

Die Nacht von Lissabon: Diego El Cigala & Morante de la Puebla (1.Teil)

José Antonio Morante de la Puebla am 30. Juni 2016
Flamenco trifft auf die Welt der Stiere
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von Torodora Gorges

Das Versprechen des portugiesischen carteles für Lissabon wurde erfüllt! Es war tatsächlich ein sensationalles taurinisches Ereignis, ein sehr unterhaltsames großartiges Spektakel. 

Meine Zweifel währten lange: Fahre ich zu dieser corrida goyesca nach Lissabon oder nicht? Von Morante de la Pueblas Plan zu einer "encerrona" in der dortigen plaza  hatte ich im Februar gehört.  Um den Jahreswechsel hatte ich einige Tage im winterlichen Lissabon verbracht und auch das Museum der  plaza "Campo Pequeno"  besucht.  Im Winter kündigten die Plakate gerade das Musical "Mamma Mía" an. 

Das Gebäude, 1892 im Neo-Mudejar-Stil nach dem Vorbild der Madrider Plaza von Las Ventas erbaut, wurde 2006 total renoviert, überdacht und als multifunktionale Veranstaltungshalle ausgestattet.

Als dann im Frühjahr das Gerücht bestätigt wurde, dass der grandiose Flamencosänger Diego El Cigala die ungewöhnliche corrida goyesca Morantes - eine encerrona mit vier Stieren - musikalisch begleiten würde - stand fest:  Das wollte ich mir nicht entgehen lassen.
Der Flamencosänger und der Matador de toros
Natürlich hatte ich Bedenken gegenüber dieser Version des portugiesichen Stierkampfs: keine picadores, der Tod des Stieres außerhalb der Arena (SfA hat vor einigen Wochen darüber berichtet, dass das Leiden des Stiers prolongiert wird.) Der Todesstoss wird symbolisch mit dem Setzen einer banderilla angedeutet, der Stier anschliessend von einer Herde munterer, kräftiger Ochsen "rauskomplimentiert".

Dass das Publikum infolgedessen auch keine Trophäen von diesem Stier einfordern kann, ging mir auf, als ich eines meiner alten, schön bestickten pañuelos blancos auf die Reise nach Lissabon mitnehmen wollte. Nada, wird nicht gebraucht. Die Auszeichnung für den Akteur besteht in vueltas al ruedo.
Corridas nocturnas werden in Spanien während der Hochsaison in großen plazas regelmässig durchgeführt. Ich hatte den damals 19 Jahre jungen Morante zum ersten Mal während einer nächtlichen corrida in El Puerto Santa Maria gesehen. Unter einem nächtlichen Sternenhimmel bei hochsommerlichen Temperaturen war das ein unvergesslich festliches Ereignis, von dem ich in meinem Buch erzählt habe.

Nun war ich neugierig auf die im cartel versprochene sensationelle corrida goyesca  für die in den Internetportalen viel geworben wurde. Morante hatte sich in einem Interview zu den persönlichen Motiven  seines Auftritts in Lissabon geäussert: Es gehe ihm um die "reivindicación del toreo a pie" - was in etwa die "Rückgewinnung des Stierkampfs zu Fuss" heißt. Er wolle dessen Anhänger in Lissabon im Hinblick auf das ansonsten in Portugal bevorzugte "Reitertoreo" - Rejoneo unterstützen. Er verspricht den vermutlich von weither anreisenden aficionado/as durch die goyeske Ausstattung, die in Lissabon keine Tradition habe,  eine besondere Attraktion.

Joselito El Gallo (1915)
Aus den zunächst für seine encerrona in Aussicht gestellten 6 toros 6 wurden im cartel schliesslich nur vier Stiere (der  ganadería Zalduendo, s.o.). Morante meint dazu, dass Joselito el Gallo im Jahre 1915 in Lissabon ebenfalls gegen vier Stiere angetreten ist. Er bezieht sich gerne auf historische Vorbilder und würdigt sie damit. 

Meinen Flug nach und das Hotel in Lissabon hatte ich übers Internet gebucht. Schliesslich verwarf ich den Gedanken, die Eintrittskarte erst an der Abendkasse zu kaufen;  ich erstand problemlos  ein  elektronisches Ticket an meinem PC: Banc.-Sec.1 -  Contra-Barrera, 75 €. Ich dachte an meine früheren  Reisen zu "taurinischen Zielen" - Barcelona, Madrid, Valencia, oder gar Sevilla! Wie schwer war es für  aficionados ausserhalb Spaniens, sich entradas zu sichern und das auch noch zu einem halbwegs angemessenen Preis. (Manchmal war die reventa die einzige Möglichkeit, an Karten zu kommen. Aber das ist ein anderes Thema).

Der Tag vor dem Auftritt von Morante mit El Cigala war sommerlich, ziemlich sonnig und heiss. Im Laufe des späten Nachmittags nahm der Wind zu, gegen Abend zogen Wolken auf, es kühlte ab. Aber - bei einer überdachten Plaza braucht man sich wegen des Wetters keine Sorgen zu machen. Das war wieder einer der Aspekte, in denen sich diese besondere corrida von den allermeisten tardes oder auch noches de toros, die ich in Spanien oder Frankreich  besucht hatte, unterschied. -

Um möglichst viel von der erwartungsvollen Stimmung im Umkreis der Plaza mitzubekommen, war ich entsprechend früh von meinem Hotel aufgebrochen. In der Hotellobby hatte ein kleines Plakat dezent auf die corrida hingewiesen. Immerhin hatte man Notiz genommen.  In den Strassen der Stadt aber fand ich keinerlei Hinweise auf das Auftreten der beiden spanischen Künstler. Auch in zwei regionalen Tageszeitungen, die ich am Vormittag durchgesehen hatte, fehlten entsprechende Beiträge. Seltsam!

Irritierend auch, dass ausser mir augenscheinlich kein anderer die Plaza zum Ziel hatte, als ich aus  der Metro-Station Campo Pequeno nach oben stieg! Als hätte ich mich im Datum geirrt! Immerhin aber schien schon eine stattliche Menschenmenge neben dem Gebäude, von dessen Rund die riesigen carteles mit den Fotos von Morante und Cigala leuchteten, versammelt zu sein!! 

Allerdings: Die gespannt-erregte Aufmerksamkeit dieser Menschen galt nicht den toros, sondern dem Fussballspiel Portugal/Polen (wie konnte ich es nur vergessen haben!),  übertragen auf einem riesigen Monitor. "König Fußball" - in diesem Fall verkörpert durch Ronaldo - beherrschte den Campo Pequeno. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass der fussballbegeisterte Morante während seiner Vorbereitungszeremonie im Hotel vermutlich ebenfalls das Spiel hin und wieder verfolgte.
In der Nähe des Haupteingangs zog ein kleines zirkus-ähnliches Zelt, das Morantes Tour in diesem Jahr begleitet,  Besucher an. Für Uneingeweihte schwer zu verstehen die Bedeutung des Hinweises "El Arte de Birlibirloque". Bezug genommen hat Morante mit dieser Kampagne auf den grossen Poeten José Bergamín (aus der Generación del 27, der auch Federico Garcia Lorca zugehörte). Es ging auch um die in kostbarer Ausstattung erfolgte Neuauflage eines Buches von Bergamín, für das Morante selbst ein Vorwort geschrieben hat.  - Allerdings erschloss sich mir der Zusammenhang zwischen der "Aussage" des Zelts und der bevorstehenden Veranstaltung nicht so recht.
José Bergamín Gutiérrez (1895 - 1983)
Ich umrundete die Plaza vergebens auf der Suche nach den sonst üblichen Verkaufsständen mit Büchern  und anderen taurinischen "Devotionalien".  Mehrere grosse Laster, zu erkennen als Pferde-Transporter der Nationalgarde Portugals standen hinter der Plaza  neben den sonstigen Fahrzeugen. Neugierigen Touristen oder auf die toreros wartenden aficionados begegnete ich hier nicht. Die Tapas-Bars und Restaurants im Eingangsbereich der Plaza waren gut besucht von Gruppen, die eindeutig als aficionados a los toros zu identifizieren waren. Doch auch hier verzichtete man nicht auf die Fußballübertragung.  

Wegen der  merklich abgekühlten Temperatur  zog ich mich ins Innere einer der Bars zurück und  beobachtete bei einem Sandwich und einem Glas Rotwein, was sich vor mir - hinter einer  Sichtscheibe - in dem breiten Zugangstunnel abspielte. Ab halbzehn sollte Einlass sein. Security-Leute waren zu erkennen, hatten die Eingänge im Blick; vereinzelt oder in kleineren Gruppen trafen Helfer ein, areneros, und andere Angestellte, immer noch kein Publikum. Mein Nachbar an der Theke, ein junger "Morantista" aus Cádiz, mit dem ich mich unterhalten hatte, wurde unruhig. Wir verliessen  die Bar - inzwischen war das Fußballspiel in der Verlängerung -  gegen 22 Uhr. Draussen war es jetzt dunkel. 

Der Einlass war inzwischen eröffnet, man wartete in längeren Schlangen, Handys und Smartphones in Aktion. Unruhe und Aufregung lagen in der Luft. Sie aber waren nicht so sehr der Vorfreude auf das taurinische "event", sondern dem immer noch ungeklärten Spielstand geschuldet. Ich traf im Gewimmel auf meinen Maler-Freund Diego Ramos, der mit seinem neunjährigen Sohn aus Südfrankreich gekommen war. Dieguito liebt die Stiere. Ich vermute, dass der verantwortungsvolle Papa, ein Freund Morantes, die Gelegenheit nutzte, seinem Kind den maestro artista in einer relativ "unblutigen" corrida vorzustellen. Von Diego habe ich ein sehr gelungenes Bild Morantes, eine Kohlezeichnung aus dem Jahr 2011. 
Als ich auf  meinem Platz ankam, realisierte ich die grelle Beleuchtung in der Plaza. Die Atmosphäre einer Turnhalle vermittelte sich, auch akustisch. Die Zuschauerränge, ausgestattet mit roten Plastiksitzen, waren nur schwach besetzt. Das spanische Ehepaar neben mir, extra wegen Morante aus Burgos angereist, wusste von einer fussball-bedingten halbstündigen Verspätung, die sich allerdings verlängerte.

Kurz vor 23 Uhr:  Finalmente! Jubelschreie über den Elfmetersieg Portugals! Die Ränge füllten sich, Erleichterung, Euphorie! Applaus! - Mit Emphase wurde die von den Bläsern der Nationalgarde intonierte portugiesische Nationalhymne gesungen. Anschliessend führten die Nationalgardisten im ruedo auf sechzehn Schimmeln dem Publikum ihre kombinierte Reiter- und Bläserkunst vor. Schliesslich und endlich konnte das Kontrastprogramm beginnen. Eintritt in die Sphäre der Kunst! Por fin!

Fortsetzung folgt.