José Antonio Morante de la Puebla am 30. Juni 2016
Der Flamenco trifft auf die Welt der Stiere
Der Flamenco trifft auf die Welt der Stiere
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von Torodora Gorges
von Torodora Gorges
José Antonio Morante
de la Puebla durchschreitet den ruedo, seine cuadrilla und den
sobresaliente im Gefolge, alle in
goyesker Manier gekleidet. "Mein"
Künstler-Torero sieht in seiner eleganten traje - nachtblau, mit weissen
Applikationen - phantastisch aus. Sein Outfit gefällt mir heute besonders
gut. Mich (und wie ich später höre,
auch andere seiner "Fans") überrascht seine ungewöhnliche Frisur. Er trägt die Haare weder als Mähne
noch glatt gestylt, sondern in sehr vorteilhafter Weise locker "gebändigt".
Nach begeistertem Begrüssungsapplaus und den
obligatorischen Verbeugungen in Richtung Präsidentenloge wendet sich Morante an Diego El Cigala,
dem er seinen schwarzen Hut mit einer verbalen Widmung auf die geschmückte
Musiker-Empore im Tendido-Bereich zuwirft. El Cigala bedankt sich lachend. Immer wieder imponieren mir Aussehen und Auftreten dieses Künstlers. Durch seine ungewöhnliche, auffallende Erscheinung (die langen
wirr-krausen Haare, das Gesicht halb versteckt durch einen dunklen Bart) hat
sich vor vielen Jahren eine Stewardess so verschrecken lassen, dass sie ihm und seiner musikalischen
Entourage den Zugang zum Flieger
verwehren wollte, vergeblich, wie sich denken lässt!
Den stattlich bunten
paseillo der toreros begleiten die Flamencoklänge des Gitarristen. Leider geht durch Verstärkerwirkung
und Halleffekte im geschlossenen Raum viel verloren vom Zauber und Flair der
Fandangos oder Burlerías. Man muss sich erst einhören, auch in die zunächst
nicht so gut ausgesteuerte Übertragung von El Cigalas Stimme.
Dennoch, ich lasse
mich verzaubern und geniesse das
spektakuläre Zusammenspiel der beiden prominenten artistas. Schon der erste
Stier ermöglicht dem maestro, das
Publikum durch eine Serie von absolut perfekten
verónicas mit abschliessender media zu beglücken. Ähnliches gelingt
ihm auch beim dritten und vierten Stier. Die chicuelinas bei der quite des
ersten Stiers lösen ebenso Begeisterung aus wie seine faena mit der muleta.
Diego El Cigala hat
das Talent, Morantes inspirierte Begegnung mit dem Stier
atmosphärisch-sängerisch zu akzentuieren, "ambientarle con el
cante". Morante bewegt sich
im vollkommenen Rhythmus mit dem Stier.
Nach dem simulierten Todesstoss mit einer
banderilla wird der Stier von der Ochsenherde aus dem ruedo geholt. Morante lächelt glücklich, als ihm der
Beifall des ebenfalls glücklichen Publikums eine vuelta al ruedo
beschert. In Spanien hätten wir mit den weissen Tüchern ein oreja für ihn
gefordert.
Jetzt erst wird mir
bewusst, dass nicht nur die picadores (die so oft wegen ihres
"grausamen" Vorgehens ausgepfiffen werden) fehlen; die ganze Zeremonie zur Vorbereitung auf den Tod des toros
scheint unvollständig.
Die bunten banderillas im goyesken Stil wirken geradezu niedlich an diesem stattlichen Zalduendo-Stier, irgendwie harmlos. Was rechtfertigt noch den Tod des Stiers, der außerhalb der Plaza getötet wird? Man kann sich hier etwas "vorlügen", sprich: verleugnen! Das Töten des Stiers vor den Augen des Publikums, der Zuschauenden, heisst nicht umsonst "Der Augenblick der Wahrheit". Man sieht dem ins Auge, was am Ende steht! Das bleibt hier ausgespart.
Die bunten banderillas im goyesken Stil wirken geradezu niedlich an diesem stattlichen Zalduendo-Stier, irgendwie harmlos. Was rechtfertigt noch den Tod des Stiers, der außerhalb der Plaza getötet wird? Man kann sich hier etwas "vorlügen", sprich: verleugnen! Das Töten des Stiers vor den Augen des Publikums, der Zuschauenden, heisst nicht umsonst "Der Augenblick der Wahrheit". Man sieht dem ins Auge, was am Ende steht! Das bleibt hier ausgespart.
Ich erstaune über
mich selbst, dass ich diese Gedanken wieder ausblenden kann und weiter bereit
bin, mich an Morantes und El Cigalas gemeinsamer Darbietung zu erfreuen.
Der zweite Stier
läuft ein, er hat einen Defekt (an den Augen!); trotz motivierter Anstrengungen kann Morante auch den ausgewechselten Stier nicht zur
künstlerischen Kooperation in der faena bewegen. Silencio!
Diego El Cigalas
cante wie die Klänge des guitarrista trösten uns sozusagen, wenn arte y duende seitens des toros keinen Einlass finden.
Nach einer kurzen,
offiziellen Pause kommt der dritte Stier, der letztlich auch eine Enttäuschung
bedeutet für den torero und uns, das Publikum! Morante kann zwar mit ihm, wie eben schon erwähnt, seine
begnadeten verónicas zeigen; auch der salto mit der garrocha, zu dem Raúl Ramirez, ein subalterno, angetreten ist, gelingt und
findet grossen Beifall.
Aber im letzten tercio verlässt den Stier seine Angriffslust ganz und gar. Morante beendet die faena ("optó por abreviar" - man kennt das von ihm in anderen Situationen!). Ein Witzbold (oder ein Gegner des portugiesischen toreo-Stils?) hat ihm wiederholt zugerufen: "Matalo!", "Töte ihn!" - Die Herde nimmt den toro mit. Palmas für Morante.
Aber im letzten tercio verlässt den Stier seine Angriffslust ganz und gar. Morante beendet die faena ("optó por abreviar" - man kennt das von ihm in anderen Situationen!). Ein Witzbold (oder ein Gegner des portugiesischen toreo-Stils?) hat ihm wiederholt zugerufen: "Matalo!", "Töte ihn!" - Die Herde nimmt den toro mit. Palmas für Morante.
Der vierte Stier
schliesslich, der beste dieses nächtlichen Aufgebots, zieht das Publikum in einen unwiderstehlichen Rhythmus der Bewegungen von torero
und toro und El Cigalas einfühlende musikalische Interpretation mit hinein.
Die Akteure verstehen sich, sind in kreativer Heiterkeit aufeinander
eingestimmt. Der duende ist jetzt anwesend, sorgt bei den Zuschauern für "mucho pellizco", was man mit dem Begriff Gänsehaut nur annähernd beschreiben kann.
José Antonio Morante
habe ich selten so heiter-entspannt und glücklich erlebt. Diesen letzten Stier widmet er einem Man im callejón, in dem meine Nachbarn
Joselito vermuten. Ich bezweifle das. Egal! Diese intensive faena wäre Joselitos würdig, ist reine Magie. Morante, der genio de la Puebla, wie er von der
spanischen afición gerne tituliert wird - zieht im kongenialen Austausch mit dem großen
cantaor El Cigala uns alle in den
Bann.
In der ersten Stunde des neuen Tages wird Morantes glänzender Auftritt mit dos vueltas al ruedo, eine Runde davon a hombros durch Männer seiner cuadrilla, geehrt. Alle strahlen, nicht nur zufrieden, sondern glücklich.
In der ersten Stunde des neuen Tages wird Morantes glänzender Auftritt mit dos vueltas al ruedo, eine Runde davon a hombros durch Männer seiner cuadrilla, geehrt. Alle strahlen, nicht nur zufrieden, sondern glücklich.
Eine Reise zu einer
Galaveranstaltung? Ja, das war es für mich auch. Sie war zu gut drei Vierteln
besucht.
Aber ich denke
lieber an die unvergessliche magische Nacht, von der in den Internetportalen
die Rede ist. "Noche de magia y puro duende!"
Anmerkung einer
Nichtraucherin: Es durfte in der geschlossenen Plaza geraucht werden! Ich
gönnte mir einen purito, wie ganz früher!
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Siehe auch:
Die Nacht von Lissabon: Diego El Cigala & Morante de la Puebla (1. Teil)
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Siehe auch:
Die Nacht von Lissabon: Diego El Cigala & Morante de la Puebla (1. Teil)