Samstag, 29. September 2018

Kreuzen oder nicht kreuzen (2. Teil)

Wenn sich der Torero vor die Hörner der Stiere begibt
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von José Luis Ramón

aus dem Englischen übersetzt von Dr. Andreas Krumbein

Der matador der toros José Tomás kreuzt den toro
Wie bei vielen anderen wichtigen Angelegenheiten hat der matador de toros José Tomás bei der Entstehung dieses neuen Kriteriums einiger der Zuschauer von Las Ventas (wenn auch unfreiwillig) mitgewirkt. Alles begann mit seiner Art der Positionierung vor den Stieren beim Ausführen von chicuelinas und manoletinas, wobei er bei diesen zwei historischen suertes eine frühere Komponente – das Zitieren {el cite} – mitaufnahm, das vorher nicht auf so radikale Weise enthalten gewesen war. An diesem Punkt entdeckte die Plaza de Toros von Madrid, wie zwei suertes die bis dahin als adornos angesehen worden und damit von sekundärer Bedeutung waren, erneuert und nun zur Gruppe fundamentaler pases gezählt werden konnten, wegen der aufrichtigen Art und Weise, in der der Stier zitiert wurde, und wegen der Reinheit ihrer Ausführung. Doch da war mehr: All das kristallisierte sich heraus in der faena mit dem Martilla-Stier „Exhortado“, von dem er in der Feria de San Isidro des Jahres 2002 dos orejas schnitt, ein schwerfälliges Tier, das seine Angriffe nicht wiederholte, und vor dem der Madrileño in einem ausserordentlichen Masse kreuzte, wobei er ein majestätisches Werk errichtete, in dem die fundamentalsten Teilstücke die muletazos waren, die einer nach dem anderen erwuchsen, unverbunden, denn ein Verbinden war unmöglich, doch aufgebaut auf der Basis von (noch einmal) Tapferkeit, Klasse, Wahrhaftigkeit und Reinheit. Das Problem ist, dass das, was ein Sonderfall war – ein fantastischer technischer und ästhetischer Rückgriff, angepasst an die besondere Verfassung  dieses Stiers – einige Las-Ventas-Zuschauer heutzutage jedes Mal mit jedem Stier sehen wollen, gleich ob die Tiere stillstehen oder in den Angriff zurückkommen (im letzteren Falle wäre das Endergebnis, die Bremse zu ziehen und die faena zunichte zu machen). Wenn die matadores dies tatsächlich täten, würde das Verbinden {la ligazón} aussterben, denn wir wissen, dass dies zu erreichen unmöglich ist, wenn ein torero ständig zwischen zwei pases kreuzt. Es war der matador de toros Juan Belmonte, der endgültig das gekreuzte Zitieren mit einbezog, aber wir sollten nicht vergessen, dass, laut den Kritikern und Autoren jener Zeit, der Trianero in seinen frühen Jahren als torero keiner war, der Stiere häufig en redondo passierte: Dies war zu jener Zeit ‚Gallito‘ überlassen.    
Die matadores de toros Belmonte, Trianero, Gallito
Da ich mir vorstelle, dass einige der Zuschauer, auf die ich anspiele, nicht meinen Sichtweisen übereinstimmen werden, habe ich in den letzten paar Tagen drei grosse figuras de toreo herausgesucht, mit der Absicht diese Konzepte so weit wie möglich zu verdeutlichen. Es handelt sich um maestros im Ruhestand, welche mit Hunderten von toros gekämpft haben und demzufolge einem als Autoritäten in der Sache dienen sollten. Diese Männer, die sich selbst vor Stiere gestellt haben, sollten wissen, wovon sie sprechen.
Der Erste ist Paco Camino, und dies sind seine Worte zum Thema: 


Der matador der toros Paco Camino aus Mamas / Sevilla (Jahrgang 1940)
„Es gibt Stiere, die schnell angreifen, mit denen Du nicht zu kreuzen brauchst, und es gibt es solche, die stillstehen, bei denen Du viel kreuzen musst. Alles hängt davon ab, wie sie angreifen. Im toreo sind es verbundene pases {pases ligados}, die eine Gefühlsregung auslösen: Das Verbinden {la ligazón} ist alles. Vor ein paar Jahren in Madrid sprachen die Leute über toreando con el pico, und jetzt liegt die Besessenheit darauf, ob jemand kreuzt oder nicht. Alle 20 Jahre ändert sich der Fokus … Trotzdem, die toreros von Heute kreuzen mehr als jemals, denn der Stier erlaubt das, während der Stier früherer Zeiten es weniger erlaubte, denn sie waren bereitwilliger mit dem Angreifen. Das ist unbestreitbar. Alles hängt auch vom Konzept ab, das man vom toreo hat. Ich war kein torero, der sich gerne nahe an den Stier gestellt und fortwährend gekreuzt hat. Ich mochte es, die Stiere crudos zu lassen [leicht picado und deshalb stark], so dass sie wieder und wieder herankamen. Dieses Geschäft, die ganze Zeit zu kreuzen, ist ein neues Konzept des toreo, aber das bedeutet, das Verbinden von pases wird unmöglich. Im ersten pase, beim Zitieren, sollte man sicherlich kreuzen, aber danach hängt es davon ab, wie der Stier herankommt. Eine andere sehr wichtige Sache: Um zu torear, musst Du den Stier ein wenig hinter Dich schicken und dadurch, wobei man die muleta in seinem Gesicht lässt, bleibt der torero cruzado und ist in der Lage aufeinanderfolgende pases zu verbinden.“
Der zweite torero ist Paco Ojeda
Der matador der toros Paco Ojeda aus Sanlúcar de Barrameda (Jahrgang 1955)
„Dieses Thema kann in sehr wenigen Worten zusammengefasst werden: Der Stier ist derjenige, der festlegt wo Du stehst. In Sekundenschnelle musst Du in der Lage sein Dich dorthin zu stellen, wo der Stier es verlangt, in einer gekreuzten Position oder nicht. Wenn Du das nicht siehst: Auf Wiedersehen, Stier! Aber wenn Du es dann fertigbringst, dann ist es ein zauberhafter Aspekt, und Du bist in der Lage die muletazos einen nach dem anderen zu verbinden. Wenn Du Eins bist mit einem Stier, dann brauchst Du nicht zu kreuzen, denn eine magische Beziehung wird erzeugt zwischen torero und toro. Einige toreros kreuzen mehr als andere und diejenigen, die es tun, tun es aus Gewohnheit, aber die Wahrheit ist, dass, wenn Du immer weiter zusiehst zu kreuzen, ist es zum Vorteil des toreros  denn er fühlt sich wohler. Wenn Du nicht gekreuzt bist und der Stier ist weg zur Seite, dann musst Du ihn hineinbringen: Das ist eine knifflige Seite des toreo. Wenn Du nicht gekreuzt bist, musst Du den Stier hinein wickeln, und das ist es, wovon die Leute angezogen sind. Kreuzen ist für den Beginn einer faena, aber wenn der Stier erst einmal auf das Tuch fokussiert ist, brauchst Du nicht mehr so viel auszugleichen. Soweit es sich um meinen toreo handelt, wenn ich zwischen jedem pase hätte kreuzen und die Harmonie hätte unterbrechen müssen, hätte niemand es sehr gemocht.“
Abschließend der dritte torero Niño de la Capea
Der matador der toros El Niño de la Capea aus Salamanca (Jahrgang 1952)
„Kreuzen oder nicht kreuzen ist nicht mehr als ein Hilfsmittel den Stier zum Angriff anzuregen. Der Stier legt Deine Positionierung fest, sein Gemütszustand legt fest, ob er bereitwillig und fest angreift, die Müdigkeit, die er in einem bestimmten Moment spürt, und dann greift er an gemäss der Anreize, die er erhält: Der torero kann kreuzen oder nicht kreuzen, er kann dem Stier Abstand geben oder ihm nahekommen, oder da kann eine schroffe Bewegung sein, die bewirkt, dass das Tier angreift. Du solltest nicht aus Gewohnheit oder systematisch kreuzen. Auch ist es nicht immer zweckmässig, es zu tun, denn es gibt Male, in denen ein torero in übertriebener Weise kreuzt und alles, was er erreicht, ist eine Verminderung des Risikos, weil der Stier nach aussen hin weggeschickt wird. Es gibt Male, in denen es so aussieht, als bleibt jemand auf der Seite des Horns, und das ist, wenn es gefährlich wird und wo ich immer die grössten Unfälle gesehen habe. Es ist ein Fehler die ganze Zeit kreuzen zu wollen: Wenn jemand viel kreuzt, oft in übertriebener Manier, bringt das in Wirklichkeit einen Vorteil für den torero mit sich.“
El Niño de la Capea, der bei diesen Manövern vor den Stieren nicht kreuzt.
Natürlich wird sich nichts ändern in der Plaza de Toros von Madrid, aber hier sind die Meinungen von toreros die sehr gut wissen, wovon sie sprechen. 

Oder wissen die es auch nicht?

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Text entnommen aus La Divisa, Club Taurino of London Number 233 - November/December 2016, S. 61-63

Übersetzt aus dem Spanischen von Tristan Wood