von Torodora Gorges
Wer leidet mehr? Das Publikum oder der Torero?
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Ob eine faena gekrönt wird mit einer Puerta Grande,
bleibt bis zur letzten Minute – dem „Augenblick der Wahrheit“ – unvorhersehbar.
Es hängt von der Sicherheit ab, mit dem die estocada – der Degenstoss –
den Stier trifft. Die Handhabung des Degens missrät häufig.
Der Stier stirbt erst nach einem zweiten Versuch, den Degen richtig zu
platzieren. Manchmal missglücken auch
mehrere Anläufe.
Das widerfährt auch Morante immer wieder. Man sagt, dass das
Töten nicht seine Sache sei. Man
beruft sich auf Hemingway: „Nur selten (ist) ein großer Künstler mit der capa
und der muleta ein Töter. .... Ein großer Töter muss gern töten..... Der
wahrhaft große Töter muss ein Gefühl für Ehre haben und ein Gefühl für Ruhm, welches
das des gewöhnlichen Stierkämpfers weit übersteigt. In anderen Worten, er muss
ein primitiverer Mensch sein“ (1). Seine Überlegungen zum Tod am
Nachmittag von 1932 evozieren nahezu
Nietzsches Moral „Jenseits von Gut und Böse“. Ich wüsste gerne, was Morante
de la Puebla darüber, aber auch über das folgende Zitat von Hemingway denkt:
„Der wahrhaft grosse Töter... muss den Augenblick des Tötens als spirituelles
Hochgefühl empfinden ......(und) eine der grössten Freuden dabei ....ist das
Gefühl der Rebellion gegen den Tod, das man erlebt, wenn man ihn verursacht.“
Für die aficionados ein unschöner Moment, für den matador ein Alptraum ... ... wenn die estocada nicht gelingen will. |
Die Gefühle der aficionados decken sich vermutlich
ebenso wenig wie die der matadores und toreros mit den Äusserungen Hemingways, der sich so
eingehend dem Verherrlichen des Tötungsaktes widmet.
Der 21. Mai 2009 in Las Ventas gehört zu den Höhepunkten von
Morantes diesjähriger temporada. „Las Ventas se rinde a Morante“ (2),
schreibt der Rezensent. Das Publikum dankt Morante mit „Ehrerbietung und
Hingabe“. Alle Einzelheiten dieser
kreativen, künstlerischen Improvisation, alle suertes mit capa
und muleta werden – wie man es nun schon kennt – in Form einer Eloge
noch einmal in Worte gebannt: Epifanía, Pasmo, Milagro!
José Antonio Morante büsste die zweite Trophäe wegen der
verfehlten estocada ein. Seine Zuschauer, die „normalen
Sterblichen“, leiden mit
ihm, dem genio, lassen ihm mit ihrer extatischen Freude Trost zukommen.
Sie spüren seine sowohl seelische wie köperliche Erschöpfung und Leere. Die Filme in Youtube zeigen uns: Am
Beginn der Ehrenrunde, nach Übergabe der Trophäe, laufen Morante die Tränen
über das Gesicht. Der Zuschauer projiziert die eigene Enttäuschung auf den torero, der sichtbar leidet. Ungewiss, ob es ein Leiden ist unter dem Zustand der Erschöpfung oder
unter dem Gefühl, sein Ziel, die Puerta Grande von Las Ventas zu öffnen,
wegen eines pinchazo (einem Stich „daneben“) verfehlt zu haben? Da erst
der zweite Degenstoss tödlich traf, verweigerte der Präsident die zweite Trophäe, die das Publikum
temperamentvoll und gebieterisch einforderte.
Wenn der maestro Morante de la Puebla bei der estocada versagt, und der momento de verdad für morantistas zum Alptraum wird. |
Unter den anhaltenden Ovationen der Besucher in der Plaza
weicht Morantes Traurigkeit
einem glücklichen Lächeln, das die Glücksempfindungen des Publikums
wiederspiegelt und bestätigt.
Sogar das strenge, kritische Publikum aus dem Tendido 7 jubelte Morante
vorbehaltlos zu.
Augenblicke der Wahrheit
Die Frage stellt sich: Wer leidet mehr darunter, wenn sich
die Puerta Grande – wie in diesem Fall – wieder nicht für den verehrten torero öffnet? Der matador der die Aufgabe zu töten nicht optimal erfüllt
hat? Oder das Publikum, dem die
Gelegenheit genommen ist, den „angehimmelten“ maestro emphatisch zu
feiern und sich selbst in ihm zu feiern, sich durch ihn erhaben fühlen?
Manche enttäuschten aficionados versuchen, dem Akt
der Tötung am Ende des Rituals eine geringere Bedeutung, dem „triumphierenden
Tod“ (3) weniger Wert beizumessen. Nachdem sie Morantes suertes – vor allem die mit der capa –
genossen und sich an ihnen berauscht haben, würden sie in solchen Situationen vorziehen, den Stier
am Leben lassen. Denn schon ein pinchazo kann die Puerta Grande vereiteln!
Hierzu
passt ein Zitat aus dem alten Spanienbuch von W. L. Kristl: „Die Stierfeste
sind nicht ganz zufällig mit regionalen und religiösen Feiern verbunden. Wenn
der Glaube an diesen Geist schwindet, löst sich der Bann, den er auf den
spanischen Menschen ausübt. Wenn sich der kultische Charakter des Festes
verflüchtigt, wird aus der barbarischen Messe eine Einrichtung des
grossstädtischen Vergnügungsbetriebes. Die Arena, eine gigantische Opferschale,
die Blut und Tod dem heissen Himmel darbietet, verwandelt sich in ein
Varieté-Theater, daraus die Seele des Mythos entwichen ist.“ (4)
Mario Vargas Llosa |
Mario Vargas Llosas Beitrag (5) weist auf die
Notwendigkeit der Immanenz des Todes im Ritual der corrida hin: „Der Stierkampf
besitzt Elemente des Rituellen und der Improvisation. Er ist in manchen
Augenblicken aufgeladen mit Religiosität, Mystik und einem Symbolismus, der die
conditio humana widerspiegelt, – unser Leben existiert nur dank seines
Gegenstücks, dem Tod.“ Er fasst
die Gefühle der zuschauenden Teilnehmer abschliessend zusammen: „In der
schönsten Nachmittagssonne ausgetragen, erinnern uns die Stierkämpfe daran, wie
unsicher unsere Existenz ist und wie wunderbar sie gerade aufgrund ihrer
zerbrechlichen und vergänglichen Natur ist“.
Heidnische und christlich-religiöse Mythen treffen in der fiesta de toros zusammen, an entsprechenden Metaphern wird nicht gespart, um sie
zu charakterisieren. Die Sehnsucht der aficionados nach Hingabe, Hingebung – Erhebung,
Erhabenheit trägt religiöse Züge. Eine junge morantista bekannte:
„Morante beim Agieren mit dem Stier zuzusehen, ist wie mit Gott reden, und Gott antwortet!“
Eine plaza de toros und eine Kirche, zusammen als eine Einheit. Ähnlichkeit nicht nur von äusseren Optik, sondern auch im "inneren" Ablauf. |
In säkularisierter Zeit stellt die corrida de toros ein Religionsäquivalent dar. Die
Ähnlichkeit der tradierten Zeremonien in Ablauf und Symbolik der Handlungen mit
der katholischen Messe sind unverkennbar. Hier wie dort wird das Profane durch
sakrale Rituale negiert, von der
spezifischen Kleidung bis zu den feierlichen Weihen der Amtsübernahme als
Priester oder matador de toros.
Die corrida als ein „leibhaftiges Ritual“ (6), den
Opferriten nahe, lässt diese
religiöse Vereinnahmung zu. Zwar
zehren moderne Massen-veranstaltungen – ob Fußballspiel oder Popkonzert –
ebenfalls von der Idolisierung ihrer Stars. Doch es fehlt diesen kulturellen Grossereignissen die
vergleichbare mythologische Tiefe.
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Quellennachweise:
(1) Ernest Hemingway, Tod am Nachmittag, Hamburg 1967, S. 198
(3) Ein Begriff aus: Wilhelm Lukas Kristl, Kampfstiere und Madonnen, Hamburg 1954
(4) a.a.o., Kristl, S. 110
(5) s. SZ, Fußnote 73
(6) G. Schmid-Noerr, A. Eggert, a.a.o. S. 145
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Textauszug aus dem Buch:
Torodora Gorges
Morante de la Puebla, Torero
Der spanische matador de toros José Antonio Morante Camacho verkörpert gegenwärtig die Kunst der tauromaquia auf ganz besondere Weise. Das Buch handelt vom Leben und Werdegang dieses toreros. Die erste Biografie über einen Stierkämpfer einer deutschen Autorin!
Hier gibt es eine Leseprobe.
Link: Morante de la Puebla, Torero - Portrait eines Künstlers
Hier gibt es eine Leseprobe.
Link: Morante de la Puebla, Torero - Portrait eines Künstlers
ISBN-13: 978-3- 8391-5770-1