Mittwoch, 20. Juli 2016

Die Nacht von Lissabon: Diego El Cigala & Morante de la Puebla (2.Teil)

José Antonio Morante de la Puebla am 30. Juni 2016
Der Flamenco trifft auf die Welt der Stiere
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von Torodora Gorges


José Antonio Morante de la Puebla durchschreitet den ruedo, seine cuadrilla und den sobresaliente  im Gefolge, alle in goyesker Manier gekleidet. "Mein" Künstler-Torero sieht in seiner eleganten traje - nachtblau, mit weissen Applikationen - phantastisch aus. Sein Outfit gefällt mir heute besonders gut. Mich (und wie ich später höre, auch andere seiner "Fans") überrascht seine ungewöhnliche Frisur. Er trägt die Haare weder als Mähne noch glatt gestylt, sondern in sehr vorteilhafter Weise locker "gebändigt".
Nach begeistertem Begrüssungsapplaus und den obligatorischen Verbeugungen in Richtung Präsidentenloge wendet sich Morante an Diego El Cigala, dem er seinen schwarzen Hut mit einer verbalen Widmung auf die geschmückte Musiker-Empore im Tendido-Bereich zuwirft. El Cigala bedankt sich lachend. Immer wieder imponieren mir Aussehen und Auftreten dieses Künstlers. Durch seine ungewöhnliche, auffallende Erscheinung (die langen wirr-krausen Haare, das Gesicht halb versteckt durch einen dunklen Bart) hat sich vor vielen Jahren eine Stewardess so verschrecken lassen, dass sie ihm und seiner musikalischen Entourage den Zugang zum Flieger verwehren wollte, vergeblich, wie sich denken lässt!
Den stattlich bunten paseillo der toreros begleiten die Flamencoklänge des Gitarristen. Leider geht  durch Verstärkerwirkung und Halleffekte im geschlossenen Raum viel verloren vom Zauber und Flair der Fandangos oder Burlerías. Man muss sich erst einhören, auch in die zunächst nicht so gut ausgesteuerte Übertragung von El Cigalas Stimme.
Dennoch, ich lasse mich verzaubern und geniesse das spektakuläre Zusammenspiel der beiden prominenten artistas. Schon der erste Stier ermöglicht dem maestro, das Publikum durch eine Serie von absolut perfekten verónicas mit abschliessender media zu beglücken. Ähnliches gelingt ihm auch beim dritten und vierten Stier. Die chicuelinas bei der quite des ersten Stiers lösen ebenso Begeisterung aus wie seine faena mit der muleta.
Diego El Cigala hat das Talent, Morantes inspirierte Begegnung mit dem Stier atmosphärisch-sängerisch zu akzentuieren, "ambientarle con el cante". Morante bewegt sich im vollkommenen Rhythmus mit dem Stier. 
Nach dem  simulierten Todesstoss mit einer banderilla wird der Stier von der Ochsenherde aus dem ruedo geholt. Morante lächelt glücklich, als ihm der Beifall des ebenfalls glücklichen Publikums eine vuelta al ruedo beschert. In Spanien hätten wir mit den weissen Tüchern ein oreja für ihn gefordert.

Jetzt erst wird mir bewusst, dass nicht nur die picadores (die so oft wegen ihres "grausamen" Vorgehens ausgepfiffen werden) fehlen; die ganze Zeremonie zur  Vorbereitung auf den Tod des toros scheint unvollständig. 
Die bunten banderillas im goyesken Stil wirken geradezu niedlich an diesem stattlichen Zalduendo-Stier, irgendwie harmlos. Was rechtfertigt noch den Tod des Stiers, der außerhalb der Plaza getötet wird? Man kann sich hier etwas "vorlügen", sprich: verleugnen!  Das Töten des Stiers vor den Augen des Publikums, der Zuschauenden, heisst nicht umsonst "Der Augenblick der Wahrheit". Man sieht dem ins Auge, was am Ende steht!  Das bleibt hier ausgespart. 

Ich erstaune über mich selbst, dass ich diese Gedanken wieder ausblenden kann und weiter bereit bin, mich an Morantes und El Cigalas gemeinsamer Darbietung zu erfreuen.

Der zweite Stier läuft ein, er hat einen Defekt (an den Augen!); trotz motivierter Anstrengungen kann Morante auch den ausgewechselten Stier nicht zur künstlerischen Kooperation in der faena bewegen. Silencio!
Diego El Cigalas cante wie die Klänge des guitarrista trösten uns sozusagen, wenn arte y duende seitens des toros keinen Einlass finden.

Nach einer kurzen, offiziellen Pause kommt der dritte Stier, der letztlich auch eine Enttäuschung bedeutet für den torero und uns, das Publikum! Morante kann zwar mit ihm,  wie eben schon erwähnt, seine begnadeten verónicas zeigen; auch der salto mit der garrocha, zu dem Raúl Ramirez, ein subalterno, angetreten ist, gelingt und findet grossen Beifall.  
Aber im  letzten tercio verlässt den Stier seine Angriffslust ganz und gar.  Morante beendet die faena ("optó por abreviar" - man kennt das von ihm in anderen Situationen!). Ein Witzbold (oder ein Gegner des portugiesischen toreo-Stils?) hat ihm wiederholt zugerufen: "Matalo!", "Töte ihn!" - Die Herde nimmt den toro mit. Palmas für Morante.

Der vierte Stier schliesslich, der beste dieses nächtlichen Aufgebots, zieht das Publikum in  einen unwiderstehlichen Rhythmus der Bewegungen von torero und toro und El Cigalas einfühlende musikalische Interpretation mit hinein. Die Akteure verstehen sich, sind in kreativer Heiterkeit aufeinander eingestimmt. Der duende ist jetzt anwesend, sorgt bei den Zuschauern für "mucho pellizco", was man mit dem Begriff Gänsehaut nur annähernd beschreiben kann.
José Antonio Morante habe ich selten so heiter-entspannt und glücklich erlebt. Diesen letzten Stier widmet er einem Man im callejón, in dem meine Nachbarn Joselito vermuten. Ich bezweifle das. Egal! Diese intensive faena wäre Joselitos würdig, ist reine Magie. Morante, der genio de la Puebla, wie er von der spanischen afición gerne tituliert wird -  zieht  im kongenialen Austausch mit dem großen cantaor El Cigala uns alle in den Bann. 
In der ersten Stunde des neuen Tages wird Morantes glänzender Auftritt mit dos vueltas al ruedo, eine Runde davon a hombros durch Männer seiner cuadrilla,  geehrt.  Alle strahlen,  nicht nur zufrieden, sondern glücklich.

Eine Reise zu einer Galaveranstaltung? Ja, das war es für mich auch. Sie war zu gut drei Vierteln besucht.

Aber ich denke lieber an die unvergessliche magische Nacht, von der in den Internetportalen die Rede ist. "Noche de magia y puro duende!"

Anmerkung einer Nichtraucherin: Es durfte in der geschlossenen Plaza geraucht werden! Ich gönnte mir einen purito, wie ganz früher! 

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Siehe auch:

Die Nacht von Lissabon: Diego El Cigala & Morante de la Puebla (1. Teil)