Toro de la Vega (Foto: La Tauromaquia) |
Schon im Oktober 2014 verfasste SfA-Mitarbeiter Dr. Andreas Krumbein einen Bericht, wo er sich ausführlicher mit dem Thema der Tötung von toros auseinandersetzt, insbesinsondere in Bezug auf den Toro de la Vega. Aus aktuellem Anlass hier noch einmal sein Beitrag zum nachlesen.
Eine Stellungnahme zu den Tötungsritualen von Stieren
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von Dr. Andreas Krumbein
Die corrida de toros, so wie sie sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts aus den Anfängen einer Darbietung für die Bevölkerung, unter Erscheinens und Akzeptierens bezahlter, professioneller Spezialisten für das Töten und durch die Erarbeitung und Einführung komplizierter Regeln bis zum heutigen Tage entwickelt hat, vereint in sich eine verwirrende Vielzahl von Details, Überresten und Anspielungen auf althergebrachte Riten, Symboliken und Gebräuche aus vielen Regionen Spaniens und möglicherweise eines viel weiter ausgedehnten Bereiches um das Mittelmeer. Diese Riten, Symboliken und Gebräuche selbst sowie die Art und Weise, wie und zu welchen Anteilen sie in die corrida de toros eingeflossen sind, wie stark sie dort in Erscheinung treten und welche Bedeutung sie für die Menschen der früheren Epochen gehabt haben mögen und welche Bedeutung sie für den Einzelnen und die Gesellschaft insgesamt heutzutage haben oder haben könnten, ist Gegenstand von Interpretationen, Deutungen und Diskussionen, sowohl beim einfachen aficionado als auch in der Wissenschaft. Da gibt es die Demonstration von Mut und Männlichkeit beim Laufen der Stiere zum Beispiel während der encierros oder bei capeas, da gibt es die Opferung der jungen Männer, deren Leben irgendwann geschont und als deren Ersatz wertvolle Tiere, nämlich Stiere, getötet wurden. Da gibt es die Hochzeitsstiere, die einem frisch vermählten Ehepaar die Nachkommenschaft sichern sollen, es gibt das gemeinsame Totschlagen und –stechen eines Stieres mit anschließendem gemeinsamen Zerlegen, Zubereiten und Verzehr des Fleisches durch das gesamte Dorf. Es gibt in dem, was bei der corrida de toros dargeboten wird, das Erkennen einer als schicksalhaft angesehenen gesellschaftlichen Rolle von Mann und Frau, die Zuschreibung dieser Rollen den Akteuren toro und matador, und den allmählichen Rollentausch zwischen den beiden. Es gibt das Erkennen sexueller Komponenten zwischen den beiden Rollen und der Ausübung des Geschlechtsaktes.
Volante, Toro de la Vega 2012 (Foto: Gerardo Abril) |
Die corrida de toros ist ein besonders entwickeltes Tötungsritual mit Stieren. Federico García Lorcas Ausspruch „Ich glaube, dass der Stierkampf heutzutage das kultivierteste Fest der Welt ist“. wird zu Recht an exponierter Stelle zitiert. Doch darf Kultiviertheit, hoher Bildungsstand und gute Erziehung dem aficionado den Blick für einen anderen Teil der (vermeintlichen) Wirklichkeit und des menschlichen Wesens nicht trüben: „Cossío meinte, die historisch älteste Form des Stierkampfs, abgesehen von der Jagd und bevor er im dreizehnten Jahrhundert zu einem Privileg des Adels wurde, sei zweifellos das tumultuarische, anarchische und brutale Stierspiel auf provisorisch zu diesem Zweck hergerichteten öffentlichen plazas gewesen, an dem Adlige und Leute aus dem Volk, Stierkämpfer zu Pferd und zu Fuß, Amateure und manchmal auch bezahlte Stiertöter teilnahmen. Das Volk »lief« die Stiere (»correr toros«), hetzte sie, lief mit ihnen zum Platz, die Stiere wurden dort eingepfercht und einer nach dem anderen losgelassen, und die Adligen bewiesen Mut und Geschicklichkeit, indem sie - unterstützt von Lakaien zu Fuss, die den Stier mit ihren capas in Position brachten und ihm Harpunen oder banderillas setzten, - den Stier vom Pferd aus mit der Lanze oder dem »rejón« (kurze Lanze) verletzten oder töteten. War der Stier erschöpft, aber noch nicht tot, oder fand sich für einen Stier kein caballero, so fiel das Volk über das Tier her und machte ihm den Garaus.“ [1] Schilderungen solcher Vorkommnisse und besonderer Eigenarten bei den sogenannten „Stierspielen“ gibt es in Neuhaus Kulturgeschichte über Stierkampf [1] viele. Alle sind für das Empfinden eines Mitteleuropäers sehr grausam, manche in der bildlichen Vorstellung fast unerträglich. Doch warum ist das so? Und: Warum machen diese Menschen so etwas?
Volante, Toro de la Vega 2012 (Foto: José Carpita) |
Der pregonero 2014 André Viard |
manchmal nur einmal im Jahr. Man bereitet sich vor, man macht sich fein, man ist aufgeregt, man will dabei sein, es miterleben, vielleicht in direkter Aktion daran teilnehmen. Man feiert ein Fest, das Tötungsritual selbst ist eine öffentliche Zeremonie. Man erlebt bei sich selbst und anderen manchmal starke Emotionen. Danach ist man zufrieden. Manchmal, nicht immer. Man geht essen und trinken. Man hat den Tod erlebt, gesehen wie er zugefügt wurde – vielleicht hat man ihn selbst zugefügt – und eingetreten ist, man hat Lebensgefahr mit angesehen und beobachtet, wie durch das Aufwenden von Mühen und durch das Annehmen von Risiken ein Ziel auf einem Weg voller Gefahren erreicht wurde. Vielleicht ist man den Weg ein Stück weit selber gegangen und hat es selber erlebt und gespürt.
Und warum machen die das? Warum tun Menschen Dinge, die andere als grausam empfinden? Ist der Mensch vielleicht einfach so? Warum ist der Mensch manchmal grausam zu Tieren? Warum ist er es manchmal zu Menschen? Welche Umstände oder Gegebenheiten müssen vorliegen, damit ein einzelner Mensch grausam ist, welche, damit eine Gruppe es ist? Was bedeutet es, wenn eine Gruppe von Menschen eine geplante, organisierte Grausamkeit an einem Tier verübt? Was bedeutet es, wenn eine solche Gruppe dies an einem anderen einzelnen Menschen oder an einer anderen Gruppe verübt? Warum passiert so etwas immer wieder, unvorhersehbar und in fürchterlichster Ausprägung, gegenüber anderen Menschen? Ist es im Menschen, vielleicht in jedem einzelnen, angelegt, dass er zum aktiven Täter wird, wenn die Umstände und Gegebenheiten in bestimmter Weise vorliegen? Kann man diese Umstände und Gegebenheiten antizipieren, für einen einzelnen oder eine Gruppe? Kann man das Auftreten von Grausamkeiten gegen Menschen steuern, begünstigen oder verhindern? Kann die organisierte Grausamkeit gegen Tiere als Steuermechanismus dienen? Dient die organisierte Grausamkeit gegen ein Tier, in Anlehnung an seit Jahrtausenden erlebte Jagd- und Kampferfahrungen und ausgeübte Opferrituale und eingebettet in althergebrachte Riten, Symboliken und Gebräuche der Stabilisierung der Gemeinschaft zur Abwehr von Angriffen und Gefahren, die von innerhalb und außerhalb der Gruppe das Bestehen der Gemeinschaft bedrohen und zerstören könnten?
Volante, Toro de la Vega 2012 (Foto: Gerardo Abril) |
Moscatel der ganadería Victorino Martín, Toro de la Vega 2009 (Foto: mundotoro) |
Stellvertretend für die Vielzahl von festejos populares mit Stieren breche ich hier eine Lanze für den Toro de la Vega und für die Art und Weise, wie er von einer Gemeinschaft von Menschen zu Tode gebracht wird. Ob ich selber als Beobachter eines so ausgeführten Tötungsrituals das Geschehen ertragen könnte, gälte es noch unter Beweis zu stellen. Trotz allem: die festejos populares sind die direkten Vorfahren der corrida de toros, vielleicht ihre ungehobelten Verwandten vom Lande. Die mag man unangenehm finden oder vielleicht sogar hassen. Verraten oder umbringen darf man sie nicht.
Im Übrigen: die Tradierung der Hintergründe und Bedeutung der althergebrachten Riten, Symboliken und Gebräuche, ihre Verteidigung gegen Angriffe und Abschaffung und das öffentliche Stellungbeziehen in Medien und Diskussionen in Spanien, wer übernimmt das?
Im Übrigen: die Tradierung der Hintergründe und Bedeutung der althergebrachten Riten, Symboliken und Gebräuche, ihre Verteidigung gegen Angriffe und Abschaffung und das öffentliche Stellungbeziehen in Medien und Diskussionen in Spanien, wer übernimmt das?
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Quellennachweise:
[1] Rolf Neuhaus, Der Stierkampf, eine kleine Kulturgeschichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main, 2007
[2] Andreas Krumbein, Stierkampf und Tierquälerei, Stierkampf - Corrida de toros, 2007
[3] Gunzelin Schmid Noer, Annelinde Eggert, Die Herausforderung der Corrida - Über den latenten Sinn eines profanen Rituals, Seite 99 bis 162 in: Kultur-Analysen - Psychoanalytische Studien zur Kultur. Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1986
[4] Rolf Neuhaus, Der Stierkampf, eine kleine Kulturgeschichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main, 2007
Weitere Informationen zu diesem Thema:
Offizielle Webseite: Patronato del Toro de la Vega
Reinhard Haneld, Taurosophie
Karl Braun, Der Tod des Stieres, Fest und Ritual in Spanien, Verlag C. H. Beck, München, 1997
Lorenz Rollhäuser, Toros, Toreros, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbeck bei Hamburg, 1990
Rainer Bischof, Heilige Hochzeit, Böhlau Verlag, Wien, München, Weimar, 2006
[3] Gunzelin Schmid Noer, Annelinde Eggert, Die Herausforderung der Corrida - Über den latenten Sinn eines profanen Rituals, Seite 99 bis 162 in: Kultur-Analysen - Psychoanalytische Studien zur Kultur. Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1986
[4] Rolf Neuhaus, Der Stierkampf, eine kleine Kulturgeschichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main, 2007
Offizielle Webseite: Patronato del Toro de la Vega
Reinhard Haneld, Taurosophie
Karl Braun, Der Tod des Stieres, Fest und Ritual in Spanien, Verlag C. H. Beck, München, 1997
Lorenz Rollhäuser, Toros, Toreros, Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbeck bei Hamburg, 1990
Rainer Bischof, Heilige Hochzeit, Böhlau Verlag, Wien, München, Weimar, 2006